Borussia Mönchengladbach Jantschke: "Hier steht kein Spieler über der Mannschaft"

Mönchengladbach · Borussias Urgestein Tony Jantschke spricht über die Entwicklung des Vereins, zu viel Social Media, Positives zu RB Leipzig und die neuen Kollegen.

 Tony Jantschke ist Borussias Urgestein.

Tony Jantschke ist Borussias Urgestein.

Foto: Dirk Päffgen

Herr Jantschke, wie geht es Ihnen?

Tony Jantschke Bestens! Ich kann mich nicht beklagen, bin gut in die ersten zwei Trainingswochen gekommen, der Körper spielt mit.

War 2015/16 angesichts ihrer langwierigen Verletzungen die schwierigste Saison Ihrer Karriere?

Jantschke Das würde ich nicht sagen. Meine ersten beiden Saisons waren schwieriger, weil ich da noch kein gestandener Profi war. Ich hatte bei Hans Meyer meine ersten drei Bundesligaspiele gemacht und die recht ordentlich - und war dann in der Rückrunde wieder außen vor. Für einen Jungprofi ist es schwer, das zu begreifen. Bei Michael Frontzeck war ich immer im Kader, kam aber nur auf sechs Spiele. Dann hatte ich einen Mittelfußbruch. Jetzt war ich einige Jahre lang Stammspieler und hatte eine Seuchensaison. Damit kann man besser umgehen. Zumal ich ja meine 15, 16 Spiele hatte.

Trotzdem: Borussia ist eine ganz andere geworden in den Monaten Ihrer Reha.

Jantschke Das kann man wohl sagen. Die Spielweise, die Trainingsinhalte, die Ansprache - all das hat sich im Vergleich zu den fast fünf Jahren zuvor verändert. Klar, man muss sich daran gewöhnen, aber ich hatte ja auch in den ersten Karrierejahren verschiedene Trainer mit verschiedenen Ansätzen: Jos Luhukay, Hans Meyer, in der Jugend Christian Ziege, Uli Sude, dann Frontzeck und schließlich Lucien Favre - es gehört zum Fußball dazu, mit verschiedenen Trainern zu arbeiten. Und wer hätte gedacht, dass wir überhaupt fast fünf Jahre denselben Trainer haben? Deswegen: Alles ist gut.

Sie sind in jedem Fall eines der wenigen Relikte aus der Generation Relegation. Ist dieser Geist, der damals, im Sommer 2011, entstanden ist, noch da?

Jantschke Ich glaube, der Zusammenhalt, der sich damals entwickelt hat, ist noch da. Das merkt man gerade in den schwierigen Phasen, wie in der vergangenen Saison, als wir in Ingolstadt und Hannover verloren haben. Da kam ein bisschen Unruhe auf - aber wir haben die Ruhe bewahrt. Das ist die Stärke, die wir aus der Zeit der Relegation mitgenommen haben. Dazu ist im Verein alles geradeaus, sehr gut strukturiert - auch das kommt sicher aus der Phase damals.

Ist es in Sachen Demut vielleicht ein Nachteil, dass so langsam die Generation der Spieler herauswächst, die weiß, wie nah auch der Abgrund sein kann?

Jantschke Die neue Generation der Spieler ist da etwas anders, als meine es ist. Das Selbstvertrauen ist groß. Da ist keiner, der nach fünf Niederlagen verzweifelt und sagt: So ein Mist. Die Jungs tangiert das nicht, sie glauben immer daran, dass es im nächsten Spiel besser wird. Da überwiegt das Positive. Das lernen die Spieler immer mehr in der Ausbildung. Es wird viel mehr gelobt, früher gab es mehr Kritik.

Woran liegt das?

Jantschke Früher wurde man als junger Spieler noch länger klein gehalten, noch zu meiner Zeit, vor sechs, sieben Jahren. Man musste sich hinten anstellen und sich reinkämpfen. Ich hätte mich nie getraut, als Spieler, der gerade zu den Profis gekommen ist, einem der arrivierten Spieler Widerworte zu geben, einem Patrick Paauwe oder Sascha Rösler. Wenn man mit 22, 23 Stammspieler war, dann war man schnell. Heute hat man in dem Alter schon 100 Bundesligaspiele. Es ist eine andere Zeit. Der Fußball ist taktisch weiter, ist athletischer. Durch die Leistungszentren sind die jungen Spieler besser ausgebildet. Aber vor allem hat sich das Drumherum geändert. Die Jungs werden mit 17 Profi, bekommen tolle Verträge und werden gehypt.

