Der Fußball und das Coronavirus Die Frage nach dem „Spiel null“

Düsseldorf · Italienische Medien verbreiten die Annahme, das Champions-League-Spiel zwischen Atalanta Bergamo und Valencia habe die Zahl der Coronaviurs-Infektionen explodieren lassen.

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Gladbach - Dortmund: die Bilder des Spiels

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Foto: dpa/Marcel Kusch

Die Stadt Bergamo dürfte inzwischen fast jeder in Europa kennen. Sie ist das Zentrum der Coronavirus-Epidemie in Italien. Täglich gibt es aus Bergamo Berichte von Hunderten Patienten, die an dem Virus sterben. Erklärungsversuche, warum ausgerechnet diese Region so stark betroffen ist, gibt es viele. In italienischen Medien wird nun ein Ereignis besonders in den Fokus gerückt: das Champions-League-Spiel zwischen Atalanta Bergamo und dem FC Valencia, das am 19. Februar in Mailand ausgetragen wurde. 44.236 Zuschauer waren damals im Stadion. Etwa 2500 waren aus Spanien angereist, die übrigen waren Anhänger von Atalanta. Die Zeitungen „La Repubblica“ und „Corriere della Sera“ sprechen inzwischen vom „Spiel null“. Sie berichten, die Zahl der mit dem Coronavirus infizierten Menschen sei in Bergamo 14 Tage nach dem Spiel „regelrecht explodiert“. Die dicht in der Mailänder U-Bahn zusammengedrängten Fans werden als Katalysator für die Verbreitung des Virus gesehen.

„Die Ansammlung von Tausenden von Menschen, wenige Zentimeter nur voneinander entfernt und im verständlichen Zustand von Euphorie können die Verbreitung viral gemacht haben", sagte der Immunologe Francesco Le Foche dem „Corriere dello Sport“. Es ist aber auch nur ein Faktor von vielen, der zur Verbreitung beigetragen haben kann. In der Region um Bergamo gibt es viel Wirtschaft und viele Ein- und Auspendler - also auch viele Begegnungen zwischen Menschen.

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Foto: dpa-tmn/Zacharie Scheurer

Offensichtlich ist jedoch, dass die Zahl der Coronavirusfälle in Bergamo seit dem Spiel in der Champions League gestiegen ist. 826 Fälle waren 14 Tage nach dem Spiel, also nach Ablauf der Inkubationszeit, in der Provinz Bergamo bekannt. Vor dem Spiel gab es in Bergamo noch keinen einzigen Fall, wie in ganz Italien noch nicht. Am 21. Februar wurde in Italien offiziell der erste einheimische Infizierte gemeldet. Die Provinz Bergamo meldete am 23. Februar den ersten Coronavirus-Fall. Danach stiegen die Zahlen tatsächlich sprunghaft. Doch ob das tatsächlich an besagtem Fußballspiel lag, ist nicht erwiesen. „Wir haben keine Zahlen, die einen Anstieg der Infektionen in der Provinz Bergamo auf dieses Spiel zurückführen lassen“, sagte eine Sprecherin der Behörde, die in Italien den Covid-19-Notstand managt, der Sportschau.

In Mailand war auch Spaniens Patient „Nummer Null“. Sportjournalist Kike Mateu begleitete Valencias Mannschaft mit nach Italien. Acht Tage nach dem Match wurde er positiv getestet und musste über drei Wochen im Krankenhaus bleiben. Während seitdem ein Spieler von Atalanta Bergamo offiziell positiv auf das Coronavirus getestet wurde, gab es bei Valencia nach dem Spiel mehrere Fälle. Die Spanier berichteten, dass 35 Prozent der Personen aus dem Umfeld das Teams sich infiziert hätten.

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Foto: dpa/Arne Dedert

In Deutschland wurde sogar noch vor Fans gespielt, als bereits zahlreiche Coronavirus-Fälle in Deutschland und auch in der Region einiger Bundesligisten bekannt waren. So spielte Borussia Mönchengladbach am 7. März noch gegen Borussia Dortmund. Da gab es im Kreis Heinsberg, der an Mönchengladbach grenzt, bereits zahlreiche Infizierte. Bei der Partie sollten erweiterte Hygienemaßnahmen eine Ansteckung verhindern. Fans aus dem Kreis Heinsberg wurden gebeten, ihre Karten zurückzugeben. Dennoch barg die Ansammlung der 53.877 Fans ein deutliches Ansteckungspotenzial. Seit dem Bundesligaspiel sind inzwischen mehr als 14 Tage vergangen. Sollte sich dort eine Vielzahl von Menschen mit dem Coronavirus angesteckt haben, müssten das die Fallzahlen in NRW bereits zeigen.

Der Blick auf die Daten der Gesundheitsämter des Landes Nordrhein-Westfalen zeigt seit Tagen, dass die Zahl der Infizierten deutlich steigt, und damit auch in den zehn bis 14 Tagen nach dem bisher letzten Bundesligawochenende. Waren es am 7. März, am Tag des Spiels, noch 377 bestätigte Fälle, sind es nun, 18 Tage später, 9421 (Stand 25. März 2020, 10 Uhr).

NRW verzeichnete am 20. März die bisher höchste Zahl an Neuinfizierungen an einem einzelnen Tag: 1286 neue Fälle wurden an diesem Tag dem Gesundheitsministerium NRW gemeldet. Auch die Stadt Dortmund verzeichnete an diesem Tag einen sprunghaften Anstieg um 45 auf 140 positiv auf das Coronavirus getestete Personen. Dies führt die Stadt auf Rückkehrer aus dem Skiurlaub zurück. Einen Zusammenhang zum Spiel des BVB in Mönchengladbach könne man aufgrund der erhobenen Daten nicht feststellen, sagte ein Sprecher der Stadt Dortmund.

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Foto: dpa/Sven Hoppe

In Mönchengladbach waren es am 20. März 25 neue Fälle, einen Tag später, genau zwei Wochen nach dem Spiel, nochmal 24. Insgesamt sind es dort derzeit knapp über 100 Fälle.

Keiner lässt sich jedoch direkt auf den Stadionbesuch zurückführen, teilte die Stadt Mönchengladbach auf Anfrage der Redaktion mit. „Es gab eine erste Welle, bei der die infizierten Menschen Kontakte in Heinsberg hatten. Die zweite Welle waren die Ischgl-Rückkehrer“, sagte ein Sprecher der Stadt Mönchengladbach. Außerdem gebe es einzelne Fälle, bei denen nicht klar sei, wo sie sich angesteckt hätten.

Die Kontaktkette, die das Gesundheitsamt bei den Coronaviurs-Infizierten so genau wie möglich ermittle, gebe aber zumindest in Mönchengladbach in keinem Fall Hinweise auf einen Besuch des Spiels zwischen Gladbach und Dortmund, sagte der Sprecher der Stadt Mönchengladbach. Die meisten Menschen hätten sich in ihrem direkten Umfeld, in Familie oder Freundeskreis angesteckt und seien auch gar nicht im Stadion gewesen.

Sowohl in Italien als auch in Deutschland sind die Ansteckungsketten also vielfältig: der Karneval spielte eine Rolle, Skiurlaube und Reisen in stark betroffene Länder wie Italien oder Spanien, Kontakte in Beruf und Freizeit.

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