Borussia Mönchengladbach Zinedine Jantschke und ein Mannskind namens Herrmann

Mönchengladbach · Nicht jeder hat in Mönchengladbach das Zeug zum "Fußballgott". Wer vier Jahre in Folge 20 Tore schießt, müsste sich wohl hinten anstellen – solange Typen wie Tony Jantschke immer wieder aufs Neue verblüffen. Die Zehn vom Niederrhein.

Borussia Mönchengladbach: Jantschke begeistert Fans mit Zidane-Trick
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Jantschke begeistert Fans mit Zidane-Trick

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Nicht jeder hat in Mönchengladbach das Zeug zum "Fußballgott". Wer vier Jahre in Folge 20 Tore schießt, müsste sich wohl hinten anstellen — solange Typen wie Tony Jantschke immer wieder aufs Neue verblüffen. Die Zehn vom Niederrhein.

1. Die niederrheinische Art der Verehrung

Der "Fußballgott" hat am Sonntag im Spiel gegen Hannover ein Kabinettstückchen gezeigt, von dem sich die Fans des VfL noch lange erzählen werden. Wer die Borussia aus der Ferne verfolgt und das nun mitbekommt, der wird vermutlich enttäuscht sein. Aber die Gladbach-Fans können sich gar nicht oft genug ansehen, wie Tony Jantschke den Zinedine Zidane macht und seinen Gegenspieler mit einer Pirouette ins Nichts laufen lässt. So tickt die Heldenverehrung am Niederrhein: Ein sympathisches Eigengewächs ohne Allüren etabliert sich als Rechtsverteidiger in der Bundesliga, irgendwann setzt die Stagnation ein, aber das Verletzungspech eines Kollegen schubst ihn plötzlich in die Innenverteidigung.

Vielleicht wird Tony Jantschke nur deshalb nie ein Länderspiel machen, weil der Bundestrainer gar nicht weiß, wo in der Abwehr er ihn aufstellen soll. Zumindest der interne Marktwert des 24-Jährigen ist durch die elegante Drehung gestiegen. Und wieder stand Alvaro Dominguez am Anfang dieses unverhofften Ruhms. 2013: Der Spanier bricht sich die Schulter, Jantschke wechselt ins Zentrum. 2015: Dominguez spielt einen schlampigen Pass, Jantschke packt den Zidane aus und leitet den Angriff zum 1:0 ein.

2. He's not a boy, not yet a man

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"Er ist ja noch extrem jung, für mich sogar noch wie in Kind” — über Jantschke dürfte Lucien Favre diese Worte nicht mehr verlieren, 24 Jahre und 139 Erstligaspiele hat der auf dem Buckel. Aber auch Patrick Herrmanns Geburtsdatum und sein Arbeitsnachweis seit dem Debüt vor fünf Jahren bestätigen eher Max Eberls Einschätzung: "Er wird immer mehr ein Mann!" Erinnert an Britney Spears und "I'm not a girl, not yet a woman". Falsch liegen weder der Trainer noch der Sportdirektor. Favre wollte wohl sagen: Der kann noch viel besser werden! Eberl meinte sicher: Hat der einen Sprung gemacht in dieser Saison! Erstmals sind Herrmann jetzt mehr als sechs Tore in der Bundesliga gelungen. Obendrein sind seine Treffer meistens wichtig. Zieht man sie ab, hätte die Borussia zehn Punkte weniger auf dem Konto, eine bärenstarke Quote. Zum Vergleich: Ohne die sieben Tore von Max Kruse wären es nur drei Zähler weniger.

3. Stafette fürs Trainerherz

Jantschkes Pirouette und Herrmanns Abstauber waren aber nur die Eckpfeiler von Gladbachs Führungstreffer in der 43. Minute. Trainer Favre dürfte einerseits das Herz aufgehen angesichts des Gesamtbildes dieser Ballstafette, andererseits könnte er auf Dominguez' schlampiges Abspiel verweisen und auf die Beinahe-Kollision von Kruse und Wendt. Doch das waren Schönheitsfehler ohne Folgen. Entscheidend waren vielmehr: Kramers Ballgewinns, Jantschkes Kunststück, Xhakas öffnender Pass, Wendts Offensivdrang, Kruses Verlagerung, Hazards Hereingabe und Herrmanns richtiger Riecher am langen Pfosten. Nur Sommer, Stranzl und Raffael steuerten aktiv nichts bei zu diesem Treffer.

4. Passorgie

Die Halbzeitführung zählte zweifellos zu den verdientesten seit der Erfindung von Halbzeitführungen. 74 Prozent Ballbesitz resultierten in 419 Pässen, von denen 93 Prozent ihr Ziel erreichten — mehr von alledem brachte die Borussia in dieser Saison im Verlauf von 45 Minuten noch nicht zustande. Allein Granit Xhaka kam im Xabi-Alonso-Stil auf 73 Pässe vor der Pause. Naturgemäß erreichen Innenverteidiger und Sechser eher überragende Quoten als Offensivspieler. Aber auch Thorgan Hazard, Max Kruse, Patrick Herrmann und Raffael leisteten sich kaum Abspielfehler. Inzwischen lädt der destruktive Stil vieler Mannschaften zu solchen Passorgien ein, gegen Hannover wandelte Gladbach die Überlegenheit endlich einmal in Torgefahr um. Mehr als 13 Torschüsse in einer Halbzeit gab es bislang nur zu Hause gegen Schalke und gegen Hamburg.

