Granit Xhaka im Fokus Großer Sport der Schweiz gegen Serbien – und erneut viel Politik im Spiel

Mönchengladbach · Die Tore erzielten andere, Granit Xhaka stand beim 3:2 der Schweiz gegen Serbien in der Rolle als Anführer seiner Mannschaft mehrfach im Mittelpunkt. Nun bangen die Eidgenossen, dass ihr Kapitän nicht von der Fifa nachträglich belangt wird. Viele Gladbach-Fans drücken der Schweiz die Daumen.

 Granit Xhaka (r.) gerät mit Serbiens Nikola Milenkovic aneinander.

Granit Xhaka (r.) gerät mit Serbiens Nikola Milenkovic aneinander.

Foto: dpa/Ricardo Mazalan

Das Phänomen ist beim dritten großen Turnier in Folge zu beobachten: Die deutsche Nationalmannschaft ist ausgeschieden und viele Fans von Borussia Mönchengladbach haben sich mit ihren Sympathien, wenn sie es nicht längst schon getan hatten, der Schweiz zugewendet. Die „Nati“ ist wie 2018 und 2021 eine Runde weitergekommen als das DFB-Team. Nach dem 3:2 gegen Serbien am Freitagabend steht sie im Achtelfinale gegen Portugal und würde am Dienstag (20 Uhr) gerne – zum ersten Mal in der Fußballgeschichte – zwei Runden weiterkommen als Deutschland.

Der Vergleich mit dem größeren Nachbarn ist jedoch kein expliziter Antrieb für die Schweizer, sondern die Vergoldung ihrer besten Fußball-Generation. Der Einzug ins EM-Viertelfinale im vergangenen Jahr war sozusagen die silbrige Vorstufe. Der Sieg gegen Serbien hatte wie so häufig eine Gladbacher Prägung, obwohl die beiden aktuellen Borussen im Kader jeweils mit schweren Erkältungen im Hotelzimmer blieben. Für Yann Sommer stand der Dortmunder Gregor Kobel im Tor, für Nico Elvedi verteidigte Fabian Schär. Auf dem Platz mit Borussia-Vergangenheit: Granit Xhaka, Djibril Sow, Breel Embolo und später Denis Zakaria.

Die prägendste Figur des Abends war der weiterhin teuerste Schweizer Fußballer, 45-Millionen-Euro-Mann Xhaka, von 2012 bis 2016 in Gladbach unter Vertrag. 2009 führte er die U17-Nationalmannschaft als Kapitän zum WM-Titel, nun ist er auf dem Zenit seiner Karriere zu verorten, was Xhaka seit Monaten beim FC Arsenal untermauert, dem souveränen Tabellenführer der Premier League. Das hochklassige Spiel gegen Serbien hätte es verdient gehabt, dass im Nachgang nur über den Sport gesprochen wird, doch die politische Note war nicht zu ignorieren.

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Die Schweiz und Serbien trafen sich wie schon 2018 in Russland in der WM-Gruppenphase, damals war es das zweite Spiel. Xhaka und Xherdan Shaqiri, beide mit kosovarischen Wurzeln, drehten einen 0:1-Rückstand in einen 2:1-Erfolg – und jubelten mit dem sogenannten „Doppeladler“, dem albanischen Wappentier, dafür gab es eine Geldstrafe. Konfliktfrei ging auch das Wiedersehen mit Serbien in Katar nicht über die Bühne.

Seinen Treffer zum 1:0, vorbereitet durch den Ex-Borussen Sow, feierte Shaqiri, indem er einen Finger auf seine Lippen legte. Die „Pssst“-Geste galt den serbischen Fans, die ihn und Xhaka ausgepfiffen hatten. In mitreißenden 30 Minuten, unterbrochen durch die Halbzeitpause, fielen fünf Tore. Sehenswert herausgespielt waren fast alle, das zwischenzeitliche 2:1 für Serbien bejubelte Dusan Vlahovic mit einem kräftigen Griff in den Schritt, die Geste sollte später noch einmal eine Rolle spielen.

