Max Eberl im Interview "Die großen Klubs waren überrascht von uns"

Mönchengladbach · In Teil eins des großen RP-Interviews spricht Borussias Sportdirektor über eine skurrile Hinrunde, den Trainerwechsel und Erfahrungen in der Champions Legaue.

Max Eberl und Trainer André Schubert.

Max Eberl und Trainer André Schubert.

Foto: dpa, mb

Herr Eberl, Weihnachten ist die Zeit der Wünsche. Welche Unart des Fußballs würde Sie gern streichen?

Eberl Falschheit und Linkheit. Jeder versucht natürlich im Rahmen seiner Möglichkeiten erfolgreich zu sein und gewinnen. Aber ich bin ein Freund von Geradlinigkeit und Ehrlichkeit. Nickligkeiten gehören sicher dazu, aber wenn es in Provokationen und grob unfaire Aktionen ausartet, schadet das dem Sport und führt zu den ständigen Debatten mit und über die Schiedsrichter, die es ohne solche Dinge sicher leichter haben würden. Vielleicht sollte man lieber mal einen Spieler, der zu Boden gegangen ist, einfach liegenlassen, wenn man weiß: Da kann nichts sein. Wenn er liegenbleibt und sein Team ein Gegentor bekommt in der Folgeszene, simuliert er beim nächsten Mal nicht mehr. Solche Bestrafungen würden vielleicht helfen, diese Unart wegzukriegen.

Das würde dem Spiel sicher guttun. Es hat schon viele Veränderungen gegeben, eine aber noch nicht: Spiele an Weihnachten, den Boxing Day wie in England. Wird es den irgendwann in Deutschland geben?

Eberl Es gibt ja gewisse Kulturen, die berücksichtig werden müssen, auch im Fußball. In England gibt es den Boxing Day schon immer, und er ist ein großes Thema, auch für das Fernsehen. Ich denke, dass bei uns Weihnachten unangetastet bleiben wird. Das finde ich auch gut so. Was andere Veränderungen angeht, muss man von Fall zu Fall schauen. Aber einen Boxing Day in der Bundesliga kann ich mir nicht vorstellen.

So haben Sie während der Feiertage ein wenig Zeit für Besinnlichkeit. War das vergangene Jahr das aufregendste Ihrer Zeit als Manager?

Eberl Meine erste komplette Saison als Manager, in der wir mit Michael Frontzeck Zwölfter wurden, war wohl die unaufgeregteste: unspektakulär, aber effektiv. Das vergangene Jahr war sehr aufregend, aber ich möchte nicht sagen, dass es aufregender war, als die Zeit, in der wir mit dem Rücken zur Wand standen oder als wir uns zum ersten Mal seit vielen Jahren für Europa qualifiziert haben. Gefühlt war jedes Jahr sehr emotional.

Vor allem gab es zwei emotionale Ausschläge: Zum einen den Moment, als klar war, dass Borussia zum ersten Mal in der Champions League spielen würde, und dann den Rücktritt von Lucien Favre. Was hat Sie emotional mehr bewegt?

Eberl Beides war sehr emotional. Platz drei ist für uns wie ein Titel. Für Borussia ist es wohl aktuell das Nonplusultra, was man in der Bundesliga erreichen kann. Die gesamte Rückrunde war extrem emotional. Wir haben 39 Punkte geholt, das war großartig. Vier Monate später, am 20. September, standen wir ohne Trainer und Punkte da. Allerdings möchte ich noch mal betonen, dass ich am 21. September einen emotionalen Haken an den Rücktritt gemacht habe und das alles nicht mehr an mich rangelassen habe. Das Kapitel, das sehr intensiv, sehr lehrreich und sehr erfolgreich war, habe ich abgeschlossen, um dann wieder nach vorn zu gucken. Ich habe versucht, einen klaren Kopf zu bewahren - ich konnte es ja nicht mehr ändern.

Ganz ehrlich: Gab es schon vor dem Rücktritt ein Szenario für die Zeit nach Lucien Favre? Zum Beispiel für den Sommer 2016?

Eberl Zu dem Zeitpunkt, als das alles passiert ist, gab es keinen Plan B. Natürlich muss man immer das eine Prozent im Kopf haben, was passiert, wenn ein Trainer krank wird oder zurücktritt. Das hatten wir geklärt, indem wir André Schubert im Haus hatten. Ich wusste: Wenn etwas passiert, haben wir erstmal eine kurzfristige Lösung. Weitreichender hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. Natürlich beobachtet jeder gute Manager Entwicklungen, aber es gab kein Szenario für irgendeinen Zeitpunkt. Wir hatten einen Trainer, darum war es nicht nötig. Wir sind von unseren Trainern überzeugt und werden ihnen immer den Rücken stärken.

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André Schubert - ist das ein Glücksfall oder strategische Planung?

Eberl Es ist Strategie, aber es ist auch der Glücksmoment dabei. Dadurch, dass Sven Demandt zu Wehen-Wiesbaden gewechselt ist, hatten wir die Möglichkeit für den wichtigsten Posten im Nachwuchsbereich, die U23, einen Trainer zu holen, der einen ähnlichen Ansatz wie Lucien Favre hat, der mit jungen Spielern arbeiten kann und hungrig ist. Diese Merkmale bringt André mit. Unabhängig von seiner Vorgeschichte, die ich natürlich kenne, hat mich der Typ André Schubert interessiert - es hat für unsere Abteilung gepasst, für unsere Philosophie und unsere Strategie. Er war zwar erst zwei Monate bei uns, als sich die Situation änderte. Aber er wurde nicht ganz ins kalte Wasser geworfen, sondern konnte sich schon an unseren Klub gewöhnen.

Schubert kam gleich gut an beim Team.

Eberl Entscheidend ist, dass er seinen Plan mit der Mannschaft denkt, so wie es bei Lucien war. Denn die Mannschaft gibt die Rahmenbedingungen vor. Natürlich muss ein Trainer seine Ideen umsetzen, aber es muss zu den Spielern passen. André macht das gut: Er hat seine Ideen eingebracht, aber mit Blick auf das Team, das da ist.

War es ein Vorteil, dass der Nachfolger von Favre gerade keinen so großen Namen hatte - weswegen die Erwartungshaltung eine andere war?

Eberl Wir mussten innerhalb von 14 Stunden eine Entscheidung fällen. Um André direkt fest zu installieren, kannten wir uns zu wenig. Darum gab es erst mal die Aussage, dass er Interimstrainer ist. Das hat signalisiert, was unsere Strategie war. Wir konnten uns so in Ruhe Gedanken machen. André hat dann nachhaltig gezeigt, dass er erfolgreich sein kann - nicht nur durch die Punkte, sondern auch durch die Art und Weise, wie er arbeitet. Parallel haben wir uns mit der Fragen beschäftigt: Gibt es einen Trainer auf dem Markt? Im Winter? Im Sommer? Diese Fragen haben wir versucht zu beantworten, André hat seine Arbeit gemacht - und so haben sich zwei Wege gefunden. Nach dem Hertha-Spiel hat es sich immer mehr herauskristallisiert, dass er die Lösung sein kann und ist.

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Vor dem Abgang von Lucien Favre konnte man sich Gladbach ohne ihn kaum vorstellen. Nun ist er weg - und Borussia funktioniert trotzdem. Hat das Ihre eigene Position gestärkt: Als der Mann, der die Struktur vorgibt?

Eberl Natürlich war die große Sorge da, was nach Lucien passiert. Aber wir sind in den vergangenen Jahren gewachsen als Verein: Was die Möglichkeiten angeht, was die Struktur angeht. Dazu hat jeder beigetragen und wird jeder seinen Teil beitragen. Es ist immer eine Symbiose von mehreren Leuten, die für den Erfolg verantwortlich sind. Die Situation nach Lucien hat gezeigt, was aber nicht überraschend war für uns, dass die Mannschaft Qualität hat. Ich vergleiche das mit 2010. Auch da waren wir sportlich nicht erfolgreich und hatten viele Verletzte. Fünf Jahre weiter ist der Verein so gewachsen, dass eine solche Situation nicht zum totalen Absturz führt wie damals. Dass es am Ende der Hinrunde Platz vier sein würde, damit war nicht zu rechnen. Aber dass der Kader auch in der Breite so stark ist, aus so einer sportlich prekären Situation herauszukommen und im Mittelfeld zu landen, war uns bewusst.

Gibt es trotzdem inzwischen eine andere Wahrnehmung Ihrer Person?

Eberl Nach sieben Jahren als Sportdirektor ist man nicht mehr das Greenhorn, als das man anfangs bezeichnet wurde. Vorher war ich auch noch vier Jahre Jugenddirektor. Somit ist es normal, dass sich auch die Wahrnehmung meiner Person verändert hat. Aber es geht einher mit der veränderten Wahrnehmung des gesamten Vereins.

