Interview mit Arnd Zeigler "Viele Fans sind zu zynisch geworden"

Düsseldorf · Wenn Arnd Zeigler über Fußball spricht, überschlägt sich seine Stimme. Das passiert dann, wenn er sein geballtes Fachwissen mit möglichst viel Emotion rüberbringen möchte. Also nahezu immer. Wir haben zu seinem Jubiläum mit ihm gesprochen.

 TV-Moderator Arnd Zeigler.

TV-Moderator Arnd Zeigler.

Foto: ARD

Der 52-Jährige lebt seinen Lieblingssport und hat ihn — auch ohne jemals Fußball-Profi gewesen zu sein — zum Beruf gemacht: Als Stadionsprecher bei Werder Bremen und mit seiner WDR-Sendung. 2007 ist er mit "Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs" angetreten, um ein Gegengewicht zur Ernsthaftigkeit des Geschäfts zu bilden. Die Bundesliga wird satirisch und humoristisch kommentiert. "Man muss das richtige Maß finden", sagt Zeigler. "Der Fußball darf einerseits nicht ins Lächerliche gezogen werden, weil er für viele Leute wichtiger Lebensinhalt ist. Wenn man ein wichtiges Spiel verliert, fühlt es sich eben ähnlich an, als ob jemand aus dem Verwandtenkreis gestorben ist. Es hat nicht annähernd die Tragweite, aber es fühlt sich so an. Fußball hat mehr Wucht als andere Hobbys. Auf der anderen Seite ist es nur Fußball. Es muss nicht als komplette Ersatzreligion genommen werden. Es ist Sport und der sollte Spaß machen."

Herr Zeigler, ist Ihre Sendung ein letzter Zufluchtsort für Fußballromantiker?

Arnd Zeigler Das wäre zu hochtrabend. Für mich ist Empathie ein Grundwert des Lebens, und die ist auch im Fußball wichtig. Es muss eine Grundemotion im Fußball vorhanden sein sonst ist er wertlos — dann ist er tot.

Sehen Sie diese Gefahr?

Zeigler Ja, die sehe ich. Wenn ich in Fanforen gucke, sehe ich zu viele Menschen, die in ihrem Leben offenbar zu viele PC-Manager-Spiele gespielt haben. Da werden Spieler nur noch als Wertanlagen gesehen. Bloß schnell weg mit dem und viel Geld einsacken. Früher wollte doch eigentlich jeder Fan, dass alle guten Spieler deines Lieblingsvereins für immer bleiben. Das ist heute leider sehr selten geworden. Als Per Mertesacker von Werder zu Arsenal gewechselt ist, haben Leute zu mir gesagt: 'So gut ist der nicht. Ich schieb' den für die Kohle mit der Schubkarre nach London.' Diese Haltung, Fußball als Investment zu betrachten, ist mir total fremd.

Ist das die Ungeduld einer immer schnelllebiger werdenden Gesellschaft, die sich auf den Fußball überträgt?

EM 2016: Die TV-Teams
34 Bilder

Die TV-Teams bei der EM 2016

34 Bilder
Foto: ZDF/Nadine Rupp/Ruppografie

Zeigler Ja, leider. Man muss es doch so sehen: Es geht immer noch um Sport und um Menschen, die Formschwankungen haben. Manchmal wird eine Fußballmannschaft wie ein Ersatzteillager betrachtet. Der funktioniert gerade nicht, weg mit dem. Viele Fans sind zu zynisch geworden. Das hat sich im Gegensatz zu früher geändert. Mittlerweile werden eigene Spieler teilweise als Feinde behandelt. Das versuche ich mit meiner Sendung ein bisschen zu relativieren. Jemand hat zu mir mal gesagt: 'Du bist wie ein Frauenversteher, nur eben mit Fußball'.

