Borussias Cuisance im Interview „Das Risiko gehört zu meinem Spiel"

Mönchengladbach · In seiner ersten Bundesliga-Saison hat Borussias Mickael Cuisance 26 Pflichtspiele absolviert. Ein Tor fehlt ihm noch. Das will er ändern, wie er im Interview mit unserer Redaktion erzählt.

 Gestenreich: Michael Cuisance ist auf dem Platz ein emotionaler Spieler, abseits davon hat es Borussias Teenager gerne etwas ruhiger.

Gestenreich: Michael Cuisance ist auf dem Platz ein emotionaler Spieler, abseits davon hat es Borussias Teenager gerne etwas ruhiger.

Foto: Imago

Herr Cuisance, Sie haben während der Saison keine Interviews gegeben. Woran liegt es?

Michael Cuisance Ich habe mich entschieden, nur wenige Interviews zu geben. Ich muss gestehen, dass ich bei solchen Dingen ein wenig schüchtern bin, ich bin keiner, der gern viel redet.

Auf dem Platz sind Sie aber alles andere als schüchtern. Da sind Sie eher ein Draufgänger. Ist der Spieler Michael Cuisance ganz anders als der Fußballer?

Cuisance (grinst) Keine Frage, privat bin ich reservierter, auf dem Spielfeld ist es eine ganz andere Sache.

Sie hören gern französische Rap-Musik. Die kommt von der Straße und ist sehr intuitiv - wie Ihr Spiel. Kann man sagen, dass Sie quasi ein Rapper auf dem Fußballplatz sind?

Cuisance Ich mache natürlich nicht alles, was ich will und spiele nur instinktiv. Ich muss mich auch an die Vorgaben halten. Aber wenn es nach vorne geht, gibt mir der Trainer die Freiheit, auch ins Risiko zu gehen und meine Einfälle umzusetzen. Ich habe früher jede freie Minute auf der Straße gespielt, da macht man viel aus dem Bauch heraus. Das schult die Technik.

Also wurde ein Video von Zinedine Zidane, Ihrem Vorbild, geschaut und alles nachgemacht?

Cuisance Ich habe es versucht. (lacht)

24 Bundesligaspiele und zwei Pokalspiele sind viel für die erste Saison eines Teenagers in der Bundesliga.

Cuisance Das ist gut. Aber ich habe kein Tor gemacht ...

Haben Sie damit gerechnet, dass Sie so schnell ankommen würden in der Bundesliga?

Cuisance Ich habe nicht gedacht, dass ich so viele Spiele machen würde. Aber der Trainer hat viel mit mir geredet und gearbeitet - und wenn man dann reinkommt, denkt man nicht mehr nach, sondern spielt nur noch.

Der Plan war anders: Das erste Jahr sollte ein Lehrjahr sein.

Cuisance Das war der Plan. Aber der Plan war auch, nicht nein zu sagen, wenn es anders kommt. Und wenn man dann einmal gespielt hat, will man auch immer mehr. Ich wusste immer, dass ich es schaffen kann, wenn ich hart an mir arbeite.

Was ist Fußball für Sie grundsätzlich: mehr Arbeit oder mehr Gefühl?

Cuisance Für mich ist das nicht zu trennen. Auf der einen Seite ist Fußball natürlich Arbeit, aber ohne Gefühl und ohne Emotionen geht es nicht. Und damit habe ich kein Problem. Ich arbeite gerne, weil ich immer besser werden will.

Passt daher der Vergleich mit Ivan Rakitic, den manche Experten ziehen?

Cuisance Er ist ein großer Spieler, der Vergleich ehrt mich natürlich. Wenn ich ihn sehe, versuche ich, etwas rauszuziehen und es nachzuahmen. Aber ich will weder ihn noch Zidane noch sonst wen kopieren, ich will meinen eigenen Stil entwickeln.

Sie haben in dieser Saison viele Positionen gespielt: meistens Sechser, aber auch Achter, Zehner und Neuneinhalb. Was mögen Sie besonders?

Cuisance Das ist mir eigentlich egal. Mir ist nur wichtig, eine Position im Zentrum zu spielen, da kann ich mich am besten entfalten.

Von hinten raus ist aber der Weg zum Tor länger.

Cuisance Am liebsten bin ich der, der das Spiel macht. Und wenn man das tut, kommt man so oder so in die Situation, Tore zu machen. Das würde ich in Zukunft gern auch in der Bundesliga tun. Ich habe es ja ein paarmal versucht, hatte aber noch kein Glück.

