Borussia Mönchengladbach Kontrolle und Spektakel

Mönchengladbach · Vor sechs Jahren gab es ein wildes 5:3 gegen Hannover, den heutigen Gegner der Borussen. Spiele wie dieses gibt es in der Ära Favre selten, weil der Trainer will, dass sein Team das Spiel kontrolliert. Die Frage ist: Wie spektakulär kann Kontrollfußball sein?

Mögliche Strafraumstürmer für Borussia
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Lucien Favre predigt Kontrolle. Ballbesitz ist Kontrolle. Denn wer den Ball hat, kontrolliert das Spiel. Es ist eine logische Formel: "Wenn man den Ball hat, haben die anderen ihn nicht und können keine Tore machen", sagt Borussias Trainer. Und: Wer den Ball hat, kann sein Spiel machen. Also gönnt Borussias Trainer dem Gegner den Ball nicht. Darum nörgelte er in Mainz. 54 Prozent der Spielanteile hatte Borussia, "das waren ein paar Prozent zu wenig", monierte Favre. Er meinte die letzten 17 Minuten. Zuvor hatte Borussia den Gegner total im Griff, führte 2:0. Dann gab es Ballverluste, und die sind nun mal der Feind des Ballbesitzes. Doch Favre stellte weitere Kontrollverluste fest. "Wir haben die Emotionen nicht kontrolliert. Und nicht die Bälle in der Luft", sagte Favre.

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Aus dem 2:0 wurde ein 2:2. Und aus einem Spiel mit klaren Verhältnissen wurde nach dem 30-Meter-Freistoß-Tor von Johannes Geis ein wildes Treiben - für einen Kontrollfreak wie Favre ist das ein Graus. Er hatte so etwas schon zuvor erlebt, beim 2:3 der Borussen gegen Sevilla. Da war das gesamte Spiel vogelwild, weil taktische Konzepte durch das frühe erste Tor der Spanier schnell ab acta gelegt waren. Eigendynamik ist der Fachbegriff für so etwas. Trainer mögen es nicht, wenn es unkontrolliert wird, denn das ist Gift für taktische Pläne. Für den Fan ist es hingegen eine Wonne: Fußball pur, Spaß, gute Unterhaltung.

Die frühen Fohlenteams von Hennes Weisweiler, dem Gladbacher Meistertrainer, hatten stets den Ruf, großes Spektakel zu machen. Weisweilers Motto lautete: "Lieber 4:3 gewinnen als 1:0." Favre sieht es anders. Das 1:0 ist, seit er Borussen-Trainer ist, ein gern gespieltes Ergebnis. Nicht, weil Favre keine Tore mag. Aber er weiß, dass es im Fußball letztlich um Ergebnisse geht und gute Ergebnisse in der Summe Erfolg definieren. Günter Netzer, Weisweilers Star, sah es genauso: Er riet dem Coach zur dosierteren Offensive, um Kräfte zu schonen. Weisweiler moserte, machte sich Gedanken, stärkte mit Luggi Müller und Klaus-Dieter Sieloff die Abwehr und wurde Meister.

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Es dreht sich hier um die Frage: Wie spektakulär kann Kontrollfußball sein? Was das Spektakel angeht, passierte das größte der jüngeren Borussen-Geschichte am 12. Dezember 2009 gegen Hannover 96. Das war ein Spiel der Kategorie: Weißt du noch? Hannover schoss sechs von acht Toren, dummerweise waren 50 Prozent davon Treffer ins eigene Netz. Dass Hannovers Karim Haggui das 1:0 für Gladbach unterlief, weil sein Torwart Florian Fromlowitz ihn anschoss und der Ball ins Tor hoppelte, und Haggui auch den 5:3-Endstand herstellte, war nahezu dramatisch.

Heute kommt Hannover wieder in den Borussia-Park. Favre will gewinnen, wie 2009 das Team seines Vorgängers Michael Frontzeck. Aber er will es auf seine Art tun: mit kontrollierter Offensive, mit Geduld und erlesenem Fußball. In Heimspielen liegt die Ballbesitz-Quote der Borussen zuweilen über 70 Prozent. Es wird sein wie so oft: Borussia spielt und sucht nach der Lücke im dichten Abwehrverbund. Findet sie sie schnell, kann es spektakulär werden. Wie in dieser Saison gegen Schalke (4:1) oder Bremen (4:1).

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Es kann aber auch eine Geduldsprobe werden. Denn das Geheimnis des Ballbesitzfußballs ist nicht allein die Quantität, sondern auch die Qualität: Wer den Ball hat, muss auch etwas Sinnvolles damit anfangen. "Positiven Ballbesitz" nennt Favre das. Das bedeutet, sich hinten keine Blöße zu geben und vorn gute Idee zu haben. Favre hat sein Team wie immer gut vorbereitet: Er plant die Strategie, steuert entsprechend das Training, um dann das Spiel unter Kontrolle zu bekommen.

Doch wie immer gilt: "Der Gegner existiert", wie Favre zu sagen pflegt. Mancher, wie zuletzt Mainz in der Schlussphase, entzieht sich der Kontrolle wie ein glitschiger Aal. Und wenn aus Reaktion Aktion wird, ist die Kontrolle in Gefahr. Favre versucht, diese Gefahr möglichst in den Promillebereich zu minimieren. Das gelingt nicht immer. Vor allem dann, wenn ein paar Prozent Ballkontrolle fehlen. Das hat Favre den Seinen vor dem Treffen mit Hannover noch einmal eingebläut.

Aber das Spektakel lässt sich nicht ganz wegkontrollieren - der Fußball nimmt sich dieses Recht heraus und setzt es mit unvorhersehbaren Rochaden in die Tat um, siehe dass kurios-komische 5:3 gegen 96. Klar ist aber: In der Wertigkeit liegt ein unspektakuläres 2:0 gegen Paderborn höher als ein abenteuerliches 2:2 gegen Mainz oder gar ein vogelwildes 2:3 wie gegen Sevilla. Darum ist die Vorgabe für heute: Erst mal die Sache im Griff haben mit dem unterkühlten Spaßfußball a la Favre, bei dem das Tor das Ziel, der Weg dahin aber die Geduld ist. Und wenn sich dann die Gelegenheit zum Spektakel bietet: Bitte schön!

(RP)
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