Interview mit Borussias Fanbeauftragten „Aktionen wie gegen RB interessieren keinen“

Mönchengladbach · Borussias Fanbeauftragter Thomas "Tower" Weinmann spricht über unterschiedliche Ansprüche bei den Fans und die Probleme der Nordkurve. Auch zu den Protesten gegen RB Leipzig bezieht er vor dem Spiel gegen Hoffenheim Stellung.

 Thomas „Tower“ Weinmann in seinem Büro im Gebäude „Borussia 8 Grad“ gegenüber vom Borussia-Park

Thomas „Tower“ Weinmann in seinem Büro im Gebäude „Borussia 8 Grad“ gegenüber vom Borussia-Park

Foto: Karsten Kellermann

Herr Weinmann, vor zwei Wochen gab es gegen den gegnerischen Klub RB Leipzig eine Plakat-Aktion. Dabei wurden auch beleidigende Spruchbänder gegen Ralf Rangnick und die Polizei gezeigt.

Weinmann Das stimmt. Diese Banner gingen überhaupt nicht, davon hat sich der Verein auch sofort distanziert. Aber man muss die ganze Geschichte dahinter kennen.

Die wäre?

Weinmann Wir haben vorher gesagt, dass das RB-Spiel nicht wie vor zwei Jahren ausufern (damals wurden ebenfalls gewaltverherrlichende Plakate aufgehängt, d. Red.) oder dem eigenen Team durch einen Schweige-Boykott geschadet werden soll. Deswegen hat der FPMG Supportes Club e. V. diese Aktion mit kreativen Bannern und den Trillerpfeifen mit ins Leben gerufen. Es wurden auch vor dem Spiel Info-Stände eingerichtet zu Themen wie RB Leipzig und 50+1. Da hat man aber schon gesehen, dass das nur sehr wenige Leute interessiert. Alle wollten nur T-Shirts und Schals für fünf Euro kaufen mit der Aufschrift des Mottos „Pro Traditionsverein“.

Die Banner-Aktion uferte aber aus.

Weinmann Ein paar Leute haben sich nicht an den Borussen-Kodex gehalten, das verurteilen wir. Auch unter den Ultras waren nicht alle damit einverstanden. Da haben teilweise alte Männer auf dem Schulhof bei unserem Fanprojekt de Kull gemalt, zum ersten Mal in ihrem Leben, und sie haben sich richtig Mühe gegeben. Einige Plakate waren sehr kreativ, andere weniger. Die gingen dann in die Richtung „Scheiß Bullen“. Ich habe mir fast alles dort angesehen, alles war aber einfach nicht zu überblicken bei der Menge.

Wurden die Banner nochmal vor dem Spiel kontrolliert?

Weinmann Es ist immer so, dass die Fans drei Stunden vor dem Spiel kommen, um ihre Plakate dem Ordnungsdienst vorzuzeigen. Das ist Pflicht. Man muss die Banner nicht anmelden, aber sie vor dem Eintritt in das Stadion gezeigt haben.

Aber anscheinend wurden nicht alle Plakate kontrolliert.

Weinmann Wissen Sie, wenn sich beispielsweise schmale Leute so ein Banner um den Bauch wickeln, merkt man das nicht. Die werden abgetastet, aber müssen sich ja nicht ausziehen. Das fühlt man nicht. Und beim Plakat gegen Ralf Rangnick wurde sicherlich im Stadion noch nachgesprüht irgendwo in einer Ecke. Man hat ja gesehen, dass darauf zwei unterschiedliche Schriftarten waren.

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Borussia-Fans protestieren gegen RB Leipzig

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Foto: AFP/INA FASSBENDER

So ist die Aktion verpufft, im Gedächtnis bleiben die Beleidigungen.

Weinmann Richtig. Die aktive Fanszene in der Nordkurve, das sind etwa 1500 bis 3000 Anhänger, unter anderem Ultras, Kutten und Allesfahrer, hat feststellen müssen, dass Aktionen wie gegen RB keinen interessieren, eigentlich nur sie selbst. Das ist ihnen hinterher klargeworden. Die Wahrnehmung der aktiven Fanszene ist anders als die der Fans, die das Stadion voll machen. Die haben sich damit abgefunden, dass es Klubs wie RB Leipzig gibt, ob sie es gut finden oder nicht. Das sind für diese Leute einfach Gegner von Borussia. Und sie wollen Borussia unterstützen, damit sie gewinnt.

Also bringen diese Aktionen nichts?