BreelEmbolo, noch ein Ex-Borusse, erzielte das 2:2 mit seinem zweiten Turniertor. „Für das, war er kann, macht er eigentlich zu wenig Tore. Der kann wirklich alles, ist aber nicht so furchtbar effektiv. Gemeinsam mit Lukaku ist er vielleicht der beste Spieler mit dem Rücken zum Tor“, sagte ZDF-Experte und Ex-Embolo-Kollege Christoph Kramer. Den schönsten Treffer erzielte Remo Freuler per Direktabnahme nach einer Hackenvorlage des Augsburgers Ruben Vargas. „Das Schweizer Fußballherz wird verwöhnt“, frohlockte die Boulevardzeitung „Blick“.

Es folgten nicht mehr Tore, sondern ein Im-Mittelpunkt-Hattrick Xhakas. Zunächst brachte er in der 66. Minute die serbische Ersatzbank gegen sich auf, indem er sich wie zuvor Vlahovic in den Schritt griff und dies mit beleidigenden Worten garnierte, die im TV alle weggepiept würden. „Die Serben wollten uns provozieren. Sie haben von Anfang an ein paar Dinge gesagt und dann sind ein paar Dinge zurückgekommen“, sagte Manuel Akanji.

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Gelb sah nur der serbische Ersatztorwart, Xhakas Aktion hatte der Schiedsrichter übersehen. Verwarnt wurde der 30-Jährige erst in der Nachspielzeit, als er mit seinem Gegenspieler Nikola Milenkovic der Auslöser einer Rudelbildung war. Dass die Partie lediglich mit dem Höchstwert dieser WM von zehn Gelben Karten und ohne Platzverweis endete, war durchaus verwunderlich. Zumal Xhaka von Serbiens Torwart Vanja Milinkovic-Savic gewürgt wurde und Denis Zakaria, seit der 69. Minute auf dem Platz, zum Kopfstoß ansetzte.

Der VAR schaute sich das Treiben offenbar gelassen an, bestraft wurde keine der Aktionen. Ob Xhaka für seine Provokationen und die Pöbeleien etwas blüht, ist unklar. Für den letzten Aufreger des Abends wird er kaum zu belangen sein: Xhaka feierte den Achtelfinal-Einzug im Trikot seines Teamkollegen Ardom Jashari. ‚Na und?‘, wird sich manch einer denken. Doch die Sache ist mal wieder kompliziert und mal wieder politisch: Jashari hieß auch ein militanter kosovarischer Widerstandkämpfer, der im Kosovokrieg wie seine gesamte Familie von jugoslawischen Polizisten getötet wurde. Der Flughafen in Pristina ist heute nach Adem Jashari benannt.

Dass er sich das Trikot überzog und es so umdrehte, dass „Jashari“ auf seiner Brust stand, hatte für Xhaka nach eigenem Bekunden aber einen völlig anderen Grund. „Da gibt es überhaupt keinen politischen Gedanken dahinter. Ardon ist ein Junge, den ich sehr schätze und mit dem ich tagtäglich viel Zeit verbringe. Ich war in seinem Alter auch fast so weit wie er. Und er holt sich viele Tipps von mir. Ich habe ihm versprochen, dass, wenn ich ein Tor schiesse oder wir gewinnen, ich sein Trikot anziehen werde“, erklärte Xhaka auf der Pressekonferenz, die er als „Man of the Match“ gab.

Verständlich, wenn manch einer diese Verstrickungen unübersichtlich findet. Doch es dürfte aus der hiesigen Perspektive anmaßend sein, Xhaka für seinen Gesamtauftritt zu verurteilen angesichts seiner Familiengeschichte: Vater Ragip wurde einst im damaligen Jugoslawien inhaftiert und gefoltert. Der Kosovo-Konflikt war in den vergangenen Tagen schon präsent gewesen, weil auf einem serbischen Kabinenfoto eine nationalistische Fahne mit den Umrissen des Kosovo in den serbischen Farben aufgetaucht war. Die Fifa leitete ein Disziplinarverfahren ein.

Die Medien in der Schweiz, bei denen Xhaka in der Vergangenheit oft einen schweren Stand hatte, kommentieren die Vorfälle vergleichsweise nüchtern und bangen höchstens mit ihrem Kapitän, dass die Fifa nicht ermittelt. „Die Schweizer können tatsächlich auch zaubern“, titelte „Der Bund“ fast ungläubig angesichts der tollen Tore. Um sich zu vergolden, ist die große Generation der „Nati“ gegen Portugal dringend angewiesen auf Xhakas Einsatz. Gladbach-Fans werden der Schweiz besonders die Daumen drücken.

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