Bayer 04 mit akuter Persönlichkeitsspaltung Die Werkself gibt Julian Brandt Rätsel auf

Leverkusen · Die 2:4-Niederlage gegen Dortmund belegt einmal mehr die mysteriöse Persönlichkeitsspaltung der Werkself, denn 60 bärenstarken folgten 30 erschreckend schwache Minuten.

Bayer Leverkusen gibt Julian Brandt Rätsel auf
Foto: dpa/Federico Gambarini

Unmittelbar nach dem Schlusspfiff reichte ein Blick auf Sven Bender, um die Stimmungslage in der BayArena auf den Punkt zu bringen. Der Abwehrchef der Werkself tobte nach dem 2:4 (2:0) gegen Borussia Dortmund in den Katakomben. Im Mittelpunkt der gebrüllten und nicht durchweg zitierbaren Aussagen stand die zentrale Frage des Abends: Wie kann es sein, dass seine Mannschaft trotz Führung das Fußballspielen einstellt, immer ängstlicher wird und schließlich komplett einbricht?

Ein Teil der Antwort ist die unangenehme Wahrheit, die sich wie ein roter Faden durch den bisherigen Saisonverlauf zieht: Bayer 04 ist nicht in der Lage, über 90 Minuten guten Fußball zu spielen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit folgt auf eine starke Phase ein ebenso deutlicher Einbruch – oder umgekehrt, wie es beim 2:1-Sieg in Düsseldorf oder beim 3:2 in Rasgrad der Fall war.

Bundesliga 18/19: Bayer Leverkusen - Borussia Dortmund: die Bilder des Spiels
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Bayer 04 - Dortmund: die Bilder des Spiels

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Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Als Psychologe müsste man dem Team von Trainer Heiko Herrlich wohl die Diagnose akute Persönlichkeitsspaltung stellen. Da ist zum einen die selbstbewusste Werkself, die ihr zweifellos enormes Potenzial ausschöpft und zu begeisterndem Fußball in der Lage ist – und dann die verunsicherte Werkself, die komplett die Kontrolle verliert und den Gegner gewähren lässt. Meistens sieht man beide Facetten innerhalb von 90 Minuten. Manchmal sogar mehrmals.

Das konstante Pendeln zwischen berauschend und bescheiden nervt inzwischen alle Beteiligten. Das macht nicht nur Sven Benders Wutanfall auf dem Weg in die Kabine deutlich. „In der ersten Halbzeit haben wir genau das gemacht, was wir uns vorgenommen haben, standen kompakt, sind mit unserem Ballbesitz sorgfältig umgegangen und haben unsere Chancen gut genutzt“, sagte Julian Brandt und beschrieb damit adäquat die ersten 45 Minuten, in denen Mitchell Weiser (9.) und Jonathan Tah (39.) ihr überlegenes Team völlig verdient in Führung brachten.

Auch als Kevin Volland kurz nach der Halbzeit die Chance auf das 3:0 an den Pfosten setzte, deutete noch nichts darauf hin, dass es noch ein unschöner Abend in Leverkusen werden sollte (54.). Doch dann entglitt Bayer die Partie zunehmend. Bruun Larsen (65.), Marco Reus (69.) und Joker Paco Alcacer (85./94.) machten das Drama perfekt, das nur im Gästeblock für Glückseligkeit sorgte: Dortmund ist der neue Tabellenführer.

„Nach dem Anschlusstreffer hat man gemerkt, dass eine gewisse Unsicherheit durch die Mannschaft ging“, analysierte Brandt vergleichsweise zurückhaltend die 25 Minuten, in denen aus Sicht der Werkself alles aus dem Ruder lief. Was vorher gut war, habe sich ins komplette Gegenteil verkehrt - und Dortmund trumpfte angesichts der spürbaren Verunsicherung des Gegners regelrecht auf.

„Sie haben bemerkenswert gut ihre Chancen genutzt“, erkannte der Nationalspieler an. Vom BVB könne sich die Werkself eine Scheibe abschneiden. „Wir müssen erwachsen im Kopf werden und so ein Ergebnis abgezockt runterspielen.“ Woran die rätselhafte Wankelmütigkeit der Werkself liege, könne er nicht benennen. Das liege an vielen Aspekten. „Wenn ich es wüsste, würde ich es der Truppe sagen und dann würde es nicht mehr vorkommen.“

Die Hoffnung des Nationalspielers: „Ich glaube, die Mannschaft wird das schon verkraften und das Leben geht weiter. Aber es ist natürlich sehr enttäuschend, wenn wir viel Aufwand betreiben und uns nicht belohnen.“ Heiko Herrlich sah es in der Nachbetrachtung eines denkwürdigen Bundesligaspiels ähnlich: „Die Enttäuschung ist riesig. Jetzt geht es darum, wieder aufzustehen“, sagte der 46-Jährige mit Blick auf die Partien am Donnerstag in der Europa League gegen AEK Larnaka (18.55 Uhr) sowie am Sonntag in Freiburg (13.30 Uhr).

Viel Zeit für psychologische Analysen bleibt also trotz ihrer offenkundigen Dringlichkeit nicht.

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