Herr Osmers, gibt es in zehn Jahren überhaupt noch einen Schiedsrichter auf dem Platz?
Schiedsrichter Harm Osmers im Interview „Hauptberuflicher Schiedsrichter wird kommen“
Düsseldorf · Harm Osmers gilt als einer der talentiertesten Schiedsrichter des Deutschen Fußball-Bundes. Noch ist er im Hauptberuf Controller. Er hofft aber darauf, dass in zehn Jahren Unparteiische hauptamtliche Kräfte sind.
Harm Osmers, 33, leitet seit drei Jahren Spiele in der Fußball-Bundesliga. Der gebürtige Bremer, im Hauptberuf Controller in seinem Wohnort Hannover, gilt als einer der talentiertesten Schiedsrichter beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). Seit 2011 war er bereits als Schiedsrichter-Assistent im Einsatz.
Osmers Ja, da bin ich mir sehr sicher.
Sie müssen das ja sagen – es geht ja schließlich um Ihren Job!
Osmers (lacht) Zugegeben, ich bin schon etwas befangen. Aber am Ende wird es um die Frage gehen, welches Spiel wir alle wollen. Solange da Menschen auf dem Platz gegeneinander Fußball spielen, gehört für mich einfach ein Schiedsrichter dazu, der die Partie leitet, und kein Roboter. Was ich sehr wohl glaube: Wir werden in zehn Jahren noch viel, viel mehr als heute mit Informationen rund um das Spiel versorgt.
Sie laufen also mit einer Datenbrille übers Feld?
Osmers Warum nicht? Wer ist schon verwarnt? Vielleicht bekommt man eine Szene aus einem anderen Blickwinkel eingespielt, es gibt so viele Möglichkeiten. Es geht ja vor allem darum, meine Wahrnehmung zu vergrößern. Am Ende muss ich aber entscheiden und eine Szene interpretieren.
Es hat sehr lange gedauert, bis sich der Fußball für technische Revolutionen geöffnet hat. Warum?
Osmers Es gibt einfach nicht den Fußball, sondern ganz unterschiedliche Positionen, wie man auf das Spiel blickt. Und alle haben ihre Daseinsberechtigung. Es hat viel mit Fingerspitzengefühl zu tun, was und wie man Veränderungen sinnvoll einführt. Aber in zehn Jahren werden wir hoffentlich schon ein paar Schritte weiter sein. Stillstand halte ich jedenfalls nicht für sinnvoll.
Arbeiten Sie in zehn Jahren noch als Controller oder sind Sie dann hauptamtlich als Schiedsrichter beim DFB engagiert?
Osmers Das ist auf jeden Fall der nächste logische Schritt, und ich denke schon, dass es spätestens in zehn Jahren umgesetzt wird. Ich bin ja dann glücklicherweise noch im entsprechenden Alter. Ehrlich gesagt ist es ja jetzt schon eine Übergangsphase. In vielen Bereichen sind wir wie Profis unterwegs. Das alles wird immer mehr ausgebaut werden. Training, Schulungen, Treffen unter den Top-Schiedsrichtern, um Erfahrungen auszutauschen, medizinische Behandlung. Wir sind da schon auf einem guten Weg. Ich verspreche mir viel durch die Akademie, die vom DFB geplant wird, als zentrales Wissenszentrum.
Was wird in zehn Jahren aus Ihrer Sicht im Regelwerk stehen?
Osmers Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Netto-Spielzeit eingeführt wird. Damit hätte das Zeitspiel ein Ende und man würde das Spiel deutlich straffen. Das ist jetzt aber nur meine persönliche Meinung. Was ich mir auch wünschen würde: für Trikot ausziehen keine Verwarnung mehr geben zu müssen.
Guckt sich eigentlich Ihre Familie alle Spiele von Ihnen an?
Osmers Logisch, das ist schon ein sehr treuer Fanklub. Es ist aber schade, dass man mittlerweile so und so viele Player, Abos und was weiß ich braucht, um wirklich alle Spiele empfangen zu können. Meine Oma ist 90 und da einfach mit überfordert. Den Sky-Receiver hat sie alleine zum laufen bekommen, beim Rest hat sie einfach den Überblick verloren. So wie ihr geht es sicher ganz vielen. Und deshalb wäre es doch schön, wenn in zehn Jahren man alles aus einer Hand bekommen könnte. Das gilt auch für die Spieltage. Mir persönlich gefällt es nicht so gut, dass die Spieltage immer weiter auseinandergerissen werden. Ich war immer ein Freund der Samstagskonferenz. Aber auch da gilt: Zeiten ändern sich eben.
Wird es in zehn Jahren noch Stehplätze geben?
Osmers Unbedingt! Es gibt doch nichts tolleres, wenn in einem Stadion so Richtung Stimmung ist. Ich kenne keinen Schiedsrichter, der gerne ein Spiel vor einer Geisterkulisse leitet. Es gibt natürlich auch Situationen, in denen einzelne Fans überdrehen, aber warum sollte dafür die überwiegende Zahl der friedlichen Zuschauer bestraft werden. Es wird auch in zehn Jahren um die Frage gehen, wie wir die Chaoten ausgrenzen können.
Wird der Fußball auch 2029 so einen hohen Stellenwert haben wie heute?
Osmers Ich würde mir wünschen, dass sich alle Beteiligten wieder mehr aufs eigentliche Spiel konzentrieren würden. Der Fußball ist so unfassbar überladen und voll gepackt mit Erwartungen. Der Fokus ist weniger auf taktische Dinge, als alle möglichen Nebengeräusche. In den Medien wird größer darüber berichtet, was ein verletzter Spieler auf der Tribüne für Klamotten angezogen hat, als was seine Mitspieler auf dem Rasen geleistet haben. Für mich ist Fußball das allerspannendste. Das wird auch ganz bestimmt in zehn Jahren noch so sein.
Verzeihen Sie noch eine naheliegende Frage zum Schluss: sind Sie eigentlich mit Hans-Joachim Osmers verwandt, der 1994 für eine kuriose Fehlentscheidung sorgte, als es zum sogenannten Phantomtor von Thomas Helmer im Spiel zwischen dem FC Bayern und dem 1. FC Nürnberg?
Osmers (lacht) Überhaupt kein Problem, ich bin eher dankbar, wenn ich das klarstellen kann: nein, wir sind nicht miteinander verwandt! Was dem Kollegen passiert ist, wünscht du natürlich niemandem. Der Schiedsrichter-Assistent hatte auf Tor angezeigt und mein Namensvetter hat sich darauf verlassen. So etwas könnte es heute mit den technischen Möglichkeiten nicht mehr geben.