Antisemitische Entgleisungen dokumentiert Gladbach-Ultras fälschen Stadionheft ihrer Kölner Rivalen

Mönchengladbach · Beim Derby-Hinspiel 2022/23 in Gladbach hielten Kölner Fans nur scheinbar eine Ausgabe des Fanzines „Kallendresser“ in der Hand. Gladbacher Ultras hatten das Stadionheft gefälscht, um antisemitische Entgleisungen aus Kölner Kreisen zu dokumentieren. Im eigenen Fanzine äußerten sich die Borussen auch zum Umgang mit rechten Tendenzen in ihren Reihen.

 Fanutensilien, die Kölner Fans geklaut wurden, hängen über dem Zaun der Nordkurve des Borussia-Parks in Mönchengladbach. Für Aufsehen sorgte eine weitere Aktion.

Fanutensilien, die Kölner Fans geklaut wurden, hängen über dem Zaun der Nordkurve des Borussia-Parks in Mönchengladbach. Für Aufsehen sorgte eine weitere Aktion.

Foto: Dirk Päffgen/Dirk Paeffgen (dirk)

Was in Mönchengladbach „Blockflöte“ heißt, ist in Köln der „Kallendresser Kompakt“: ein kleines Heft, Fanzine genannt, das über Ereignisse und Entwicklungen in der Ultra-Szene informiert. An beiden Standorten erscheint es in der Regel nur bei Heimspielen, weshalb sich viele Fans des 1. FC Köln beim Derby am 9. Oktober 2022 gewundert haben dürften, eine vermeintliche Auswärtsausgabe des „Kallendresser“ hundertfach im Gästeblock des Borussia-Parks zu finden. Normalerweise ist die Gruppierung „Coloniacs“ für den „Kallendresser“ verantwortlich.

Allerspätestens auf der 24. und letzten Seite, auf der ein Zwinker-Smiley zu finden ist, dürfte jedem Leser klar gewesen sein, dass an der Sache etwas faul ist. Wie unsere Redaktion erfuhr, haben Gladbacher Ultras eine gefälschte Version des „Kallendresser“ erstellt und hunderte Ausgaben im Gästeblock deponiert. Die „Coloniacs“ haben in diesem Fall weder etwas mit der Erstellung noch mit den darin dokumentierten Entgleisungen zu tun.

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Das Heft, das unserer Redaktion vorliegt, enthüllt antisemitische Äußerungen, die unter anderem Mitglieder der ehemaligen Kölner Ultra-Gruppierung „Boyz“ in Telegram-Chatgruppen von sich gegeben haben sollen. Die „Boyz“ sahen sich in der Vergangenheit bereits mit Rechtsradikalismus-Vorwürfen konfrontiert, haben sich aber im April 2018 aufgelöst, nachdem Gladbacher Ultras ihre Zaunfahne bei einem Spiel in Sinsheim entwendet hatten. Beim Derby am Sonntag wurde sie in der Nordkurve des Borussia-Parks gezeigt und zerstört, wovon sich die Köln-Fans im Gästeblock aber nicht sicht- oder hörbar provozieren ließen.

Die Inhalte aus dem gefälschten Fanzine stammen nach Informationen unserer Redaktion aus einem geklauten Handy. Mehrheitlich zeigen sie, wie in den erwähnten Chatgruppen die Freundschaft einiger Gladbach- und Schalke-Ultras kommentiert wird. Auf Screenshots ist ein Hitlergruß eines Kölners neben einem Schalke-Aufkleber zu sehen, außerdem ein Foto Gladbacher und Gelsenkirchener Ultras, in dessen Hintergrund ein Ofen aus dem Konzentrationslager in Auschwitz montiert worden sein soll, sowie ein Logo, auf dem die Ultra-Freundschaft zwischen Gladbachern und Schalkern als „Bündnis Gelber Stern“ tituliert wird.

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Foto: dpa/Marius Becker

Die Gruppierung „Rascals“, der ehemalige „Boyz“-Mitglieder angehören, hatte im August ein Banner mit folgendem Inhalt in der Kölner Südkurve präsentiert: „GE+MG: Wenn die blau-weiße Rose mit der HJ am Tisch sitzt.“ In der Vergangenheit gab es immer wieder Rechtsextremismus-Vorwürfe gegen Teile der Gladbacher Ultraszene. Die Macher des „Kallendresser“-Imitats (also Vertreter der Gladbacher Ultras) gehen darauf selbst ein und schreiben: „Dies hatte (grundsätzlich zurecht) den Hintergrund, dass es rund um Mönchengladbach, besonders im Zusammenhang mit deren Freundschaft nach Timisoara (in Rumänien, Anm. d. Red.), Vorfälle gegeben hat, die politisch eindeutig zu verurteilen sind.“ So waren vor einigen Jahren Bilder aufgetaucht, auf denen Hitlergrüße zu sehen waren oder bei einem Treffen in Rumänien eine Fahne mit dem verbotenen SS-Totenkopf präsentiert wurde.

In ihrem eigenen Fanzine, der „Blockflöte“, gingen die Gladbacher Ultras explizit auf den Umgang mit diesen Vorfällen ein. „Politik beim Fußball ist ein Thema, über das man stundenlang diskutieren kann“, heißt es. „Worüber man nicht diskutieren kann, sondern was einfach Fakt ist, ist, dass wir keinen Bock auf irgendeine Nazischeiße bei uns haben.“ Man habe damals intern „die ganze Nummer entsprechend aufgearbeitet“.

Eine öffentliche Reaktion der „Coloniacs“, die nicht in Verbindung zu den antisemitischen Inhalten stehen und selbst ihre antirassistische Haltung betonen, auf die Aktion ihrer Rivalen aus Gladbach gab es zunächst nicht. Doch womöglich erfolgt sie schon in der nächsten (echten) Ausgabe des eigenen Fanzines.

(jaso)
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