Überdreht das System nicht irgendwann?

Jantschke Das weiß man nicht. Im Moment ist es eben so. Aber vielleicht sind in einigen Jahren wieder mehr erfahrene Spieler gefragt. Wie jetzt bei der EM die Italiener. Die haben es doch toll gemacht. Da hat der Trainer gesagt: Es gibt keine alten und jungen Spieler, sondern nur gute oder schlechte, fitte oder nicht fitte. Das ist auch mein Motto. Ich würde einen Martin Stranzl auch mit 40 spielen lassen, wenn er fit ist.

Weil er ein Führungsspieler ist? Borussia sind ja einige abhandengekommen.

Jantschke Auch das ist ein wenig schwammiger geworden. Früher gab es drei Leute, die das Sagen hatten. Heute ist das im Team auf viele Schultern verteilt. Letztes Jahr hat Granit Xhaka die Ansagen auf dem Platz gemacht, drumherum waren Spieler für andere Sachen zuständig.

Trotzdem wird die Kapitänsfrage gestellt. Genau genommen sind Sie der amtierende Kapitän.

Jantschke (grinst) Bei manchem werde ich in der Sache nicht mal mehr erwähnt. Da sieht man, wie schnell das alles geht. Aber ich brauche das auch nicht, ganz ehrlich. Man hat dadurch sowieso keinen Vorteil, im Gegenteil. Als Kapitän musst du zu jedem Interview, auch nach den miesen Spielen, nach denen du am liebsten gar nichts sagen willst. Auch beim Schiedsrichter hast du keinen Vorteil. Und die Binde ist auch längst keine Stammplatzgarantie mehr. Darum denke ich, dass die Debatte immer etwas zu hoch bewertet wird.

Aber Kassenwart bleiben Sie trotzdem?

Jantschke Davon gehe ich aus. Als ich in der vergangenen Saison ein paar Mal nicht da war, gab es schon Aufschreie, dass die Disziplin ein bisschen gelitten hat - da ist es schon wichtig, dass ich weiter ein Auge darauf habe. Früher war ich noch härter und habe auf die Sekunde geguckt. Was das angeht, bin ich lockerer geworden. Aber es gibt gewisse Dinge, an die man sich nach wie vor zu halten hat. Allerdings wird unserer Kasse ein bisschen was fehlen ohne die ganzen Karten von Granit (grinst). Bei manchen weiß man schon vorher: Es gibt am Ende der Saison einen netten Scheck.

Werden die neuen Spieler eigentlich noch immer in ein vorherrschendes Borussia-Gefühl aufgenommen?

Jantschke Natürlich verändert sich ein Gefühl innerhalb eines Teams immer auch mit den Leuten, die da sind. Trotzdem ist es eine Stärke von Gladbach, dass jeder, der kommt, weiß: Bei Borussia gibt es keinen, der über der Mannschaft steht. Das ist das Prinzip, und das merkt auch jeder, der neu dazu kommt. Das findet auch jeder gut, denn so liegt nicht zu viel Last auf einem Einzelnen, wie es manchmal in anderen Vereinen ist. Darum fühlen sich die Neuen bei uns auch immer sehr schnell wohl und können sich leicht integrieren.

Gefällt Ihnen das neue Team?

Jantschke Ja, auf jeden Fall. Wir haben inzwischen ja eine sehr junge Mannschaft, der Trend geht immer mehr dahin, internationale Toptalente zu verpflichten. Trotzdem haben wir auch genug erfahrene Spieler, die das ein bisschen lenken. Auch ein Jannik Vestergaard, der zwar auch noch jung ist mit 23, aber schon über 100 Profispiele hat. Damit ist er schon sehr erfahren. Insgesamt haben wir wieder eine gute Mannschaft, das darf man wohl sagen.

Jede Position ist mindestens vierfach besetzt - entsprechend hat Trainer André Schubert gesagt, dass es keine fixe Startelf mehr geben wird. Wie geht man als Spieler damit um?