5. "Hammer" für beide Seiten

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Dieses 1:3 gegen Frankfurt im November kann man genau wie das 2:2 nach 2:0-Führung in Mainz vor einer Woche wohl unter "shit happens" verbuchen. Schließlich kassierte Gladbach gegen die Mannschaft von Thomas Schaaf die einzige Heimniederlage in der Bundesliga in den vergangenen 17 Spielen. Passieren musste das nicht, ist es aber. Seit dem 1:2 gegen Augsburg am 8. März 2014 hat der VfL zwölfmal gewonnen im Borussia-Park und viermal Unentschieden gespielt, bei 34:13 Toren. Völlig legitim ist es, angesichts der kommenden Gäste aus Dortmund, Wolfsburg, Leverkusen und Augsburg das Restprogramm im eigenen Stadion mit dem Prädikat "Hammer" zu versehen. Allerdings werden Jürgen Klopp, Dieter Hecking, Roger Schmidt und Markus Weinzierl in den Pressekonferenzen vor den Spielen mit Vorliebe auf Gladbachs Heimstärke verweisen.

6. Regenerieren und rotieren

Zum siebten Mal in dieser Saison hatten die Borussen vor einem Bundesligaspiel unter der Woche frei — drei Tage lang musste sich niemand auf dem Trainingsplatz blicken lassen, vier Tage bereitete Favre die Mannschaft auf Hannover vor. Deshalb durfte man die Aufstellung mit Spannung erwarten. Bis auf Julian Korb waren alle fit, die zumindest als Immer-mal-wieder-Stammkräfte durchgehen. Drei Neue standen schließlich in der Startelf — Dominguez, Herrmann und Hazard. Favre rotierte weiter, diesmal jedoch mit dem Effekt, dass er so etwas wie eine Stammelf präsentierte. Im Saisonendspurt könnte das Kräftekalkül vom Leistungsprinzip abgelöst werden. Bis zum Spiel beim FC Bayern hat die Borussia wieder unter der Woche frei, von sieben ausgeruhten Auftritten gewann sie übrigens sechs.

7. Dauerbrenner auf links

"Ich will immer auf dem Platz stehen", sagte Oscar Wendt bereits am 16. September 2014. Da das bis zur Winterpause nur etwa in der Hälfte der Zeit der Fall war, äußerte sich der Schwede im Trainingslager in Belek so: "Hoffentlich kann ich mehr spielen als in der Hinrunde." Mit 900 Einsatzminuten in elf Pflichtspielen wird Wendt damals selbst nicht gerechnet haben. Er ist unverhofft zum Dauerbrenner auf der linken Abwehrseite mutiert. Nur gegen Köln saß er auf der Bank. Wendt hat seine Nachlässigkeiten, insbesondere die beim Spiel in Sevilla, mit beherzten Dauerläufen inzwischen vergessen gemacht. Mitunter geht das noch zulasten des Überblicks im Rückwärtsgang, aber so ist das Spiel von Borussias mit Abstand offensivstem Außenverteidiger angelegt.

8. Vorhersehbar und stolz

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Lucien Favre hat der "Welt am Sonntag" ein ausführliches Interview gegeben. Die Freunde des Favre-Phrasen-Bingos kommen natürlich auf ihre Kosten: "Wir denken von Spiel zu Spiel", "Wir müssen Spiel für Spiel nehmen", "Aber es ist die Wahrheit", "Man weiß nie, was in der Zukunft passiert", "Sorry, das ist die Realität" — alles drin. Aber dieses Gebetsmühlenhafte spiegelt eben auch wider, dass da einer seit mehr als vier Jahren solide arbeitet und sich selbst am allerwenigsten vormacht. Gleichzeitig verrät Favre: Ein anderer Verein reize ihn nicht sonderlich, Dantes Rückkehr sei "definitiv unmöglich" und wie respektvoll vor den Spielen gegen Sevilla in Spanien über die Borussia gesprochen wurde, macht den Trainer sichtlich stolz. Und bis Favres Ära die von ihm für unmöglich gehaltene Marke von zehn Jahren erreicht, ist es ja noch etwas hin.

9. Sensibles Thema

Allzu vermessen wäre es nicht gewesen, einen ausverkauften Borussia-Park zu vermelden, obwohl 4926 Plätze leer blieben. Die meisten davon befanden sich im Hannoveraner Gästeblock, wo etwa 300 Fans ein Bild abgaben wie die TuS Koblenz oder der SV Wehen-Wiesbaden zu Zweitliga-Zeiten. Aber das Thema Fans ist in diesen Tagen in Hannover ein äußerst sensibles. Vereinfacht lässt es sich auf die beiden Nenner "Martin Kind" und "Ultras" reduzieren. Dagegen liegen sich Vereinsführung und Fans in Köln selbst nach einem Platzsturm liebkosend in den Armen. Borussias Ultras von "Sottocultura" gaben am Sonntag mit Bannern und "Martin Kind, Du Sohn einer Hure"-Rufen ihr Statement dazu ab. Was der Rest der Nordkurve davon hielt, zeigten spontane "Vau-Eff-Ell!"-Rufe, die die Verunglimpfungen übertönten.

10. Kein Hahn, kein Kruse

Manchmal sind auch Themen ein Thema, die gar kein Thema waren. In bewährter Tradition seiner Vorbilder Max Kruse und André Hahn hätte Lars Stindl in der 56. Minute den überraschenden Ausgleich für Hannover erzielen oder zumindest vorbereiten müssen. So läuft das nämlich, wenn Sportdirektor Max Eberl einen Spieler mit festgeschriebener Ablösesumme ins Visier genommen haben soll. Bald darauf gibt es dann die Vollzugsmeldung. In weiser Voraussicht hatte Stindl vor zwei Wochen jedoch eine Gelb-Rote-Karte gesehen und sich anschließend noch etwas zu kritisch gegenüber einem Schiedsrichter-Assistenten geäußert. Das gab ein Spiel Sperre zusätzlich und deshalb war das Thema Stindl — zumindest am Sonntag — überhaupt kein Thema.

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