Borussia Mönchengladbach "Messi kneift vor Jantschke"

Mönchengladbach · In ihrer Kindheit lagen 12.000 Kilometer zwischen Tony Jantschke und Lionel Messi, sportlich war die Entfernung lange Zeit ähnlich groß. Am Mittwoch treffen ihre Vereine nun erstmals aufeinander. Doch das Duell im Spiel zwischen Jantschke und Messi muss warten.

"Was? Ich?" — Tony Jantschke könnte am Mittwoch gegen den FC Barcelona sein 200. Pflichtspiel für Borussia machen.

"Was? Ich?" — Tony Jantschke könnte am Mittwoch gegen den FC Barcelona sein 200. Pflichtspiel für Borussia machen.

Foto: dpa, nic

Der eine kommt aus Hoyerswerda und ist vor zehn Jahren in Mönchengladbach gelandet, der andere ist vor 16 Jahren aus dem argentinischen Rosario nach Barcelona emigriert. Dass Tony Jantschke und Lionel Messi nun kurz vor einem direkten Aufeinandertreffen standen, ist eine ziemliche Überraschung und vor allem eine schöne Geschichte: auf der einen Seite der lokale "Fußballgott", auf der anderen Seite der fünfmalige Weltfußballer. Das war der weite Weg dorthin:

2000 Ob er nun "keine 1,40" ist oder doch "1,46 Meter", fest steht: Der 13-jährige Lionel Messi leidet an Wachstumsproblemen. Als die Newell's Old Boys, sein Klub, eine Hormonbehandlung nicht mehr bezahlen wollen, schaut sich die Familie anderweitig um, doch Argentinien steckt zu dieser Zeit in einer tiefen Rezession. Der Blick der Messis geht über den Atlantik nach Spanien, dort haben sie Verwandte in Katalonien. Barca-Chefscout Carles Rexach setzt Messis ersten Vertrag auf einer Serviette auf. Der Klub bezahlt die Behandlungskosten, Messi beginnt, zu wachsen, bei 1,69 Meter ist Schluss.

2001 "Ich hätte kein Problem damit, wenn jemand zu mir sagt, ich sei ein typischer Ossi. Ich bin stolz darauf, wo ich herkomme", wird Tony Jantschke später einmal sagen, als der Niederrhein schon lange seine Wahlheimat ist. 2001 geht er auf ein Sportgymnasium in Dresden, das ist damals ein ziemlicher Schritt, weg aus Hoyerswerda und ins Internat in der Landeshauptstadt.

2003 Im Jugend-Pokalfinale trifft der FC Barcelona auf Espanyol. Messi muss aufgrund einer Gesichtsverletzung eine lästige Maske tragen, auf Fotos erinnert er an einen Massenmörder aus einem Horrorfilm. Doch Messi sieht zu wenig, der Schweiß nervt, er wirft seinem Trainer die Maske vor die Füße. Bis zur Pause erzielt Messi zwei Tore, mit einem Jochbeinbruch. Dann wird er vom Feld genommen. In der folgenden Saison darf er mit 16 Jahren in einem Freundschaftsspiel zum ersten Mal für die Profis ran. "Er war wie ein Außerirdischer", sagte Mitspieler Ludovic Giuly.

2005 Am 1. Mai schießt Messi sein erstes Tor für die Profis, bereits im Vorjahr hat er sein Ligadebüt gefeiert. Zu jener Zeit gibt der große Ronaldinho noch den Ton an bei Barca, bald wird sein "kleiner Bruder" ihn ablösen.

2006 Lionel Messi, der "Floh", gewinnt erstmals die Champions League, fehlt im Finale jedoch verletzt. Dann fährt er mit Argentinien zur WM. Während Deutschland das "Sommermärchen" feiert, wagt Tony Jantschke den nächsten großen Schritt. Aus Dresden geht es nicht nach Berlin oder Wolfsburg, sondern einmal quer durchs Land an den Niederrhein nach Mönchengladbach. "Von den Zimmern im Internat konnte man immer auf die Trainingsplätze der Profis schauen. Das ist der beste Ansporn, den ein junger Kerl haben kann", sagt Jantschke. Während er von einer Bundesligakarriere träumt, steigt Borussia ab und wieder auf.

