Borussia Mönchengladbach Kruses Kopie und Statistiken wie Marmelade

Mönchengladbach · Max Kruse scheitert zum Rückrundenauftakt erst an einer De-Camargo-Kopie, hält sich dann bei Markus Lanz aber schadlos. Ist es Pech oder Segen, dass noch weniger Menschen "Wetten, dass..?" geguckt haben als Borussias 0:2 gegen die Bayern? Fragt sich die "Zehn vom Niederrhein".

 Feststellung des Freitags: Max Kruse ist nicht Igor de Camargo.

Feststellung des Freitags: Max Kruse ist nicht Igor de Camargo.

Foto: afp, PATRIK STOLLARZ

1.) Der bewegte Mann Diese Gänsehaut kam gerade recht. Während Sportdirektor Max Eberl vor dem Spiel die Fragen von Sky-Reporter Jan Henkel beantwortete, sang der Borussia-Park lauthals "Die Seele brennt". Anstatt die Gerüchte um Yann Sommer, Oliver Baumann oder Wolfgang Kleff zu kommentieren, gab Eberl vor der Nordkurve den emotional Entrückten. Fehlte nur noch, dass er bei "Du unser einzig wahrer Star" mit einstimmte.

2.) Gelassene Anreise Wenn schon die Borussia, ein Fußballverein, "die Sonne unserer Heimat" (O-Ton "Die Seele brennt") ist, dann überrascht es wenig, dass Gäste regelmäßig das landeshauptstädtische Umland ansteuern, um dort zu nächtigen. Es war bereits 19.04 Uhr am Freitag, als Bayerns Medienchef Markus Hörwick twitterte:

Los gehts! FCB-Team startet jetzt vom Hotel in Düsseldorf nach Mönchengladbach. 45 min Fahrt. Borussia, wir kommen! ^M.Hörwick

Alles schien zeitlich so hingehauen zu haben, wie sich der Rekordmeister das vorgestellt hatte. Erst um 20.06 Uhr liefen die Feldspieler des FC Bayern zum Warmmachen ein. Früher standen die Gäste schon einmal eine Stunde vor dem Anpfiff in Turnschuhen auf dem Rasen und blätterten halbwegs interessiert durch das Stadionheft. Aber früher war alles früher.

3.) Ach, Aachen Niemand kann den Bayern-Spielern vorwerfen, dass sie nicht sofort voll bei der Sache gewesen seien. Bereits in der 6. Minute düpierte Mario Götze seinen Gegenspieler Alvaro Dominguez, der in der Anfangsphase noch die allerletzte Einheit seines Rehaprogramms absolvierte und dementsprechend eine Minute später beim 0:1 ebenfalls nicht gut aussah. Aufsehen erregt hatte die Borussia bis dahin lediglich mit dem Versuch, den Treffer von Igor de Camargo aus dem August 2011 zu kopieren. Aber woher soll Max Kruse wissen, wie er in einer solchen Situation den Ball an Manuel Neuer vorbeibringt? An jenem Wochenende vor zweieinhalb Jahren, als Gladbach in München gewann, spielte er mit dem FC St. Pauli noch in der 2. Bundesliga gegen Alemannia Aachen.

4.) Weltumrundung In Zeiten des Bezahlfernsehens gibt es Bundesligaprofis, die noch nie vor einem Millionenpublikum gespielt haben. Julian Korb dürfte am Freitag jedoch der einzige Spieler auf dem Platz gewesen sein, für den es die Premiere war. 6,19 Millionen ARD-Zuschauer plus 600.000 bei Sky waren aber kein herausragender Wert. Im vergangenen August hatten noch 7,98 Millionen Menschen zugesehen, beim Halbfinal-Duell im DFB-Pokal 2012 sogar mehr als zehn Millionen. Wie viele Zuschauer weltweit in den 194 übertragenden Ländern eingeschaltet haben, ist schwer zu sagen. Aber in Bolivien, Indonesien und auf Madagaskar werden sie das 0:2 aus Sicht des VfL schon einordnen können.