Weinmann Man muss natürlich anerkennen, dass in Deutschland jeder das Recht hat, seine Meinung zu äußern, wenn es im Rahmen bleibt. Aber im Stadion sind über 95 Prozent der Leute da, um Fußball zu sehen. Das muss man akzeptieren.

Der Klub hat auch eigene Werte und Normen, die über den Borussen-Kodex der Fans hinausgehen und die gegen Leipzig auch missachtet wurden. Das hat Geschäftsführer Stephan Schippers gesagt.

Weinmann Das Problem ist, dass letztlich jeder den Kodex egoistisch auslegt. Die Vereinsseite gibt die Regeln vor, der Fan sagt, er hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. So auch bei den vier gewaltverherrlichenden und beleidigenden Plakaten gegen RB. Das ist aus Vereinssicht natürlich falsch. Deswegen haben wir nun gesagt, dass wir unsere Tugenden leben und das auch von unseren Fans fordern. Wir wollen sowas nicht in unserem Stadion haben. Wenn sich die Fans daran in Zukunft nicht halten, gibt es Probleme. Deswegen sind wir guten Mutes, dass das am Samstag gegen Hoffenheim funktionieren wird. Der Dialog hat bei uns schon oft Erfolge erzielt.

Wann zum Beispiel?

Weinmann Der Verein erkennt die Arbeit der Ultras an mit ihren Bannern, wenn sie den Richtlinien entsprechen, der Stimmung und den Choreos. Deswegen haben sie einen Raum hinter der Nordkurve, um Banner und Fahnen aufzubewahren und eigene Fan-Artikel verkaufen zu können, deren Erlös in Choreos gesteckt wird. Nachdem sie aber im letzten Hinrundenspiel in Dortmund massiv Pyrotechnik gezündelt haben und der Verein eine Rekordstrafe bekam, gab es eine klare Ansage, dass es Konsequenzen geben wird, wenn sie wieder zündeln. Seitdem ist nichts mehr passiert in dieser Hinsicht. Das ist ein Erfolg.

Viele werfen Ihnen als Fanbeauftragtem vor, dass Sie nicht dazwischengehen, wenn etwas passiert.

Weinmann Man muss versuchen, unsere Rolle zu verstehen. Wir dürfen gar nicht einschreiten, dafür sind wir nicht ausgebildet. Wir sind wie Lehrer, die nur etwas vorgeben können. Ich habe vor kurzem mit einem Wissenschaftler gesprochen, der gesagt hat, dass ein Sozialpädagoge höchstens zwölf Menschen erreichen kann. Wir in unserer Abteilung Fanarbeit sind zu viert, in der Nordkurve sind 21.500 Fans. Die können wir nicht alle erreichen.

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Foto: Karsten Kellermann

Also kann der Klub das Problem gar nicht lösen?

Weinmann Der Fußball ist da anders als das normale Leben. Wenn jemand mit seinem Auto über eine rote Ampel fährt, wird nicht der Hersteller des Autos belangt. Hier fällt aber alles auf Borussia zurück, das muss den Leuten klar sein. Der Klub wird dafür kritisiert, dass er angeblich nichts macht, aber es ist nicht möglich, jeden Einzelnen zu erreichen. Es ist die Aufgabe der Polizei, zu ermitteln, wer Straftaten im Stadion begeht, sofern es welche gibt.

Wie wehrt sich der Klub dagegen?

Weinmann Die Fanklubs wissen, dass es Konsequenzen gibt, wenn jemand gegen den Kodex verstößt. Dann gibt es zum Beispiel keine Tickets mehr. Die aktive Fanszene ist aber anders organisiert, nämlich über das FPMG, das sich selbst reguliert. Auch die rund 200 bis 300 Ultras organisieren sich selbst.

Trägt das FPMG also eine Mitschuld an der ausufernden Aktion gegen RB Leipzig? Sie sind dort ehrenamtlicher Geschäftsführer.

Weinmann Das FPMG hat von Borussia den vertraglich festgehaltenen Auftrag bekommen, die Fans zu einem sicherheitskonformen Verhalten zu bewegen und Gewalt, Rassismus und Diskriminierung aus dem Stadion zu verbannen. Das entspricht ja auch unserem Vereinskodex. Das FPMG kann aber auch nur Leitlinien geben und kann gegen solche Einzelfälle nichts machen.

Zumal sich diese „Fans“, die Probleme machen, im Recht fühlen.

