Seoane-Mentor Ruedi Zahner im Interview „Gerry ist keiner, der den Fehler bei den anderen sucht“

Exklusiv | Mönchengladbach · Ruedi Zahner ist Erfolgsforscher und Trainer-Mentor, er ist der Mann hinter Borussias Coach Gerardo Seoane. Im Interview sagt er, wie Erfolg geht, warum der Trainer die Hauptperson für ihn ist, wie wichtig Niederlagen sind und warum Seoane und Gladbach gut zueinander passen.

Ruedi Zahner im Gespräch mit Borussias Coach Gerardo Seoane.

Foto: RZ

Borussias Trainer Gerardo Seoane ist ein Mensch, der sich immer wieder reflektiert und hinterfragt, der nach neuen Lösungen und Wegen sucht. Dafür hat er jemanden an seiner Seite: Ruedi Zahner. „Er ist der wichtigste Ansprechpartner, mit dem ich sehr offen rede. Er gibt mir nicht direkt die Lösung, aber er stellt die richtigen Fragen und gibt mir gute Energie“, sagt Seoane über den 66-Jährigen.

Zahner war früher selbst Profi, wurde Schweizer Cup-Sieger mit dem FC Aarau unter Ottmar Hitzfeld, spielte zudem für den FC Basel und den FC Zürich, er war Assistenztrainer von Rolf Fringer bei Aaraus Meisterteam von 1993, Sportchef in Aarau und selbst Cheftrainer. Jetzt arbeitet er als Mentor für Leadership mit Trainern und ist als solcher der Mann hinter Seoane.

Herr Zahner, wie geht Erfolg im Fußball?

Zahner Erfolg hat direkt mit dem Trainer zu tun. Der Trainer ist für mich das Herzstück des Sports, die Quelle für Erfolg und Misserfolg. Erfolg braucht einen Leader. Darum habe ich es mir zur Lebensaufgabe gemacht, für die Trainer da zu sein, sie stark zu machen und ihnen diese Bedeutung und Wichtigkeit ihres Wirkens bewusst zu machen. Sie dabei zu unterstützen, für sich einzustehen, an sich zu glauben, egal was ist – so entsteht Erfolg. Und das nicht nur im Fußball.

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Was muss ein moderner Trainer haben?

Zahner Die Anforderungen an die Trainer haben sich enorm verändert. Früher mussten die Spieler die Trainer verstehen, heute muss man als Trainer die Spieler verstehen. Das Verrückte ist: Die Trainer-Ausbildung ist immer noch darauf ausgerichtet, Fußball-Lehrer auszubilden, total nur auf Training und Taktik fixiert. Und wenn ich höre oder lese, dass man vom Trainer als Übungsleiter spricht, dann finde ich das sehr despektierlich, und wird ihrer Arbeit überhaupt nicht gerecht. Für mich ist klar: Trainer war gestern – heute bin ich als Leader gefragt. Es ist Zeit, alles neu zu denken, alles anders zu machen, alles auf den Kopf zu stellen.

Heißt?

Zahner Im Grunde sind die großen Trainerpersönlichkeiten Genie-Makers, sie sehen in jedem das Talent, den ungeschliffenen Diamanten. Sie holen das Beste aus ihnen heraus. Sie investieren die meiste Zeit in die Beziehung, sie nehmen die Menschen ernst, sie machen sie stark, sie wissen: Beziehung ist alles. Und um Erfolg zu haben, brauche ich die Spieler als ein verschworenes Team. Das ist das eine. Das andere ist: Als Trainer muss ich heute sofort alles können: gewinnen und verlieren. Die große Challenge heute ist, sofort Resultate erzielen und gleichzeitig mich selbst und die Mannschaft entwickeln. Entscheidend ist dabei der Umgang mit der Niederlage, die ja zwangsläufig kommt im Sport.

Warum das?

Zahner Mit der Niederlage beginnt alles. Hier entscheidet sich, in welche Richtung es geht. Gerade nach der Niederlage bin ich als Leader gefordert: dazustehen, Souveränität, Ruhe und Vertrauen auszustrahlen, zur Höchstform aufzulaufen. Alex Ferguson, der große Trainer von Manchester United, hat gesagt: ‚Ich bin in der Niederlage der bessere Trainer‘. Er hat den Kern der Trainerarbeit wunderbar auf den Punkt gebracht. Nur darum geht es: Diese ungeheure Kraft der Niederlage zu nutzen und sich und seine Mannschaft weiterzuentwickeln. Für mich ist das wichtigste Spiel immer das Spiel nach der Niederlage.

Ist es das, was Gerardo Seoane aus dem Aus in Leverkusen gelernt hat? Es war nach erfolgreichen Jahren in Luzern und Bern sein erster großer Rückschlag.

Zahner Gerry hat auch in Leverkusen sehr erfolgreich gearbeitet und wichtige Spuren hinterlassen. Das Scheitern gehört im Sport wie im Leben dazu. Entscheidend ist nur, wie ich damit umgehe, respektive, was ich daraus lerne und meinen Weg als Mensch und als Leader weitergehe. Das ist eine große Qualität von Gerry, schnell zu lernen und sich immer, immer weiterzuentwickeln. Und ganz wichtig: Gerry ist keiner, der den Fehler bei den anderen sucht.

An der Stelle kommt die Frage nach einem ihrer Hobbys: Clown. Was zieht Sie an am Clown?

Zahner Ich habe nach meiner Karriere als Fußballer eine Ausbildung zum Trainer für Körpersprache und Kommunikation gemacht. Diese Ausbildung stand unter dem Motto: ‚Im Spiel ist der Mensch wirklich‘, das schrieb Friedrich Schiller. Eine zentrale Rolle in der Ausbildung spielte die Figur des Clowns. Mich hat seine Lebensfreude, seine unbändige Energie und natürlich seine Lust am Scheitern extrem fasziniert. Dazu habe ich ein kleines Erlebnis: Als ich Sportdirektor und später Trainer beim FC Aarau war und wir tief in der Krise steckten und ordentlich auf die Mütze bekommen haben, hatte ich den Impuls, mir eine Clown-Nase aufzusetzen. Ich hatte genug von dieser negativen, depressiven Stimmung rund um mich herum. Ich hatte Lust auf Spiel, auf Leichtigkeit, auf Freude. Leider habe ich mich nicht getraut. Aber genau das wäre in diesem Moment das Richtige gewesen. Der Clown hat keine Angst vor dem Scheitern, er hat sogar Lust darauf, weil er Kraft und Energie daraus zieht. Das macht für mich die Figur des Clowns so interessant: Auch zu unterst, in der größten Scheiße verliert er nie seine Spielfreude, verliert er nie seinen Enthusiasmus.

Was war für Seoane die größere Herausforderung: Die Titelserie in Bern zu managen oder mit dem Scheitern in Leverkusen umzugehen?

Zahner Beides war gleich anspruchsvoll, weil es komplett unterschiedlich ist und beides braucht, um als Leader erfolgreich zu sein. Mir hat zuletzt ein Trainer aus der Bundesliga gesagt, dass der Erfolg ihn mehr Energie gekostet hat als jetzt die Krise. Im Erfolg musst du ständig daran arbeiten, dass die Leute hungrig bleiben. Für das muss ich als Chef unglaublich wach und präsent sein, nichts anbrennen lassen. Wenn Trainer sagen: Wäre ich bei den Bayern Trainer, wäre alles einfacher. Das ist falsch. Erfolg zu haben und Erfolg in Serie zu haben, oben zu bleiben, ist höchst anspruchsvoll. Und man darf nie vergessen: In jedem Sieg liegt der Keim zur Niederlage. Unweigerlich.

Was es in Ihrem Konzept gibt: ein Entlassungsbarometer. Danach müsste Seoane in Gladbach schon schwer angeschlagen sein. Nach sechs Niederlagen geht es nach ihrer Skala nur noch um Siegen oder Fliegen. Seoane hat schon siebenmal verloren…

Zahner (lacht) Gemeint sind natürlich sechs Niederlagen in Serie. Ich muss gestehen: Ich sammle Entlassungen wie andere Briefmarken. Mich hat das schon immer fasziniert, wie ein Trainer über Jahrzehnte an der Spitze bleibt, und andere immer wieder entlassen werden. Und eine Entlassung hat ja auch immer mit mir als Trainer zu tun. Für mich persönlich war schon immer klar: Aus den Fehlern anderer zu lernen, ist der schnellste Weg zum Erfolg, so quasi eine Abkürzung auf dem Weg nach oben. Ich muss nicht alle Fehler selber machen. Und so habe ich schon früh begonnen, Entlassungen zu studieren. Wo beginnt das Drama? Was ist der entscheidende Fehler? Aus der Analyse von über 1000 Entlassungen ist das Entlassungsbarometer ‚Die Zahner-Skala’ entstanden.

