Serie Profifußball Jungs ohne Jugend

Mönchengladbach · Berufssportler werden bejubelt, bewundert, beneidet. Dass zum Profisport aber auch Opfer und Schattenseiten gehören, beleuchtet unsere Serie. Für die erste Folge haben wir Nico Elvedi von Borussia Mönchengladbach besucht.

Nico Elvedi im Porträt: Seit 2015 bei Borussia Mönchengladbach
22 Bilder

Das ist Nico Elvedi

22 Bilder
Foto: Dirk PŠffgen/Dirk Paeffgen (dirk)

Das muss Nico Elvedi dann doch klarstellen. "Ich fühle mich immer noch wie 20", sagt der Schweizer und lacht. Am biologischen Alter des Verteidigers von Borussia Mönchengladbach bestehen keine Zweifel. Er ist 20, und er sieht auch so aus. Trotzdem fragt sich der geneigte Beobachter, ob Elvedi nicht vielleicht doch schon mit 13 Jahren im Profifußball angefangen hat, so unbeeindruckt wirkt er mitunter auf dem Platz.

Dabei verläuft Elvedis Entwicklung noch gar nicht lange so rasant, er kann das mit der Biografie seines Zwillingsbruders Jan abgleichen: Bei der Geburt ließ Nico ihm noch den Vortritt, bis zur U15 beim FC Zürich verlief ihre Entwicklung parallel, dann überholte Nico den fünf Minuten älteren Bruder, und nun hat er schon Phasen erlebt, in denen er in der einen Woche Champions League mit Borussia und in der nächsten Woche Qualifikation zur Weltmeisterschaft mit der Schweizer Nationalmannschaft spielte. "Ich bin froh, dass es so schnell gegangen ist", sagt Elvedi.

Mit zehn Jahren vom Heimatverein in der kleinen Gemeinde Greifensee nach Zürich, mit 17 der erste Profivertrag und das Ligadebüt, mit 18 Europa League, mit 19 Champions League, Länderspieldebüt und Europameisterschaft, mit 20 Borussias Feldspieler mit den meisten Einsatzminuten in der Hinserie - wenn pro Zeiteinheit immer mehr hinzukommt, nennt der Mathematiker das exponentielles Wachstum. Elvedi ist ein Paradebeispiel und macht nicht den Eindruck, als fühle er sich jemals von sich selbst abgehängt. Er hat es eben auch ganz nach oben geschafft.

In ganz jungen Jahren habe die Familie den Aufwand noch etwas mehr gespürt. "Am meisten meine Mutter, weil der Trainingsplatz etwa 30 Kilometer weg war. Sie hat den ganzen Tag gearbeitet und musste mich dann noch fahren", erzählt Elvedi. Als junger Teenager ging er auf eine Sportschule - zweimal in der Woche morgens Training, dreimal abends. "Die Mischung aus Schule und Fußball war eigentlich perfekt", sagt Elvedi. Die Kumpels seien damals aber schon eher aus der Mannschaft gekommen. "Ich war ja den ganzen Tag unterwegs. Um dann noch etwas mit den Freunden aus Greifensee zu unternehmen, war ich in der Regel zu müde", sagt der Defensivallrounder.

Ein richtiger Fulltime-Job ist das Profidasein für Elvedi trotzdem erst seit etwa einem halben Jahr. Vorher hat er noch eine kaufmännische Ausbildung absolviert, die aus zwei Jahren Schule und zwei Jahren Arbeit bestand. Im Sommer reiste Elvedi dann von den Abschlussprüfungen direkt zur Europameisterschaft. "Für mich war es oft nicht leicht, mich für die Ausbildung zu motivieren, weil ich nur Fußball spielen wollte", sagt er. "Aber für meine Eltern war das wichtig, dass ich sie zu Ende bringe. Und es ist gut, dass ich sie habe."

Die Ausbildung ist bis vor kurzem wohl auch noch ein Anker in die "normale Welt" gewesen, so würden es Außenstehende bezeichnen. "Ich bin schon meistens in dem Fußballkreis drin", sagt Elvedi. "Nach dem Training mache ich was mit den Mitspielern. Es ist als Fußballer immer etwas gefährlich, wenn dich jemand anspricht und weiß, dass du Profi bist." So sind die Bindungen außerhalb dieses geschlossenen Kreises Profifußball meistens familiärer Natur.

Während andere Altersgenossen morgens ins Büro fahren oder im Auslandssemester innerhalb und außerhalb des Hörsaals fürs Leben lernen, spielt der 20-Jährige - ganz knapp ausgedrückt - Fußball. Das mögen viele für ein bisschen wenig halten, zumindest für eintönig. Einen richtigen Ausgleich scheint Elvedi aber nicht zu benötigen, geschweige denn einen bewusst gewählten Gegenpol zum Leben in der Fußball-Welt. "Ich mag es, wenn ich einfach zu Hause sein und etwas chillen kann, Fernsehen schauen, zocken. Das tut mir immer gut, um den Kopf etwas zu lüften", erklärt der Verteidiger. Und wie sähe ein Berufsleben ohne Profifußball aus? "Ein Bürojob wäre wohl nicht mein Ding gewesen." Stattdessen? "Das kann ich gar nicht sagen, ich weiß es nicht."

Über die Weihnachtstage ist Elvedi mit seiner Freundin nach Dubai geflogen. Wie andere 20-Jährige teilt er seine Fotos bei Instagram. Dennoch leben Elvedi und andere 20-jährige in verschiedenen Welten. Spannend wird es dann erst wieder, wenn sie in zehn, 15 Jahren aufeinandertreffen. Nach der Karriere.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort