Ex-Borusse Dreßen spricht über die Kardinalfrage bei Eigengewächsen

Mönchengladbach · "Schorsch" Dreßen war ein echtes Gladbacher Eigengewächs, er setzte sich einst nachhaltig durch. Der frühere Verteidiger der Borussia weiß aber auch, dass der Weg für die Talente kein leichter ist.

Gladbach: Eigengewächse - Reitz das Vorzeige-Fohlen, Fukuda neu dabei
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Borussias Eigengewächse aus dem Fohlenstall

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Foto: AFP/UWE KRAFT

Hans-Georg „Schorsch“ Dreßen ist gebürtiger Mönchengladbacher, er begann beim SV Mannesmann-Meer mit dem Fußball und wechselte dann in Borussias Nachwuchsbereich. 1982 wurde er Profi. Ein echtes Gladbacher Eigengewächs also. Und eines, das den Sprung ins Profiteam nachhaltig schaffte. 164 Spiele machte der Verteidiger für Gladbach. „Ich habe schon als B-Jugendlicher mit den Profis trainiert. Als ich als 18-Jähriger ins Profiteam kam, habe ich das totale Vertrauen von Jupp Heynckes gespürt, dazu gehört zu wissen, dass man auch mal Fehler machen darf“, erinnert sich Dreßen.

Der 57-Jährige koordiniert mit einem anderen Gladbacher Eigengewächs, Jörg Albertz, die Nachwuchsarbeit beim FC Wegberg-Beeck, Borussias Partnerklub. Albertz ist ein anderes Beispiel aus jener Zeit. Er ging mit 18 zu Fortuna Düsseldorf, weil er in Gladbach keine echte Perspektive sah und wurde dann beim Hamburger SV und bei den Glasgow Rangers zum Star. Karlheinz Pflipsen hingegen, der als Zehnjähriger vom SC Rheindahlen zu Borussia wechselte, schaffte damals wie Dreßen den Sprung ins Gladbacher Profiteam, er machte 220 Spiele für seinen Heimatklub.

„Es sind immer viele Faktoren, die eine Rolle spielen. Vor allem darf man voraussetzen, dass ein Trainer immer seine Besten aufstellen wird. Als Erstes liegt es daher am Spieler. Die Qualität muss stimmen, die Einstellung, die Professionalität. Dann musst du aber einen Trainer haben, der den Mut hat, auf eigene junge Spieler zu setzen. Und einen Klub, der grundsätzlich die Philosophie hat, mit Eigengewächsen zu arbeiten“, sagt Dreßen.

Borussia Mönchengladbach: Startelf gegen Union Berlin
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So könnte Borussias Startelf gegen Union aussehen

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Foto: dpa/Uwe Anspach

Aktuell gehören sechs Spieler zum Borussen-Kader, die aus dem eigenen Nachwuchs hochgekommen sind, Jordan Beyer ging zu Saisonbeginn auf Leihbasis zum FC Burnley, weil er keine Perspektive sah. In Yvandro Borges Sanches hat ein Eigengewächs in dieser Saison debütiert, der luxemburgische Nationalspieler ist derzeit quasi das Vorzeige-Fohlen. Gladbachs Präsident Rolf Königs hatte in früheren Jahren angesagt, dass möglichst 30 Prozent der Spieler im saisonalen Aufgebot selbstgemachte Talente sein sollten, aktuell sind es nominell 22 Prozent.

Indes: Eine große Rolle spielen die Talente aus dem eigenen Stall nicht. Nicht mal 250 Einsatzminuten kommen nach zwölf Spieltagen und zwei Pokalspielen an der Stelle zusammen. Allein Tony Jantschke hatte einen Startelf-Einsatz, durch den Ausfall Tobias Sippels wird beim VfL Bochum am Dienstagabend (20.30 Uhr, Sky) einer von Torwart Jan Olschowsky dazu kommen.

Seit dem Umzug in den Borussia-Park 2004 und der Inbetriebnahme der Fohlen-Akademie sind 29 Trikots von Debütanten im Kabinengang des Stadions aufgehängt worden. Nachhaltig durchgesetzt – hier sei als Maßstab die 50-Spiele-Marke angesetzt – haben sich neun Spieler, fünf von ihnen haben es auf mehr als 100 Einsätze für Gladbach gebracht, Patrick Herrmann (über 400 Einsätze) und Tony Jantschke (fast 300) ragen dabei heraus.

Borussias Fohlenphilosophie war und ist immer einer der Leitfäden, „in den vergangenen Jahren ist der Klub aber etwas davon abgerückt“, findet Dreßen. Durch die Erfolge stiegen die Ansprüche, diese zu erfüllen wurde für den eigenen Nachwuchs schwieriger, auch der Corona-Kontext wirkte sich auf die Nachwuchsarbeit aus, es gab schwächere Jahrgänge. Die Jungspunde, die sich zuletzt etabliert haben, sind Spieler aus der Kategorie zugekaufte Toptalente: Manu Koné, Joe Scally und Luca Netz.

Sportdirektor Roland Virkus hat bei seinem Amtsantritt klar gesagt, dass Borussia zurück müsse auf den „Gladbacher Weg“ und der Faktor Eigengewächse, den er als dritte tragende Säule bei der Kadergestaltung definiert, wieder gestärkt werden müsse, auch angesichts der wirtschaftlichen Gesamtlage im Kontext der Corona-Pandemie. Es ist aber ein langwieriger Prozess. Und ein Freifahrtschein für Eigengewächse ist das Bekenntnis zum eigenen Nachwuchs nicht.

 “Schorsch“ Dreßen für Borussia am Ball.

“Schorsch“ Dreßen für Borussia am Ball.

Foto: imago

„Es gibt ja auch die namhaften Spieler, die teuer eingekauft wurden und wenn es da bei gleicher Qualität darum geht, wer spielt, haben es die Jungs aus dem eigenen Stall immer etwas schwerer“, findet Dreßen. „Grundsätzlich sollte sich ein Klub immer die Frage stellen: Muss ich einen Spieler holen oder habe ich eigene Talente, denen ich vertraue?“ Das ist für Dreßen die Kardinalfrage, die sich ein Klub mit Gladbachs Historie und Anspruch stellen muss.

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