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Erklären Sie Ihre Skala.

Zahner Ein Weckruf nach Veränderung, nach Mut zu Neuem, nach Überraschung. Einstein hat gesagt: ‚Die Definition von Wahnsinn ist: Immer das Gleiche zu machen und dabei andere Resultate zu erwarten.’ Fakt ist: Alle wollen gewinnen, niemand will verlieren, und dennoch gibt es nichts Wertvolleres für die Entwicklung als die Niederlage. Alle großen Karrieren sind gepflastert mit Niederlagen und Rückschlägen. Die Frage ist: Nutze ich die Niederlage oder breche ich darunter zusammen?

Warum passt Seoane gut zu Gladbach? Weil er gelernt hat, mit Rückschlägen umzugehen?

Zahner Gerry ist der ideale Trainer für den Klub. Er geht als Vorbild voran. Der Verein will einen Umbruch, etwas Neues entwickeln und hat in Gerry einen Menschen, einen Trainer, der bereit ist, sich zu entwickeln. Und wer sich entwickelt, der lernt auch mit Niederlagen umzugehen, die es unweigerlich gibt bei einem Umbruch. Was ich noch sagen kann: Gerry ist ein Mensch, der die Menschen besser macht und total loyal gegenüber dem Klub ist. Wenn er ja sagt, dann trägt er alles voll mit. Er hat schon immer für den Verein gedacht, ob in Luzern, Bern oder Leverkusen. Und zwei Dinge sollte man auch nicht vergessen: Gerry hat Mut. Und: Er weiß, wie Erfolg geht.

Um mit Niederlagen umgehen zu können, braucht es aber auch den Rückhalt des Vereins.

Zahner Absolut. Aber den spürt man in Gladbach. Es ist klar kommuniziert: Wir gehen den Weg zusammen, wir wollen zusammen etwas bewegen, wir wollen zusammen etwas Neues kreieren.

Wie wichtig ist der Faktor Kommunikation für den Trainerjob?

Zahner Extrem wichtig, wie in jeder Beziehung. Zum einen nach außen, der Trainer ist eine öffentliche Figur. Aber auch nach innen. Was das angeht, hatte ich den besten Lehrer in Ottmar Hitzfeld. Er war ein Meister und seiner Zeit voraus in Sachen Kommunikation. Er wusste genau, wie Beziehungen aufgebaut werden, wie man Beziehungen pflegt, mit den Spielern in Verbindung bleibt. Bei meiner Arbeit geht es um Herz und Biss – Ottmar hat das perfekt verkörpert. Man muss Beziehungen pflegen, aber man muss auch mal laut Klartext reden und streng sein können. Es kommt auf den richtigen Moment an, darum muss ich immer wach und präsent sein, muss spüren, wie das Team tickt. Der Trainer muss immer in Interaktion sein mit dem Umfeld. Früher hieß es: Du musst die Kabine im Griff haben. Heute muss man sie lesen können. Nur dann kann man Fehlentwicklungen gleich spüren und darauf reagieren. Ich habe mal an anderer Stelle gesagt, der moderne Trainer muss ein Menschenfänger sein. Das ist das Geheimnis. Schauen Sie auf Trainer wie Klopp, Zidane oder Guardiola. Sie lieben die Menschen.

Wie viel Good Guy darf der Trainer sein, und wie viel Bad Guy?