Das wäre dann das Ziel für die neue Saison?

Cuisance Ja, natürlich. Es ist schon ein bisschen hart für mich, dass ich es noch nicht geschafft habe, ein Tor zu machen. In der Jugend habe ich ständig Tore geschossen, daher ist es für mich gewöhnungsbedürftig, ohne Treffer zu sein. Es macht mir zwar kein Problem und ich ordne dem nicht alles unter, ich will vor allem dem Team helfen. Aber wenn es passiert mit den Toren, dann bin ich froh.

Sie haben als Jugendlicher viele Klubs auf sich aufmerksam gemacht. Es ist zu lesen, dass Sie auch mit Manchester City verhandelt haben. Warum ist es am Ende Borussia geworden?

Cuisance ManCity hätte mich im Winter kaufen können, es war ernst. Aber ich habe mir noch mal Gedanken gemacht. Ich wollte spielen. Ich habe mir einfach in Gladbach bessere Chancen ausgerechnet. Das war mir wichtiger, als gleich zu einem ganz großen Klub zu gehen.

Sehen Sie Borussia als Zwischenschritt?

Cuisance Borussia hilft mir sehr, ein besserer Spieler zu werden. Wenn wir alle an der Sache arbeiten, werden wir zusammen noch gute Spiele machen und erfolgreich sein. Darauf konzentriere ich mich und denke nicht über den nächsten Schritt nach. Ich habe die richtige Entscheidung getroffen und fühle mich wohl bei Borussia.

Wie wichtig ist in dem Zusammenhang die "French Connection" um Ibo Traoré?

Cuisance Als ich hier vorher mal zu Besuch war, habe ich Ibo und Thorgan Hazard getroffen, sie haben mir gesagt, ich soll herkommen, es wäre eine gute Geschichte für mich. Das hat mir gefallen. Dass es viele Französisch sprechende Spieler gibt, war für die erste Integration wichtig, aber inzwischen habe ich zu allen im Team einen guten Kontakt.

Aber wenn Traorés Mutter kocht, sind Sie weiterhin dabei?

Cuisance (lacht) Natürlich, das kann man sich nicht entgehen lassen. Sie müssen das mal probieren, es ist genial.

Sie sind in Straßburg nahe der deutschen Grenze aufgewachsen. Haben Sie schon immer die Bundesliga im Blick gehabt?

Cuisance Die Bundesliga ist im Elsass natürlich nah, ich war als Zehnjähriger auch mal bei einem Bundesligaspiel in Freiburg, das hat mir sehr gut gefallen und Lust gemacht, vielleicht irgendwann mal in der Bundesliga zu spielen. Jetzt bin ich hier, das ist toll.

Sie haben an sich selbst hohe Erwartungen. Erzeugt das Druck?

Cuisance Von außen verspüre ich keinen Druck. Ich lese auch nicht viel von dem, was über mich geschrieben wird. Es zählt sowieso nur, was auf dem Platz passiert. Ich bin wohl der, der sich am meisten unter Druck setzt, weil ich gern immer unter den ersten Elf sein will. Aber das stört mich nicht - es treibt mich an.

Wie erhält man sich im Liga-Alltag das Unbedarfte, das so wichtig für Ihr Spiel ist?

Cuisance Ich rufe morgens vor den Spielen immer meine Eltern an, höre dann Musik. Drei Stunden vor dem Spiel stelle ich mein Telefon aus und versuche abzuschalten, um mich ganz auf das, was kommt, zu konzentrieren.

Es gab viele gute Erfahrungen in dieser Saison, aber auch negative. Wie beim 1:5 gegen Leverkusen, als Sie nach 60 Minuten raus mussten. Ist so etwas auch wichtig für die Entwicklung?

Cuisance Klar ist das auch etwas, was einen weiterbringt. Aber wenn es passiert, denkt man darüber nicht nach, sondern sieht nur das miese Spiel und die Niederlage. So etwas will man als Sportler nicht haben - und man braucht es gefühlt nicht, auch wenn es etwas zur Entwicklung beiträgt.

Ihr risikoreiches Spiel verzückt die Fans, birgt aber auch Gefahren. Wie bekommt man die richtige Balance?

