Borussia Mönchengladbach Die müssen doch nur spielen

Mönchengladbach · Die Ballbesitz-Statistik hat nicht mehr den besten Ruf. Borussia bildet allerdings eine Ausnahme: Je häufiger sie am Ball ist, desto besser läuft es. So gelang Dieter Heckings Mannschaft beim 2:2 in Augsburg ein regelrechtes Marathon-Tor mit 21 Pässen.

Augsburgs Raphael Framberger abgeschüttelt und den Blick auf den Ball gerichtet: Raffael sorgt für die nötigen Geistesblitze bei Borussia.

Augsburgs Raphael Framberger abgeschüttelt und den Blick auf den Ball gerichtet: Raffael sorgt für die nötigen Geistesblitze bei Borussia.

Foto: Imago

Quizfrage: Welche beiden Borussen waren bei allen drei Bundesligatoren in dieser Saison am Ball? Auf die erste Lösung kann man kommen. Lars Stindl hat noch nicht als Vollstrecker geglänzt, dafür aber den vorletzten Pass beim 1:0 gegen Köln auf dem Konto, die Vorlage zum 1:1 in Augsburg, und er hatte beim Marathon-Tor zum 2:1 (21 Pässe in 67 Sekunden) viermal seine Füße im Spiel.

Der zweite Gesuchte ist eher einer, der auf dem Weg zum Tor ganz am Anfang steht: Jannik Vestergaard. Nachdem der Däne vor gut einem Jahr aus Bremen gekommen war, dauerte es eine Weile, bis die fragenden Blicke verschwanden, wenn von seinem erhabenen Spielaufbau die Rede war. Oft positioniert sich Vestergaard links am Strafraum, wenn es losgeht. Borussia ist keine Mannschaft, deren Trainer mit Stoppuhr am Spielfeldrand steht und die Einhaltung einer Zehn-Sekunden-Regel einfordert. Ein typischer Gladbacher Angriff beginnt tief in der eigenen Hälfte, auch wenn der Weg so weit ist.

Die kommenden Gegner müssen sich gar nicht stundenlang in den Videoraum einschließen. Was Borussia stark macht, unterstrichen in Augsburg der 19-Sekunden- und der 67-Sekunden-Schnipsel zu beiden Toren. Stindl hatte vorab erklärt gesagt, dass Dieter Hecking von den Spielern "diszipliniertes Auftreten" verlange, ihnen aber auch "die kreative Freiheit" lasse. Denis Zakarias Solo und der Doppelpass mit Stindl waren zwei Geistesblitze, die das Schema aufbrachen, genau wie Raffaels Tänzchen gegen Martin Hinteregger, der so aussah, wie man sich einen Österreicher im Sambakurs gemeinhin vorstellt.

Aktionen dieser Art lassen sich kaum planen, ein Stück weit muss Borussia sich auf die individuelle Klasse ihrer Profis verlassen - und darauf, dass die Besten gesund sind. Einstudiert werden kann dagegen das Grundgerüst. "Der Spielaufbau ist eine der unterschätzten Waffen der Gladbacher: Dank ihres spielstarken Mittelfelds und den sich ständig zurückfallenden Stürmern gibt es im Aufbau viele Wege nach vorne. Die Verteidiger warten geduldig, bis sich die Möglichkeit für das Spiel nach vorne ergibt", schrieb Taktikexperte Tobias Escher und prophezeite: "Gladbach dürfte auch in der neuen Saison in vielen Spielen ein Ballbesitzplus haben."

Die ersten 180 Bundesliga-Minuten haben das bestätigt. 50 Minuten gegen Köln und 35 in Augsburg war Borussia dominant. Während andere Teams geruhsame Ballbesitzphasen eher als Mittel der Entlastung einsetzen, benutzt Heckings Mannschaft sie wie ein schleichendes Gift. Oft wird das von Kritikern als langweiliges Hinten-rum-Spielen bezeichnet, doch Wendts Tor nach 67 Sekunden ohne Augsburger Ballberührung wäre vermutlich nie gefallen, wenn Christoph Kramer nach 45 Sekunden nicht die Muße gehabt hätte, noch einmal abzubrechen und neu aufbauen zu lassen.

Vor 20 Jahren war es innovativ, wenn im Fernsehen die Ballbesitz-Statistik eingeblendet wurde. Inzwischen ist angekommen, dass ihre Aussagekraft für das Ergebnis des Spiels begrenzt ist. Borussia dürfte eine der Ausnahmen bilden. Ballbesitz steht bei ihr ganz besonders für Kontrolle, in beiden Ligaspielen ging sie über einen längeren Zeitraum verloren. Streng genommen beginnt der Spielaufbau ohne Ball - in den Zweikämpfen. Von denen gewann Gladbach in Augsburg nur 42 Prozent, gegen Köln waren es 55 gewesen. Auch Vestergaard blieb am Samstag unter seinem Schnitt.

(RP)
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