Borussias Systeme Taktische Vielfalt fordert alle

Mönchengladbach · Dieter Hecking gehört, was die Taktik angeht, eher zu den konservativen Vertretern seiner Zunft. Borussias Trainer darf künftig mutiger sein, aber jedes System hängt auch von den Profis ab.

Borussia Mönchengladbach: Dieter Hecking und Systeme in der Rückrunde
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Heckings Systemwechsel in der Rückrunde

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Foto: dpa, shp

Als Dieter Hecking im Dezember 2016 Borussias Trainer wurde, sollte er das wankende Team stabilisieren. Dieses war große System-Konstanz gewohnt mit dem strikten 4-4-2-System der Ära Lucien Favre, die extreme Experimentierfreudigkeit von Favre-Nachfolger André Schubert hatte die Borussen verunsichert. Die Dreierkette wurde zum Synonym dieser Verunsicherung. Hecking war, als er kam, vor allem dem 4-2-3-1 zugetan, hatte in Gladbach aber keinen echten Zentralstürmer. So kehrte er zum 4-4-2 zurück. Das half Borussia.

Denn dieses System gilt seit Favre als die Ordnung, in der sich die Gladbacher Profis besonders wohl fühlen. Ein hoher Wohlfühlfaktor bedeutet eine höhere Stabilitätswahrscheinlichkeit. Je bekannter die Abläufe, desto sicherer fühlt es sich an. Doch ist da auch die Ausrechenbarkeit: Die Gegner wissen, was kommt. In seinem ersten Trainingslager in Marbella hatte Hecking daher auch die Dreierkette getestet, sie aber weitgehend verworfen. In 55 von 62 Gladbach-Spielen unter seiner Regie formierten sich die Borussen beim Anpfiff offiziell im 4-4-2-System mit einer defensiven Viererkette, zwei Sechsern, zwei Flügeln und zwei Stürmern, die sich beide gern zurückfallenlassen.

Hecking gehört, was die Taktik angeht, eher zu den konservativen Vertretern seiner Zunft. Seine Gladbach-Statistik belegt das: Nur in sieben Spielen gab es in eineinhalb Hecking-Saisons zum Start nicht das 4-4-2. Wobei dieses System durch die Besetzung der Doppelsechs und des Angriffsduos durchaus eine Variabilität aufwies - in der Grundaufstellung mit Raffael und Lars Stindl aber genau genommen ein 4-2-4-0 ist. Im Ballbesitz kann es auch ein 4-1-4-1 oder ein 4-2-3-1 sein. Letzteres war in der Hecking-Zeit einmal das Startsystem, zweimal gab es ein 4-4-1-1, jeweils mit den klassischeren Mittelstürmertypen Josip Drmic und André Hahn. In vier Spielen begann Gladbach mit einer Dreierkette - in drei Varianten: 3-1-4-2, 3-4-2-1 und 3-5-2. Bilanz: ein Sieg, zwei Remis, eine Niederlage.

In Frankfurt (0:2) gab es arge Probleme mit der Dreierkette, beim 3:3 gegen Hoffenheim gab 1899-Trainer Julian Nagelsmann zu, vom Gladbacher Ansatz überrascht worden zu sein. Das Hoffenheim-Spiel fällt in der Rückrunde der vergangenen Saison in die Phase mit den meisten Systemwechseln der Hecking-Ära: Fünfmal in Folge wechselte er die Spielordnung, die Niederlagen im 4-4-2 in Leverkusen und bei den Bayern rahmten das 3:3 gegen Hoffenheim (3-4-2-1), das 0:0 in Mainz (3-5-2) und das 2:1 gegen Hertha BSC (3-4-2-1) ein.

Während der stabilsten Saisonphase zwischen dem 2:0 gegen Stuttgart und dem 2:1 gegen die Bayern spielten die Borussen konstant im 4-4-2. Dass in dieser Phase auch die wenigsten wichtigen Spieler fehlten, belegt, dass systemische und personelle Konstanz Faktoren sind für Erfolg bei den Borussen. Dass es in dieser Zeit die hohen Niederlagen in Dortmund (1:6) und gegen Leverkusen (1:5) gab, zeigt den Wankelmut des Teams, den Hecking und die Seinen in der Saison nie richtig in den Griff bekamen. Beim 1:2 in Köln und beim 2:2 gegen Bremen fanden weder Trainer noch Team eine Antwort auf die taktischen Umstellungen des Gegners.

Dass Hecking möglicherweise gern mehr taktisch ausprobiert hätte, deutete er an, als er über den Ausfall von Oscar Wendt sprach. Ohne den Schweden und seine Interpretation des Außenverteidigerjobs sei es schwierig gewesen, die Dreierkette zu spielen. Was auch dazu führte, dass Patrick Herrmann, in dieser Formation meist das Pendant zu Wendt, weniger Spielzeit bekam, weil im 4-4-2 eher Jonas Hofmann den Vorzug bekam. Ob manche Spiele in einer anderen Grundordnung anders gelaufen wären, ist spekulativ. Doch ist in der Kaderstruktur der Borussen systemische Vielfalt angelegt. Es gibt Gene aus der Favre- und welche aus der Schubert-Zeit - und die hat Hecking zumindest in der Rückrunde etwas mehr genutzt als zuvor. Auch während der Spiele gab es immer wieder Umstellungen, mal mit Erfolg, mal ohne. Beim 0:1 gegen Frankfurt nutzte in der Schlussphase die Umstellung auf eine Dreierkette nichts, gegen Hertha gab es im 4-1-4-1 noch den Heimsieg, wenn auch das Spiel kaum schöner wurde.

Für die Zukunft könnte die Variante mit einem Sechser und zwei Achtern (im 4-1-4-1 oder in einem 4-3-3) eine interessante Option sein. Wichtig wird sein, einen Plan B, C und bestenfalls D zu installieren, der ebenso Sicherheit gibt wie das 4-4-2. Und, dass das System vor allem daheim den Willen zur Offensive erkennen lässt. Hecking hat in der vergangenen Saison zart etwas probiert, er darf ruhig mutiger sein in der Systemfrage - sein Team dann öfter den Gegnern ein Rätsel werden als sich selbst. Aber: "Die Spieler füllen das System mit Leben." Das sagt ein gewisser Hennes Weisweiler in einer auf Vinyl gebannten Abhandlung über Fußballsysteme. In der Systemfrage sind Trainer und Spieler gefragt.

(kk)
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