Borussia Mönchengladbach Verrückt wie fast noch nie

Mönchengladbach · Überspitzt formuliert, ist die Borussia zu diesem Zeitpunkt der Saison der schlechteste Dritte der vergangenen 20 Jahre – sagt die Statistik. Trotzdem sind die Lobeshymnen nicht umsonst gesungen worden. Der Blick auf die Tabelle offenbart die Anarchie in der Bundesliga.

Gladbach ist der schlechteste Dritte in 20 Jahren
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Gladbach ist der schlechteste Dritte in 20 Jahren

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Foto: Dieter Wiechmann

Überspitzt formuliert, ist die Borussia zu diesem Zeitpunkt der Saison der schlechteste Dritte der vergangenen 20 Jahre — sagt die Statistik. Trotzdem sind die Lobeshymnen nicht umsonst gesungen worden. Der Blick auf die Tabelle offenbart die Anarchie in der Bundesliga.

Einfach nachvollziehen lässt sich die Bundesliga Ende November nur auf einer Position. Man scannt die Tabelle von oben nach unten. Permanent springt das Auge wie bei einem rasanten Tennis-Ballwechsel. Konstant und unbeweglich, wie das Netz auf dem Court, ist nur der FC Bayern — und "hinter Bayern ist Anarchie", wie die Süddeutsche Zeitung vergangene Woche titelte. Ist die Liga wirklich so eng, offen und spannend wie nie? Ein Faktencheck.

Das Prädikat "Bayern-Jäger" hat Borussia Mönchengladbach so schnell und entschlossen abschütteln können wie jeder andere Kandidat der ersten zwölf Spieltage. Erst gab es eine Woche zum Schnuppern auf Platz zwei, dann nach kurzer Unterbrechung zwei oben drauf. Anschließend gaben die Borussen das Jäger-Zepter ohne Substanzverlust an den VfL Wolfsburg weiter, der lediglich den VfB Stuttgart höher besiegte als Gladbach die TSG Hoffenheim und aufgrund der besseren Tordifferenz vorbeizog.

Es folgte vergangenes Wochenende Wolfsburgs billiger Versuch, sich des zweiten Platzes durch ein 2:3 beim in dieser Saison chronisch biederen FC Schalke zu entledigen. Das misslang, weil die Borussia gleichzeitig ihre erste Heimpleite gegen die mit fünf Niederlagen in Folge angereiste Eintracht aus Frankfurt kassierte.

Noch immer ist Gladbach Dritter, vor Bayer Leverkusen, das im direkten Duell Hannover 96 besiegte, den aktuell Fünften der Liga. Sechster ist der FC Augsburg, der am dritthäufigsten gewonnen und am dritthäufigsten verloren hat. Knapp dahinter kommt Schalke, das gefühlt ja eine nicht minder schwierige Saison durchlebt als Stuttgart oder Borussia Dortmund. So ließe sich das bis unten fortführen, mit anarchischen Momenten bei jeder Mannschaft.

Lucien Favres Gladbacher sind so nachhaltig gelobt worden wie vielleicht seit den 70er-Jahren nicht mehr. Erst waren sie noch kein Spitzenteam, dann musste nur noch an ein paar Stellen nachgebessert werden. Spätestens, als die Borussia die Bayern Ende Oktober mit einem Punkt zufrieden auf den Heimweg schickte, konnte sie sich des Spitzenteam-Daseins sicher sein. Aber die Saison 2014/2015 wäre im ersten Drittel keine anarchische, wenn jetzt nicht der große Einwand käme: Sowohl 2011 als auch 2013 hatte Gladbach zum gleichen Zeitpunkt mehr als die aktuellen 20 Punkte gesammelt.

Wir erleben keine einzigartige Spielzeit, aber gewiss eine mit Seltenheitswert. Denn noch nie seit Einführung der Drei-Punkte-Regel hatte ein Tabellendritter nach zwölf Spielen weniger Punkte auf dem Konto als der VfL. Noch nie hatte der Dritte erst fünfmal gewonnen, immerhin zweimal war der Abstand zu den Abstiegsrängen geringer. Drei Punkte für einen Sieg gibt es seit 1995, der Datensatz ist mittlerweile also beträchtlich. In einer durchschnittlichen Spielzeit liest sich die Bilanz des Dritten nach zwölf Partien so: 23 oder 24 Punkte, sieben Siege, 13 Punkte Abstand zu Platz 16. Mit 20 Punkten stand man im Schnitt auf dem fünften Platz.

Ein weiterer Ausreißer nach unten ist die Saison 2002/2003. Borussia Mönchengladbach hieß damals VfL Bochum, mit ebenfalls 20 Punkten, aber einem Sieg mehr. Am Ende reichten Stuttgart 59 Punkte für die Vize-Meisterschaft, Arminia Bielefeld stieg mit 36 Punkten ab — eng bis zum Ende. Bestwert nach zwölf Spieltagen sind Leverkusens 28 Punkte und neun Siege aus dem vergangenen Jahr, die Werkself rettete Platz vier knapp ins Ziel.

Etwas bizarr ist es schon: Einerseits wurden die Lobeshymnen zurecht gesungen, andererseits ist Gladbach der statistisch schwächste Dritte der vergangenen 20 Jahre. Es winkt mit einem deutlichen Erfolg in Wolfsburg am Sonntag Platz zwei, in die andere Richtung droht ohne viel Phantasie der Sturz auf Platz sechs. Zur Erinnerung: Es ist Ende November, am 13. Spieltag tendiert die Zahl derjenigen, die immer noch den Blick auf die Tabelle verweigern, gegen Null. Die Bundesliga war schon einmal ähnlich spannend. Chapeau jedoch, wer sich genau daran erinnert, ohne nachschlagen zu müssen.

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