Jantschke Der Fußball geht ja generell in diese Richtung. Man sieht ja auch bei der Europameisterschaft, dass immer mal wieder etwas verändert wird. Früher spielte bei so einem Turnier ein Team durch, wenn sich keiner verletzte, heute wird immer mal was angepasst, das System geswitcht. Was unser Team angeht, ist da einfach eine Entwicklung: Vor gar nicht so langer Zeit hatten wir eine Bank, auf der 40 Bundesligaspiele saßen. Mittlerweile sitzen da 300 Bundesligaspiele - und nochmal 200 auf der Tribüne. Wir haben in der Breite viel Qualität zugelegt. Daher ist abzusehen, dass es auch in dieser Saison wieder Härtefälle geben wird.

Gibt es keine unzufriedenen Spieler? Das Gefühl hat man zumindest. Oder ist die gewachsene interne Kontrolle im Kader so stark?

Jantschke Sicherlich ist das eine Stärke bei uns. Aber natürlich gibt es auch bei uns unzufriedene Spieler. Man kann davon ausgehen, dass jeder spielen will, in der Liga, natürlich in der Champions oder Europa League. Auch ich war enttäuscht, dass ich in der Champions League nicht eingewechselt wurde, obwohl ich im Jahr zuvor über 40 Spiele gemacht hatte. Aber die Pillen muss man schlucken. Man weiß als Spieler: Wenn man ausschert, katapultiert man sich schnell ins Aus, eben weil der Kader so breit aufgestellt ist.

Schauen wir auf die Bundesliga. Am vierten Spieltag geht es zum Aufsteiger RB Leipzig. Sie als Sachse müssten sich darüber freuen.

Jantschke Ja, und ich verstehe auch die Leute nicht, die so über Leipzig schimpfen und sagen: Das ist nur Kommerz. Ich sehe nichts Böses dahinter, es wird ja kein Gesetz verletzt. In anderen Ländern ist so etwas normal, es gibt nun mal immer mehr Einnahmen. RB pumpt das Geld ja auch wieder auf den Markt, und zwar nicht, indem es fertige Stars holt, sondern ebenfalls viele junge Spieler. Damit liegt man im Trend. Und für den Osten ist es jedenfalls eine tolle Sache, wieder eine Bundesligisten zu haben.

Warum sehen so viele Leute das Ganze negativ?

Jantschke Das kann ich nicht sagen. Ich sehe da wirklich nichts Verwerfliches. Der Sponsor hat sich nun mal Leipzig ausgesucht, es hätte auch Münster sein können, oder ein anderer Klub. Auch Dynamo Dresden hatte, soviel ich weiß, mal so eine Möglichkeit, hat sich aber dagegen entschieden. Das muss jeder Verein selbst wissen. Ich kann nur sagen: Für die Region ist es wichtig.

Sie sind bekanntlich ein großer Freund des US-Sports. Wann, glauben Sie, wird es wie in den USA, Interviews auch in der Kabine geben, die im Fußball hier noch immer ein Heiligtum ist?

Jantschke Puh, da habe ich gar keine Idee, wie sich das entwickeln wird. Es sind ja zwei komplett unterschiedliche Systeme. Die Amerikaner sind in Sachen Social Media natürlich viel weiter, sie vermarkten sich ganz anderes als wir hier.

Ihr gängiger Zimmergenosse Christofer Heimeroth verweigert sich dem Thema Social Media total.

Jantschke Heimi hat, glaube ich, noch nie was davon gehört. Andere aus dem Team sind sehr aktiv. Ich bin irgendwo dazwischen. Ich habe meine Fan-Seite bei Facebook, aber privat bin ich nirgendwo angemeldet. Die Fan-Page mache ich mit meinem Bruder zusammen, der macht solche Sachen hauptberuflich. Aber ich poste da nicht täglich etwas, ich nutze es vor allem für Projekte, die ich mit Kindern mache wie die Fußballcamps. Manchmal schreibe ich ein paar Sätze zu Borussia, zum Beispiel wie ich mich nach einem Sieg fühle. Aber mein neues T-Shirt poste ich nicht. Da sehe ich keinen Mehrwert für mich. Ich denke, es interessiert die Leute nicht, dass ich im Bus zum Auswärtsspiel sitze. Mir ist es viel wichtiger, dass ich drin sitze. Dann bin ich nämlich im Kader.

(RP)
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