Dazu trägt die sportliche Bilanz 2015 bei: Borussia hat 68 Punkte geholt. Das ist Champions-League-Kurs. Was sagt das über den Status quo der Mannschaft aus?

Eberl Wir haben nach den 39 Punkten der letzten Rückrunde erneut wichtige Spieler verloren. Wir mussten also wieder neu aufbauen. Wie 2012. Damals hat es drei Jahre gedauert, bis die Mannschaft wieder das Niveau erreicht hatte. Jetzt haben wir nach einer skurrilen Hinrunde 29 Punkte - aus zwölf Spielen. Der Leistungsstand ist: Wir haben uns in der Einstelligkeit etabliert. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dass wir zum fünften Mal einstellig sind, ist Ausdruck von gesundem Wachstum und von Stabilität. Aber: Kein Fan muss Angst haben, dass wir nicht das Bestmögliche erreichen wollen. Das ist immer unser Ziel.

Was haben Sie sportlich und strukturell aus der Champions League mitgenommen?

Eberl Wenn man einen Paul Pogba spielen sieht, weiß man, was Weltklasse ist. Was die Struktur angeht, die Atmosphäre, bin ich überzeugt, dass die großen Klubs überrascht waren von dem, was Borussia ausgestrahlt hat, mit welcher Kraft unser Verein aufgetreten ist. Das habe ich gespürt. Nach dem Spiel kamen die Spieler von Juventus zu uns und haben gesagt: Respekt, was ihr hier aufgebaut habt. So etwas macht uns stolz. Bei ManCity haben wir viel gesehen, was wir uns auch vorstellen könnten. Aber es ist eben nicht realisierbar, oder noch nicht. Aber in dem Rahmen, der zu uns passt, sind wir schon sehr gut aufgestellt.

Josip Drmic und Thorgan Hazard, die Top-Einkäufe dieser Saison, sind noch nicht richtig angekommen. Der junge Leihspieler Andreas Christensen und Eigengewächs Mo Dahoud schon. Woran liegt das?

Eberl Man muss realistisch sein. Mo hat auch zwei Jahre gebraucht, bis er es in den Stamm geschafft hat. Dass er jetzt so viele Spiele gemacht hat, wie auch Andreas Christensen, den nach dem ersten Spiel viele sicher nicht als Top-Talent gesehen haben, ist ja eigentlich auch nicht gesund. Sie wurden aus der Situation heraus ins kalte Wasser geworfen. Thorgan hat knapp 60 Pflichtspiele gemacht binnen eineinhalb Jahren - das ist nicht so schlecht. Josip Drmic hat sicher noch nicht so gezündet wie erhofft. Er muss sich ins Team beißen. Das ist aber normal im Sport. Grundsätzlich bin ich weit davon entfernt, Transfers am Geld festzumachen. Entscheidend ist, dass das Team auf dem Platz funktioniert und erfolgreich ist. Ob ich nun 29 Punkte nur mit A-Jugendlichen hole oder nur mit Toptransfers, das ist am langen Ende egal. Es wird immer wieder Transfers geben, die funktionieren und welche, die nicht funktionieren. Klar, es kommt immer das Beispiel Luuk de Jong, aber ich bleibe dabei: Er war von 2012 bis 2014 in einer wichtigen Phase dabei und hatte seinen Anteil, auch wenn man sich von so einem teuren Transfer sicher mehr erwartet hatte. Aber es geht doch um sportlichen Erfolg. Und den hatten und haben wir. Dazu trägt der eine Spieler mehr, und der andere weniger dabei.

Christensen ist bis 2017 ausgeliehen. Hat der Trainerwechsel bei Chelsea eine Relevanz? Steigen vielleicht sogar die Chancen, ihn zu verpflichten?

Eberl Chelseas Strategie der gezielten Leihe steht und fällt ja nicht mit dem Trainer. Aber dass ein Spieler, der für Chelsea nicht infrage kommt, für uns interessant ist, ist klar. Andreas ist ein toller Spieler, der sich sehr gut entwickelt hat.

KARSTEN KELLERMANN UND STEFAN KLÜTTERMANN FÜHRTEN DAS GESPRÄCH. TEIL 2 DES INTERVIEWS LESEN SIE AM 28. DEZEMBER.

(RP)
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