Borussia Mönchengladbach Das Kramer-Märchen: Auch ein mediales Phänomen

Mönchengladbach · Am Sonntag saß Borussias Mittelfeldspieler bei Günter Jauch als einer der "Menschen 2014". Kramer ist der Weltmeister, der sich an das Finale nicht mehr erinnert. Diese Geschichte machte aus ihm einen Popstar.

Porträt: Das ist Christoph Kramer von Borussia Mönchengladbach
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Das ist Christoph Kramer

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Foto: Dirk PŠffgen/Dirk Paeffgen (dirk)

Hätte man Günter Jauch im Mai gefragt, ob er Christoph Kramer auf der Gästeliste hat für seinen Jahresrückblick "2014! Menschen, Bilder, Emotionen", der Moderator hätte wohl gefragt: "Christoph wer?" Damals, als gerade das letzte Saisonspiel, das 1:3 in Wolfsburg, vorbei war, war Kramer ein begabter Fußballer in Diensten Borussias, einer mit einem Allerweltsnamen, der seine erste Bundesliga-Saison richtig gut gespielt hatte. "Filmreif" fand er sein erstes Jahr in Deutschlands höchster Spielklasse, "kaum zu steigern" sei das, was passierte.

Doch es passierte weitgehend im Verborgenen, zumindest, was die große Medienbühne anging. "Zu dem Zeitpunkt gab es noch keinen Hype um Christoph. Das ging erst los, als er für die Nationalmannschaft nominiert wurde und auf den WM-Zug aufgesprungen ist", sagt Borussias Mediensprecher Markus Aretz.

WM 2014: Christoph Kramer von Ezequiel Garay ausgeknockt
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Garay knockt Kramer im Finale aus

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Foto: afp, desk

"Wer ist dieser Kramer?", fragten alle, als Löw ihn in den WM-Kader berief, und beschrieben den schmächtigen Kerl mit dem großen Laufpensum ausführlich. Doch seine Rolle bei der WM war klar: Es würde ein großes Erlebnis werden, indes eines ohne große Spielanteile. Zwei Monate später war er Weltmeister. Und kam aus Brasilien heim mit einer irren Geschichte. Zwei Kurzeinsätze hatte er während des Turniers gehabt und dann stand er im Endspiel plötzlich in der Startelf, weil Sami Khedira ausfiel.

Doch nach 17 Minuten krachte er mit dem Kopf an die Schulter von Ezequiel Garay, nach 30 Minuten musste er vom Platz mit Verdacht auf eine Gehirnerschütterung. Das Drama kostete ihn die Erinnerung an die wertvollste halbe Stunde seiner Karriere. Nach dem Finale begann eine neue Zeitrechnung für Kramer. Aus dem Nebendarsteller wurde ein Hauptdarsteller des WM-Siegs.

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Das Kramer-Märchen hat zwei Teile. Zum einen ist es die Geschichte eines rasanten Aufstiegs: Der Wechsel zu Borussia, der Stammplatz, den er sich erkämpfte, nach der Saison die überraschende Nominierung für das Polen-Spiel, die Einladung ins WM-Trainingslager, die WM-Nominierung, der erste WM-Einsatz gegen Algerien, der zweite gegen Frankreich, der dritte im Finale - und nun ist er für immer Weltmeister. Das ist der sportliche Teil der Geschichte. Doch es gibt auch den menschelnden Teil. Es geht dabei nicht um Laufleistungen, Balleroberung und Spieleröffnung. Es geht um den Weltmeister mit der Final-Amnesie. Was Kramer passierte, hat alles, was eine große Geschichte braucht: Sie ist außergewöhnlich, menschlich, rührend. Die Menschen gieren nach solchen Geschichten, die Medien liefern gern. So wurde aus Kramer, dem guten Fußballer, Kramer, der Popstar. Es ist ein auch Medienphänomen.

Kramer hat sich seinen Aufstieg auf dem Rasen erarbeitet. "Sein Weg zur WM ist noch kein Medienphänomen. Er hat es sich mit guten Leistungen verdient, nominiert zu werden - und hat dann seine Chance genutzt. Dass er aber jetzt bei Jauch als einer der Köpfe des Weltmeisterteams war, das hat damit zu tun, was im Endspiel passiert ist", sagt Aretz. Es gibt viele, die ein WM-Finale gespielt haben. Aber es gibt wohl nur einen, der sich nicht an sein Finale erinnern kann - Kramer. Darum saß nicht der WM-Siegtorschütze Mario Götze neben Bundestrainer Joachim Löw und DFB-Kapitän Bastian Schweinsteiger bei Jauch, und auch nicht der WM-Rekordtorschütze Miroslav Klose, oder Torwart Manuel Neuer, sondern er, Christoph Kramer.

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Kaum ein Tag verging seit dem Finale, an dem Borussias Medienabteilung Interviewanfragen für den Weltmeister bekam. Kramer war überall: Das Magazin Elf Freunde guckte mit ihm noch mal das Finale, der Spiegel und die Welt baten ihn zum Interview, die Sportbild besuchte ihn, er wurde ins Aktuelle Sportstudio eingeladen. Zuletzt fragte GalaMen an, um ihn für einen Jahresrückblick zu befragen, Markus Lanz wollte mit ihm talken, ein Filmemacher des Kultursenders Arte interessiert sich für die Geschichte des Weltmeisters, der seine Karriere im Tagebuch festhält.

Nun, da das Jahr zu Ende geht und das Spiel gegen Leverkusen ansteht, könnte Kramer täglich viele Interviews geben. Doch den öffentlichen Kramer gibt es derzeit nur noch dosiert. "Wir haben mit Sportdirektor Max Eberl, Trainer Lucien Favre und Christoph entschieden, Christoph bis zum Ende der Hinrunde erst mal ein bisschen raus zu nehmen und keine weiteren Interviewanfragen zusätzlich zu denen, die schon länger vereinbart sind, mehr anzunehmen", sagt Aretz. Borussia schiebt dem Medienphänomen einen Riegel vor. "Christoph ist gegenüber den Medien sehr offen. Aber es ist dann doch etwas zu viel geworden", sagt Aretz.

(RP)
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