Borussias Trainer hat Geburtstag Der Favre-Touch: profan und genial

Borussia Mönchengladbach · Von einem Magier hat der Mann nichts. Kein verschwurbelter Schnauzer, kein Zylinder, kein wallender Umhang und schon gar kein Zauberstab, der Funken sprüht, wenn man ihn durch die Luft wirbelt.

Lucien Favre wird 54.

Lucien Favre wird 54.

Foto: dapd

Lucien Favre hat auch nichts von einem Schamanen, der um ein loderndes Feuer hüpft und dabei wie Teufelsaustreibungen anmutende Worte ausspeit. Der Mann aus der Schweiz, der am 2. November 54 Jahre alt wird, schaut eher aus wie der nette Herr von nebenan: graues Haar, freundlicher Geschichtsausdruck, ruhiger Tonfall.

Und doch hat dieser Mann etwas Magisches, das jedenfalls schwören die Menschen am Niederrhein, genauer: in Mönchengladbach. Hier ist Favre der Siegfried, der Superman, der Herkules, der Messias. Favre ist Fußballtrainer und er hat Borussia gleichsam auferstehen lassen von den tot Geglaubten.

Am 14. Februar war Gladbach Letzter und galt allgemein als sicherer erster Absteiger. Favre kam an diesem Tag, nach einem 1:3 beim FC St. Pauli, bei dem die Borussen wie Zombies über den Platz staksten und im Gesicht des Trainers Michael Frontzeck nichts mehr war als Leere. Favre reanimierte Borussia. Spiel für Spiel kam mehr Selbstvertrauen, es gab Punkte, sogar einen Sieg gegen den Meister aus Dortmund und schließlich gegen den Zweitliga-Dritten Bochum die Relegations-Rettung.

Das Verblüffendste war: Favre verhinderte nicht mit Mauerkunst und Bolzerei den Abstieg, sondern mit schönem Fußball. Erst machte er Borussias Abwehr zu einer, die den Namen verdient, und seit seinem Amtsantritt nur zweimal mehr als ein Gegentor bekommen hat. Dann schulte er die Borussen im flach gehaltenen Kombinationsspiel, dessen Ideal der FC Barcelona verkörpert — und führte sie in der neuen Saison, mit all dem, was er in aller Eile im Abstiegskampf begonnen hat, in die obere Tabellenhälfte, zwischenzeitlich sogar an die Spitze des Klassements.

Der Favre-Touch, der Borussia seit seiner Ankunft ersten die Rettung und zweitens einen derzeit etwas abgeflauten Höhenflug einbrachte, beruht auf einem gewissen Egoismus. Denn ein Favre-Team — so war es auch, als er Hertha BSC Berlin um die Meisterschaft mitspielen ließ — gönnt dem Gegner nicht den Ball. Favre fordert viel Ballbesitz, und irgendwie ist es logisch: Wenn man selbst den Ball hat, kann der Gegner mindestens keine Tore schießen. Zweitens fordert Favre Spielintelligenz. Das bedeutet, im richtigen Moment das Richtige zu tun: Pässe spielen, wenn es an der Zeit ist, um Ballverluste zu vermeiden, richtig und ohne Fouls in Zweikämpfe gehen, das Spiel zur rechten Zeit beschleunigen oder abbremsen. Keine unnötigen Laufwege machen und und und.

Entscheidend ist in der Beziehung der Borussen und ihrem Trainer ist auch die Kommunikation. Ja, im Zeitalter von hinter Facebook und SMS verstecktem Buchstabengeplapper, von bunten Bilderfluten und verkümmerter Gesprächskultur, hat Favre in Gladbach etwas eingeführt, was heutzutage vielen in vielen Beziehungen welcher Art auch immer abhandengekommen ist: das gute alte Gespräch, Neu-Deutsch: Die Face-to-Face-Kommunikation. "Der Trainer spricht viel mit uns", sagen die Profis, wenn sie gefragt werden, was dieser Favre so getan hat, um aus einem Fast-Absteiger ein gefühltes Spitzenteam zu machen (als welches man die Borussen indes längst nicht ansehen sollte, den Favres Werk steckt noch in den Kinderschuhen).

So ist es auch: Beim Training nimmt sich der Trainer immer wieder die Spieler beiseite, spricht und gestikuliert, und scheint dabei den richtigen Ton zu treffen: Favres Botschaft kommt an. Auch, weil er glaubwürdig ist: "Ich fordere von anderen viel, weil ich von mir viel fordere", sagt er und lebt den Spielern vor was er sagt. Sie merken auch, dass er die Wahrheit spricht. Diese will gut unterfüttert sein. Stundenlang sitzt der Fußballprofessor vor dem Bildschirm und schaut Fußball-DVDs. Dann analysiert er und macht sich einen Plan — Spiel für Spiel. Diese geschickte Verkürzung der Zukunft verhindert, dass die Borussen zu weit denken: eine rauschende Saison, Europapokal im nächsten Jahr.

Favre weiß, dass alles noch brüchig ist, er sagt: "Wir dürfen nicht vergessen, wo wir herkommen. Er wird für uns eine schwere Saison, wir müssen um jeden Punkt kämpfen." Dass er recht hat, zeigte sich in den vergangenen Wochen: Der 2:1-Sieg gegen Hannover stoppte eine Punkt-Krise im Ansatz, zuvor blieb Borussia dreimal sieglos. "Es braucht Zeit", sagt Favre, der das Borussen-Team "Schritt für Schritt" entwickeln will.

Dass seine Mannschaft nach elf Spielen 20 Punkte hat und am Samstag als konstantes Mitglied der Spitzengruppe nach Berlin fährt, zu Hertha BSC, dem Klub, der Favres Entre in die Bundesliga war, findet Favre "gut", nennt es aber auch "ein Wunder". Doch ist es ziemlich real.

Favre macht seinen Job nicht mit Zauberkunst oder Magie, sondern mit großer Akribie und Sorgsamkeit. Das hat zuweilen schrullige Züge. Im Trainingslager der Borussen war der Rasen nicht, wie im Borussen-Stadion, 25 Millimeter lang, sondern 29. Favre ordnete an, das Grün zu kürzen, denn es sollten Passspiel geübt werden — und je länger der Rasen, desto weniger schnell rollt der Ball. Da er nicht zaubern kann, musste der Platzwart mähen. So profan kann Erfolg sein. Einfach genial.

(RP/chk)
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