Cuisance Ich lerne jeden Tag im Training etwas dazu im Zusammenspiel mit Chris Kramer und Denis Zakaria, die mir Hinweise geben, wann ich mich wie verhalten muss. Ich denke, ich habe da schon Fortschritte gemacht, aber auf dem Platz geht es auch darum, in jedem Spiel das dann Bestmögliche herauszuholen, um besser zu sein als der Gegner. Generell kann ich aber sagen, dass das Risiko zu meinem Spiel gehört. Es ist wichtig, auch mal Risiko zu gehen. Es gibt sicher Spieler, die das vermeiden, um den Ball nicht zu verlieren, aber so bin ich nicht.

Frankreichs Fußball gilt als hip. Sie gehören zu den großen Talenten des Vize-Europameisters. Woran liegt es, dass die französische Nachwuchsarbeit wieder so gut ist?

Cuisance Ein Geheimnis unserer Jugendarbeit ist, dass die Trainer sehr hart sind. Das Training dort ist extrem intensiv - vielleicht ein bisschen härter als anderswo. Unsere Klubs schaffen es aber derzeit nicht, die Talente zu halten. Viele gehen in die Bundesliga, darum fällt es in Deutschland auf, dass es bei uns gute Spieler gibt. Für Talente ist die Bundesliga sehr anziehend: Mit den Fans und der Stimmung und den vielen engen Spielen ist es eine der besten Ligen in Europa. So etwas braucht man als junger Spieler.

Borussia hat Sie schon als 15-Jährigen gescoutet. War Ihnen das bewusst?

Cuisance Nein, das wusste ich nicht. Aber um solche Sachen kümmert sich mein Vater, ich konzentriere mich auf Fußball.

Im Sommer ist die U 19-EM. Sie sind mit Frankreich dabei. Was kann man erwarten? Ist Frankreich Titel-Favorit? Bei der Eliterunde wurden Belgien und Spanien besiegt.

Cuisance Ich weiß nicht, ob man daher sagen kann, dass wir großer Favorit sind. Trotzdem glaube ich, dass wir das Turnier gewinnen können. Es ist die Mannschaft, die bei der U 17-WM früh gescheitert ist, darum sind alle noch heiß darauf, richtig etwas zu zeigen. Das kann etwas bewirken.

Was machen die großen Franzosen bei der WM in Russland?

Cuisance (grinst) Wir werden Weltmeister.

Gehen wir weg vom Fußball. Was macht Michael Cuisance privat?

Cuisance Ich bin, wie gesagt, eher ein ruhiger Kerl, zurückhaltend und schüchtern - aber sehr nett. Ich mag es, auf der Couch zu liegen und Playstation zu spielen. Mit meinem Vater gehe ich gern Angeln. Laci Bénes ist auch Angler, aber wir waren noch nicht zusammen unterwegs.

Gibt es nächste Saison eine Doppelsechs der beiden Angelfreunde?

Cuisance Ja, warum nicht? Wir ergänzen uns gut, würde ich sagen. Laci sollte dann aber den defensiveren Part übernehmen. (lacht)

Schauen Sie sich auch von Raffael viel ab?

Cuisance (mit leuchtenden Augen) Ich kannte Raffa schon aus dem Fernsehen, aber als ich ihn habe spielen sehen, war ich total beeindruckt. Wahnsinn, wie er mit dem Ball umgeht, da passt alles - da frage ich natürlich immer wieder nach.

Sie haben die Messlatte für die nächste Saison sehr hochgelegt. Was ist das Ziel? Stammspieler?

Cuisance Ich will dem Team bestmöglich zu helfen und das so oft wie möglich- und mein erstes Tor machen. Ich sage aber nicht: Ich habe jetzt 23 Spiele gemacht, jetzt sollen es 30 werden. Ich will einfach so oft auf dem Platz stehen wie möglich. Es wird in der neuen Saison eine andere Situation sein, mit neuen Spielern und hoffentlich weniger Verletzten. Aber Konkurrenz ist kein Problem für mich. Dadurch wird man stärker. Ich versuche einfach, besser zu sein als die anderen, dann spiele ich auch.

Woher kommt das Selbstvertrauen?

Cuisance Von meinem Vater. Er hat mir immer vermittelt, dass ich im Kopf klar sein und an mich glauben muss. Er sagt, ich kann der Beste sein, wenn ich hart dafür arbeite - daran glaube ich.

Karsten Kellermann führte das Gespräch.

(kk)
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