Der Fußball hat sich verändert. Neben der ehrlich erlebten Emotion der Fans, die Sie angesprochen haben, gibt es immer mehr künstliche Showelemente rund um den Sport. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Zeigler Man kann das Rad nicht zurückdrehen. Die Diskussionen über zu hohe Gehälter und Kommerzialisierung hat es vor 25 Jahren aber auch schon gegeben. Als Sat.1 Anfang der 1990er Jahre mit "Ran" angefangen hat, wurde das auch wie der Untergang des Fußballs empfunden. Man muss das alles sehr wachsam beobachten, sich aber bewusst sein, dass diese ganzen Diskussionen keine Erfindung aus dem Jahre 2017 sind. Klar schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen, wenn man die Ablösesummen von Neymar und Dembélé liest, aber als ich klein war, haben sich die Leute auch schon beschwert, dass Franz Beckenbauer eine halbe Million Mark verdient hat. Diese Aufregung gab es schon immer. Sie ist auch richtig, aber sie ist nicht neu.

Nun ist die Frage, ob die Summen aber heute nicht noch weitaus weltfremder sind?

Zeigler Da bin ich zwiegespalten. Die Summen sind natürlich völlig absurd und unanständig. Aber ich kann besser damit leben, wenn ein Neymar 222 Millionen Euro kostet, als wenn Spieler der vierten, fünften, sechsten Reihe zig Millionen kosten. Fortuna Düsseldorf hat Ihlas Bebou für fünf Millionen Euro nach Hannover verkauft. Für dieses Geld hat Bremen vor einigen Jahren Miroslav Klose gekauft, den besten deutschen Stürmer. Bayern kauft einen Corentin Tolisso für über 40 Millionen Euro. Zweifelsohne ist er ein sehr guter Fußballer, aber für einen Tolisso gehe ich nicht ins Stadion, für einen Neymar schon.

Rein hypothetisch: Werder hätte einen katarischen Scheich im Hintergrund. Welchen Spieler würden Sie sich für 222 Millionen Euro wünschen?

Zeigler Findet man das überhaupt gut? Ich würde nicht wollen, dass ein Scheich kommt und alle Spieler wegschickt und neue holt. Ich würde mir zwar manchmal schon wünschen, dass mein Verein zwei, drei Wunschspieler bekommt. Aber ich würde mir keinen Superstar wünschen. Die Superstars, die ich gerne im Werder-Trikot gesehen hätte, spielen alle nicht mehr. Eric Cantona zum Beispiel.

Als Ihre Sendung im WDR 2007 startete, war der VfB Stuttgart gerade Meister geworden. Läuft Ihre Sendung noch, wenn der VfB die nächste Schale holt?

Zeigler Da sind wir wieder beim Thema Geld. Es gab um das Jahr 2010 herum eine spürbare Zäsur. Davor hatte man das Gefühl, Bayern wurde nur jedes zweite Jahr Meister. Das ist unwiederbringlich kaputtgegangen. Die Schere innerhalb der Liga geht immer weiter auseinander. Werders Stammelf hat zusammen 25 Millionen Euro gekostet, Tolisso mehr als 40 Millionen. Der FC Bayern hat in diesem Sommer vier Mal so viel ausgegeben wie bei Bremen die ganze Mannschaft zusammen gekostet hat. Da kannst du nicht die gleiche Sportart erwarten. Es ist doch mittlerweile ein völlig absurder Gedanke geworden, dass in diesem Jahr Gladbach, Schalke oder Leverkusen Meister werden könnten. Die sind Galaxien davon entfernt, obwohl es verdammt gute Teams sind. Das ist das Schädlichste für die Liga. Dem Fußball wird das genommen, was ihn ausmacht, nämlich dass du nie weißt, was passiert. Wir werden es wohl alle nicht mehr erleben, dass der VfB noch mal Meister wird.

Was wünschen Sie sich also für die kommenden zehn Jahre?

Zeigler Dass der Fußball wieder weniger berechenbar wird. Als Willi Lemke in Bremen noch Manager war, hat er gesagt, die Champions League sei eine Gelddruckmaschine, in der sich die immer gleichen Vereine das Geld gegenseitig zuschieben. Damals wurde er als Schwarzmaler belächelt, aber genau das ist passiert. Die Großen werden immer reicher, der Rest fällt hinten runter. Der Fußball hat schon viel verloren, er muss aufpassen, nicht noch mehr zu verlieren. Man darf nicht vorher wissen, was passiert. Man ging früher mal ins Stadion, um zu sehen wer gewinnt. Heute geht man oft nur noch hin, um Augenzeuge dabei zu sein, wie das Erwartete eintritt.

(erer)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort