Borussia Mönchengladbach Tore als Kunst - Arango wird uns fehlen

Mönchengladbach · Fünf Jahre lang erfreute der Fußball-Künstler aus Venezuela mit verblüffenden Torschüssen, bei denen er den Ball in unnatürliche Flugkurven zwingen kann. Nun verlässt er Mönchengladbach. Ein Nachruf auf Juan Arangos Tore.

Juan Arango: Alle Freistoß-Tore für Borussia Mönchengladbach
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Juan Arangos Freistoßtore für Borussia Mönchengladbach

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Foto: dpa, Roland Weihrauch

Der Künstler, schrieb der irische Dichter Oscar Wilde, sei der Schöpfer schöner Dinge. Juan Arango ist ein Fußball-Künstler. Er ist ein Schöpfer schöner Tore. 25-mal hat er in seiner Zeit als Borusse für jenes Glücksgefühl gesorgt, das der uruguayische Fußballdenker Eduardo Galeano als "Orgasmus des Fußballs" bezeichnet. Auf Arangos Tore, die fast immer das Prädikat "ästhetisch wertvoll" verdienen, trifft Galeanos Bild in besonderem Maße zu: Die Beziehung, die der Venezolaner zu seinem Arbeitsobjekt, dem Ball, hat, ist nahezu erotisch.

Arango hat die Kunst des kuriosen Schusses zelebriert, wie kein anderer Borusse vor ihm. Es gab Spezialisten, Rainer Bonhof zum Beispiel, doch dessen Art des Schießens war eher brachial denn genial. "Ich habe hier keinen erlebt, der ein besseres Füßchen hatte als Juan", sagt Bonhof, heute Vize-Präsident. "Dieses Gefühl, dieser Touch, diese Genialität, das ist sogar besser als bei Günter Netzer."

Bundesliga 12/13: Traumtor-Maschine Arango
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Arangos linker Fuß ist ein angeborenes Glück, denn diese Ballfertigkeit kann niemand lernen, soviel er auch übt. Das Privileg eines Künstlers ist seine Genialität - und Arangos Könnerschaft ist, dass der Ball ihm stets gehorcht, auch wenn er ihn in noch so unnatürliche Flugbahnen zwingt. Kunst soll ein Anstoß sein querzudenken. Arangos Schüsse sind fußballerisches Querdenken - denn wer rechnete schon mit dem verblüffenden Freistoß in Hannover, der Borussia in letzter Sekunde den so wichtigen Sieg einbrachte? Und wer staunte nicht über den fulminanten Volleyschuss nach dem weiten Pass von Havard Nordtveit gegen Wolfsburg - übrigens eines der Lieblingstore Arangos, eines von vielen, die in der vereinsinternen Tor-des-Monats-Wertung vorn lagen. Oder wer konnte ahnen, dass Arango, fast auf dem Hosenboden sitzend, den Ball gegen Mainz aus 44 Metern Distanz hineinzirkeln würde ins Tor?

Dieser Schuss bekam auch die Anerkennung, die so viele Arango-Tore verdient gehabt hätten: Er wurde in der Sportschau zum Tor des Monats gewählt. Dass der scheidende Borusse damals im Dezember 2012 nicht auch das schönste Tor des Jahres schoss, war nur der Tatsache geschuldet, dass der wilde Schwede Zlatan Ibrahimovic einen Fallrückzieher im Irgendwo machte und dieses "Jahrhunderttor" die Wähler noch mehr verblüfft hat.

"Leichtigkeit und Schwere" hat der Systemtheoretiker Niklas Luhmann als die beiden Seiten des Fußballs beschrieben und dem Ball mit seiner Rundheit als Symbol zugewiesen. Arangos Schüsse sind leicht und schwer zugleich. Wenn er schießt, sieht es so unendlich leicht aus, so selbstverständlich - doch wer es nachahmen will, der merkt: Es ist unmöglich, das zu können.

Arangos letzte Tage bei Borussia brechen an
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Arango spricht nicht viel. Seine Sprache ist die Ballfertigkeit. Wie sich andere Künstler in ihren Werken ausdrücken, drückt er sich in seinen Toren aus. Das Tor ist für ihn nicht Mittel zum Zweck, es ist für ihn eine Frage des Stils. "Schön" sind für Arango nur Tore, die technisch anspruchsvoll sind. "Er hat den Torschuss zur Kunstform erhoben", urteilte die FAZ. Und es ist wie bei vielen Künstlern: Seine Kunst ist komplex. "Die einfachen Tore sind für mich schwierig, die schwierigen einfach", sagt Arango.

Gegen den 1. FC Köln hat er es sogar mal geschafft, sein eigenes Freistoß-Tor bis ins Detail zu kopieren. Andy Warhols Motiv-Multiplikation wird als ein Ausdruck der Ersetzbarkeit interpretiert, als Auflösung der Individualität. Arangos Vervielfältigung des eigenen Treffers zeigt nichts als das grenzenlose Selbstvertrauen in die eigene Kunst, das jedem Selbstzitat inne ist.

Nun geht Arango nach fünf Jahren. "Kein Lubitsch mehr", sagte Billy Wilder, als der von ihm so verehrte Regisseur köstlicher Komödien starb, "aber schlimmer noch: keine Lubitsch-Filme mehr!" So ist es auch mit Juan Arango: Er wird uns fehlen, weil uns seine Zaubertore fehlen werden.

(RP)
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