5.) Das richtige Händchen Dabei hatte ein Mann so viel Zuversicht verbreitet: Schiedsrichter Peter Gagelmann. In allen elf Heimspielen unter seiner Leitung war Gladbach zuvor ungeschlagen geblieben (sieben Siege, vier Unentschieden), zehn Spiele lang hatte Gladbach unter Gagelmann zu Hause wie auswärts überhaupt nicht verloren. Das ist jetzt Geschichte — und bei der kniffligsten Entscheidung des Abends, dem Handelfmeter zum 0:2, lag Gagelmann auch noch richtig.

6.) Kick it like Pletsch Irgendjemand hatte Pep Guardiola gesteckt, dass es für den FC Bayern in den vergangenen 25 Jahren selten etwas zu holen gab in Gladbach — nur drei Siege in 23 Spielen. Jetzt sind es sogar zwei hintereinander geworden, das gab es seit 47 Jahren nicht und bis dato überhaupt nur dieses eine Mal. Dieser Irgendjemand hätte Guardiola wohl besser noch gesteckt, dass der Rekordmeister im Oktober 2004 gegen eine Borussia mit Interimstrainer Horst Köppel verlor, durch Tore von Marcelo Pletsch und Joris van Hout. Daraus wäre Guardiola mal so gar nicht schlau geworden.

7.) Ganz passabel Statistiken sind wie Marmeladensorten: Es gibt relevante, die man versteht; relevante, die niemand versteht; irrelevante, auf die man nicht verzichten möchte; irrelevante, die obendrein niemand versteht. Die "Zehn vom Niederrhein" macht es sich zur Aufgabe, jeden Geschmack zu berücksichtigen und immer eine Gebrauchsanleitung mitzuliefern. Also dann: Am Freitag lief die Borussia 123,1 Kilometer, Saisonbestwert — aber eben auch nur ein teurer Escortservice mit Berührungsängsten. Manch ein Beobachter wollte zudem eine unterirdisch schlechte Passquote gesehen haben. Die war mit 79 Prozent für VfL-Verhältnisse in der Tat unterdurchschnittlich, aber nur einmal in dieser Saison war eine Mannschaft gegen die Bayern passsicherer — die Borussia selbst am 1. Spieltag.

8.) (Un-)Besiegbar Leichter nachzuvollziehen ist folgende Information: Julian Korb hat am Freitag im zehnten Anlauf sein erstes Bundesligaspiel verloren. Der Nimbus des 21-Jährigen muss deshalb ein wenig umgedichtet werden: Julian Korb hat noch nie ein Bundesligaspiel verloren — außer gegen den FC Bayern. Das liest sich immer noch ganz ordentlich. Alvaro Dominguez ist in dieser Saison dagegen eher durchschnittlich unterwegs: Neun Einsätze, vier Siege, ein Unentschieden, vier Niederlagen. In den Schatten gestellt werden sie alle von Thiago Alcantara. Der ist in jedem seiner bislang sieben Spiele als Sieger vom Platz gegangen und kann am Mittwoch den Bundesligarekord einstellen.

9.) Erste Runde Tiraspol Nach dem Duell mit dem Klub-Weltmeister-Uefa-Supercup-Sieger-Champions-League-Sieger-DFB-Pokalsieger-Deutschen-Meister traf Max Kruse am Samstag bei "Wetten, dass..?" auf Markus Lanz, Atze Schröder, Liam Neeson, Hans Sigl und Yvonne Catterfeld. Früher hätte die Einladung in die "größte TV-Show Europas" einem Gastspiel bei Real Madrid im Bernabeu geglichen. Heutzutage ist es eher eine Pflichtaufgabe bei Sheriff Tiraspol in Moldawien. Kruse beantwortete die 7861. Frage nach seinem Maserati gelassen und schenkte einem kleinen Bremen-Fan ein Gladbach-Trikot. Bedeutet dann wohl in der Fußballsprache: Schadlos gehalten und das ersehnte Auswärtstor geschossen.

10.) Gefrorene Tabelle Stand Samstagabend konnte Kruse das 0:2 gegen den FC Bayern schon weitaus gelassener sehen. Die Bundesligatabelle war bis auf einen Punktgewinn von Borussia Dortmund nach der Winterpause noch nicht wieder aufgetaut. Bayer Leverkusen, der VfL Wolfsburg und Hertha BSC ließen ebenfalls Federn. Eine Niederlage des FC Schalke am Sonntag beim Hamburger SV wäre wohl zu viel des Guten gewesen.

(cfk)
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