Zahner Ein guter Leader sollte einen Großteil seiner Arbeit in die Beziehung investieren, mindestens 50 Prozent seiner Zeit. Das ist nicht auf Good oder Bad Guy zu reduzieren. Heute braucht es eine gute Balance von Herz und Biss. Die großen Trainerpersönlichkeiten sind ganz, ganz nah und ganz, ganz streng. Aber es gilt: Wenn du erfolgreich sein willst, egal in welchem Bereich, musst du die Menschen gernhaben. Ohne Liebe geht nichts. Auch da sage ich: Bei Hitzfeld war es so. Er hat immer gewusst: Wenn ich erfolgreich sein will, brauche ich die Spieler auf meiner Seite, ausnahmslos alle. Er hat uns immer stark gemacht, hat uns Vertrauen geschenkt, hat uns ernst genommen. Und wir haben alles für ihn getan, wir sind für ihn gerannt, um ihm etwas zurückzugeben. Es ist so logisch, oder? Bei Hitzfeld kamen Mut und Biss dazu – er hat nie etwas anbrennen lassen, immer sofort alles an der Wurzel gepackt.

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Was braucht ein Klub wie Gladbach für den Erfolg?

Zahner Mein Bruder Peter, der CEO beim Zürcher Eishockey Club ist, hat mir mal spontan mit einem Schmunzeln im Gesicht zur Antwort gegeben: Siege. Klar geht es im Sport ums Gewinnen, doch die große Frage bleibt: Wie komme ich zum Gewinnen? Für das braucht es Ruhe und Geduld, beides ist etwas, das man eigentlich nicht hat im heutigen Fußball. Darum braucht es ganz viel Vertrauen, gegenseitiges Vertrauen, etwas Verschworenes, will ich fast sagen. Borussia und Gerry gehen einen gemeinsamen Weg, und in diesem Umbruch, wo es auch immer wieder Rückschläge gibt, braucht es Standfestigkeit und Ausdauer. Gerry hat die Herausforderung angenommen in dem Wissen, dass da gute Leute sind, Menschen, die ihm dieses Vertrauen entgegenbringen. Das ist die Basis, um erfolgreich zu arbeiten. Und dann ist es enorm wichtig, als Leader jemanden in seinem Rücken zu haben, der unabhängig auf die Situation schaut.

Warum?

Zahner Die Mannschaft hat den Trainer, und wen hat der Trainer? Da komme ich ins Spiel, als Mentor, als Coach für den Coach, als Freund, der für ihn da ist. Ich habe alles selbst erlebt, als Spieler, als Co-Trainer, als Trainer in Aarau, als Sportdirektor. Ich kenne Erfolg und Misserfolg aus eigener Erfahrung. Ich weiß, wie es sich anfühlt, unter Polizeischutz aus dem Stadion geführt zu werden. All diese Erfahrungen haben mich geprägt. Ich habe von den Weltbesten gelernt, wie zum Beispiel von Aime Jacquet, als ich im Auftrag der Fifa bei der WM 1998 in Frankreich den Auftrag hatte, zu untersuchen, wie das französische Team mit dem Erwartungsdruck, als Gastgeber Weltmeister werden zu müssen, umgeht. Zinedine Zidane hat mir damals gesagt: ‚Wir sind da, um dem Team zu dienen und zu gewinnen.’

Ein starker Satz.

Zahner Mir ist der Mund offen gestanden – wie hat Jacquet es hingekriegt, dass seine Spieler so denken, dieses Miteinander auf dem Platz umsetzen und gewinnen? Der Weltmeister-Titel war das Werk von Jacquet, der den Mut hatte, seinen eigenen Weg zu gehen, allen Widerständen zum Trotz, alles anders zu machen. Für mich war das die Motivation, Inspiration pur. Und hat mir schon damals gezeigt, wie wichtig der Trainer als Leader ist, wo jeder begreift, dass das Unmögliche möglich ist. Mich hatte der Job des Trainers schon als Spieler total fasziniert und dieses Erlebnis mit Jacquet dazu inspiriert, mich für die Trainer stark zu machen. Und heute, wo wir in einer großen Trainerkrise stecken, habe ich es mir zur Lebensaufgabe gemacht, das Trainerbusiness zu revolutionieren. Alles neu zu denken, alles auf den Kopf zu stellen.

Das klingt groß.

Zahner Aber es ist so extrem wichtig in meinen Augen. Der Trainer ist das Herzstück des Sports, der Wichtigste im ganzen Verein. Und dieser Bedeutung müssen wir uns alle bewusst sein, allen voran der Trainer selbst.