Weinmann Das Problem in der heutigen Welt, nicht nur bei Fans, ist, dass sich alle die Wahrheit so zurechtlegen, wie sie es brauchen. Es gibt ein chinesisches Sprichwort: Es gibt drei Wahrheiten – meine, deine und die Wahrheit. Das stimmt. Ein Beispiel: In unserem Kodex steht, dass wir keine Diskriminierung dulden. Manche Fans sagen, dass dort ja nichts von Beleidigung stünde. Aber sind Beleidigungen nicht auch eine Form von Diskriminierung?

Die erste Stellungnahme des FPMG nach dem Leipzig-Spiel hat bei vielen Fans für Kopfschütteln gesorgt.

Weinmann Man hätte sagen sollen, dass da einige Leute Mist gebaut haben. Wir werden deswegen auch im Sommer in Klausur gehen, um über den Auftrag des Supporters Club zu sprechen und neu zu definieren. Ihnen muss klar sein, dass sie nur die aktive Fanszene vertreten – und damit eine Minderheit im Stadion.

Und die Ultras?

Weinmann Das ist nochmal ein anderes Thema. Das ist eine noch kleinere Gruppe, die mit ihren Aktionen Aufmerksamkeit erzielen und sich im Vergleich mit anderen Ultra-Gruppierungen in Deutschland beweisen will, zum Beispiel mit Pyro-Aktionen. Aber das wollen wir nicht. Auch das FPMG will das nicht.

Die Fans, die, wie Sie sagten, das Stadion voll machen, stören sich nicht nur an gewaltverherrlichenden Spruchbändern. Auch Anti-Stimmung macht sich oft breit, bei der gegen den Gegner oder deren Spieler gesungen wird anstatt für das eigene Team, für Borussia.

Weinmann Das ist eine Mentalität, die ich nicht verstehe. Da muss ich aber deutlich sagen, dass das nicht von den Ultras kommt. Die wollen nämlich eine Pro-Stimmung erzeugen. Der Rest zieht aber nicht mit.

Woher kommt dann die Negativ-Stimmung?

Weinmann Das kann man sehr gut über die Kameras nachvollziehen, wo Gesänge anfangen. Und beispielsweise die Schmähgesänge gegen Timo Werner fingen bei den Kutten an. Die anderen machen dann eben mit. Man muss sagen, dass gerade bei den älteren Fans einige ins Stadion gehen, um ihren Frust abzulassen. Die wollen meckern oder Anti-Stimmung machen. Ich denke, dass sich da auch die aktuelle gesellschaftliche Stimmung spiegelt.

Woran liegt das?

Weinmann In der Kurve herrscht eine extreme Überalterung. Der Altersschnitt liegt bei mindestens 40 Jahren, schätze ich. Da stehen dann 200 junge Ultras, die sich die Seele aus dem Leib brüllen, drumherum aber 50-Jährige, die darauf keine Lust haben, aber auch nicht aus der Kurve wollen, weil sie immer da waren. Sie blockieren sozusagen junge Leute, die Stimmung machen wollen, aber keine Karten mehr für die Nordkurve bekommen. Aber es steht auch im Kodex, dass die Blöcke 15 bis 17 Stimmungsblöcke sind. Dort stehen 6000 Leute, von denen machen nicht alle Stimmung. Daran müssen wir arbeiten. Davon würde auch die Mannschaft profitieren.

Was muss nun passieren?

Weinmann Jeder, der ins Stadion geht, muss seine Rolle überprüfen. Die Menschen auf der Haupttribüne wollen Fußball gucken. Aber der Supporter oder Fan steht auch in der Kurve, um das Team zu unterstützen. Wer dort seine Zähne nicht auseinanderbekommt oder nur schlechte Stimmung verbreiten will, soll zu Hause bleiben. Es ist auch im Borussen-Kodex verankert: Wer in der Nordkurve steht, muss das Team unterstützen. Das ist so und muss auch so sein.

Sie sagten, dass Sie gegen Hoffenheim „guten Mutes“ sind, dass sich die Fans an die Regeln halten.

Weinmann Die Hoffnung ist da. Auch wenn es vielleicht den einen oder anderen Schmähgesang gibt. Die finde ich übrigens unsäglich und sie sind schlecht für den Klub.

Am letzten Spieltag könnte es gegen Dortmund auch nicht unproblematisch werden.

Weinmann Ich hoffe nur, dass es da nicht zum Horror-Szenario kommen wird, dass der BVB im Borussia-Park Meister wird und wir mit leeren Händen dastehen, weil wir Europa verpasst haben. Aber auch darauf werden wir uns vorbereiten.

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