Borussia Mönchengladbach Tony Jantschke ist wieder sehr präsent

Mönchengladbach · Die vergangene Saison hat der Borusse aus dem Gedächtnis gestrichen. Seine Vorbereitung war stark, in Bern gehörte er zur Startelf.

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Tony Jantschke hat eine Amnesie. Zumindest für einen Teil seines Berufslebens. Die vergangene Saison ist aus seinem Gedächtnis verschwunden. Bewusst. Borussias Abwehrspieler hat sie einfach gestrichen: Es war ja auch ein Jahr zum Vergessen. Erst lief es nicht bei dem sonst so Zuverlässigen. Und dann riss das Kreuzband. Monatelange Pause, Reha, Quälen fürs Comeback. Dann war er wieder da - und zog sich einen Muskelfaserriss zu. Wieder eine Pause. Wieder Reha. Wieder schuften fürs Comeback. In Darmstadt, beim letzten Saisonspiel, stand er wieder auf dem Platz. So, wie er es sich vorgenommen hatte. Ziel erreicht. Und dann entschied er sich fürs Vergessen.

Jantschkes berufliche Erinnerung beginnt wieder mit der Vorbereitung auf neue Saison. In der hat er hart und gut gearbeitet. Die Belohnung gab es am Dienstag in Bern. Jantschke gehörte zur Startformation im ersten Play-off zur Champions League. Er bildete mit Andreas Christensen und Nico Elvedi die Dreierkette im ersten wichtigsten Spiel des Jahres. Es gab ein paar Wackler, gerade nach der Pause, als Bern zwischenzeitlich wie wild drückte, aber alles in allem machte Jantschke einen guten Job. Wie gewohnt. Jantschke ist wieder der Alte.

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26 Jahre ist er inzwischen, doch gefühlt gehört er noch zur jungen Garde Borussias. Er ist eben ein Eigengewächs, und ein solches bleibt irgendwie immer jung. Dabei hat Jantschke, der nun seit zehn Jahren Borusse ist (2006 kam er aus dem Nachwuchsinternat des FV Dresden-Nord ins Gladbacher Ausbildungszentrum), schon 192 Profispiele hinter sich, das 193. soll morgen das Pokalspiel beim SV Drochtersen/Assel werden. Sein Debüt gab er mit 18 am 29. November 2008. Was er seither geschah, war wie ein Rausch: Last-Minute-Rettung 2009, Relegationsrettung 2011, Rückkehr in den Europapokal 2012, Europa-League 2014, das erste Mal Champions League 2015 und nun wohl das zweite Mal in Serie Meisterliga. "Ich habe hier schon viel erlebt", pflegt Borussias dienstältester Feldspieler zu sagen. Und er gehört zu den Gladbachern, die den aktuellen Status quo besonders zu schätzen wissen. Denn er hat noch die Zeiten am Abgrund erlebt, die, aus denen das geflügelte Wort "Wir wissen, wo wir herkommen" geworden ist. Insbesondere die Relegations-Erfahrung vor fünf Jahren hat ihn und den Klub geprägt.

Demut ist ein großes und oft überstrapaziertes Wort, doch einer wie Jantschke verkörpert es. Er weiß zu schätzen, was er hat. Weil er weiß, dass es auch anders sein kann. Darum hat ihn die vergangene Saison zwar ausgebremst, aber nicht umgeworfen. Er habe lange Glück gehabt, nicht schwer verletzt zu sein, sagte er zuletzt. Und wer lange Glück hatte, kann vielleicht mit Pech besser umgehen. Vor allem hat er an sich geglaubt, an die Fähigkeit, wieder aufzustehen. Oft haben ihn Experten vergessen, wenn es um die Spieler ging, die wichtig sind, und am Ende war er immer dabei. Auch, weil er flexibel ist. Sechser war er bei Hans Meyer, rechter Verteidiger bei Lucien Favre, später auch Innenverteidiger in der Viererkette. Nun spielt er in André Schuberts System mit der Dreierkette: rechts, links, Mitte, egal, Jantschke ist nicht festgelegt, im letzten Testspiel gegen Lazio Rom agierte er am Ende im defensiven Mittelfeld. Schubert stellt gern mal während eines Spiels das System um. Wenn das große Verschieben ansteht, ist es gut, Spieler wie Jantschke zu haben. In Bern war er in der Schlussphase rechter Verteidiger, nachdem Schubert auf eine Viererkette umgestellt hatte.

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Als er von seinem Kreuzbandriss genesen war, das war Anfang April, sagte Schubert, Jantschke müsse sich noch an die neue Spielweise gewöhnen. Mancher filterte einen befremdlichen Unterton heraus und vermutete, Jantschkes Zukunftsperspektive in Gladbach sei möglicherweise düster. Der aktuelle Status quo widerlegt die These: Jantschke gehört zum von Schubert bestimmten Mannschaftsrat, ist Vize-Kapitän und hat 100 Prozent der bisherigen Pflichtspiele mitgemacht. Und es heißt, er sei derzeit quasi gesetzt. "Tony hat eine richtig gute Vorbereitung gespielt, hat eine ganz andere Körpersprache als noch in der vergangenen Saison, ist sehr präsent, ich freue mich darüber", sagte Schubert in Bern.

Jantschke nimmt das Hin und Her wie immer gelassen. Er kennt die überhitzte Atmosphäre rund um den Fußball, er weiß, wie schnell Helden geboren werden, aber auch, wie schnell sie fallen. Er ist keiner, der es darauf anlegt, in Heldengeschichten Hauptrollen zu spielen. Er will seinen Job machen als Teamarbeiter. Als solcher beteiligt er sich aber gern an epochalen Storys rund um Borussia. Teil eins der "Auf, auf, auf in die Champions League"-Saga ist geschafft. Er war dabei. "Ich habe gespielt, den Rest hinterfrage ich nicht. Anscheinend hat es gereicht, um in der ersten Elf zu sein", sagte er. Nüchtern. Ohne Popanz. Den Fokus auf das Wesentliche. So wie er auch Fußball spielt.

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Klar ist: Jantschke will keine Amnesie-Saison haben dieses Mal, sondern bestenfalls eine, die für ihn unvergesslich ist. Der Anfang ist gemacht. Und wie. Das Heimspiel-Feeling in Bern, für das die 6000 Gladbach-Fans sorgten, war selbst für Jantschke, der so viel erlebt hat mit Borussia, ein Highlight. Und ganz nebenbei passt es ja zu Bern, wie seine Fans ihn rufen, frei nach Herbert Zimmermann: "Tony, du bist ein Fußballgott."

(kk)
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