2007 Es gibt ein fast schon gruseliges Youtube-Video. Der Bildschirm ist geteilt, links läuft Diego Maradona bei der WM 1986 durch die englische Abwehr, rechts nimmt sich Lionel Messi den FC Getafe vor. Beide starten an der Mittellinie, umkurven am Ende den Torwart und schieben den Ball ins Tor. Während Maradona damals auf dem Zenit seiner Schaffenskraft agiert, ist Messi immer noch erst 19 Jahre alt.

2008 Lange Matte, blonde Strähnchen — Tony Jantschkes Look bei seinem Bundesligadebüt darf aus heutiger Sicht als interessant bezeichnet werden. Aber dieser Nachmittag gegen Energie Cottbus ist ja auch schon acht Jahre her. 1:3 verliert Borussia. Eine Woche später gegen Bayer Leverkusen erzielt Jantschke sein erstes Tor, nur Marco Villa und Rainer Bonhof waren jünger bei ihrem Premierentreffer. Noch eine Woche später erleidet er bei Borussia Dortmund eine Gehirnerschütterung. Im Februar 2009 darf Jantschke bei Werder Bremen noch einmal von Beginn an ran, wird aber noch vor der Pause ausgewechselt. Zwei Jahre lang kommt er nicht so richtig voran.

2009 Mit Samuel Eto'o und Thierry Henry bildet Messi erstmals einen 100-Tore-Sturm. Bei einem 6:2 im Clásico gegen Real Madrid erlebt er seine Premiere als "falsche Neun". Mit einem Kopfballtreffer sorgt er im Champions-League-Finale gegen Manchester United für die Entscheidung. Folgerichtig darf Messi im Januar 2010 seine erste Auszeichnung als Weltfußballer entgegennehmen.

2011 "Das Einfache ist das Geniale" — von einem Jugendtrainer hat Tony Jantschke dieses Motto übernommen. Als Lucien Favre im Februar dieses Jahres bei Borussia übernimmt, ist Einfachheit gefragt. Zweimal sitzt Jantschke zunächst auf der Bank, oft wird ihm das unter dem Schweizer nicht widerfahren, der den Allrounder am 5. März gegen die TSG Hoffenheim als Rechtsverteidiger bringt. Von 153 Bundesligaspielen in der Ära Favre absolviert Jantschke 140, so viele wie kein anderer.

2012 In dieser Saison sind Messi und Jantschke erstmals gleichzeitig Stammspieler einer Profimannschaft. Die Bühnen der beiden nähern sich an, liegen aber immer noch Welten auseinander. 2011/12 schießt Messi 73 Pflichtspieltore, darunter fünf in einem Spiel gegen Bayer Leverkusen. Einen Jubel mit Wiedererkennungswert haben beide: Wenn er denn mal trifft, hält sich Jantschke nach dem Motto "Was? Ich?" die Hand vor den Mund. Messi blickt dagegen gen Himmel und sendet mit erhobenen Fingern Grüße an seine verstorbene Großmutter. Im August 2012 erklingt auch für Jantschke zum ersten Mal die Champions-League-Hymne. Es ist der nächste Schritt zum Duell, auch wenn Messi in jenem Jahr 91 Pflichtspieltore erzielt.

2014 Längst sind das nur noch die relevanten Sphären für den nunmehr viermaligen Weltfußballer: Rekorde, Rekorde, Rekorde. In welchen Kategorien? Nun ja, in allen. Es sei denn, Cristiano Ronaldo ist ausnahmsweise mal besser. Bei der WM 2014 wird Messi zum Spieler des Turniers gewählt, trotz der Finalniederlage gegen Deutschland. Auch Jantschke ist nicht mehr irdisch unterwegs. "Fußballgott" rufen ihn die Borussia-Fans, inzwischen überzeugt er auch als Innenverteidiger.

2015 Auf das beste halbe Jahr folgt das schlimmste. Erst stürmt Jantschke mit Borussia in die Champions League (die Messi mit Barcelona mal wieder gewinnt), dann kann er nur bei der Premiere in Sevilla dabei sein, weil ihn Verletzungen außer Gefecht setzen. "So war ich jetzt zum 50. Geburtstag meines Vaters in der Heimat. Das letzte Mal habe ich den 40. mit ihm feiern können", nimmt Jantschke dennoch Positives mit aus dieser Zeit. "Da begreifst du mal wieder, dass es um den Fußball herum auch noch andere Dinge gibt."

2016 Messi ist jetzt blond, bärtig und vorbestraft. Während der Argentinier wegen Steuerhinterziehung zu 21 Monaten Haft verurteilt wird, die in Spanien üblicherweise nicht vollstreckt werden, kämpft sich Jantschke, Borussias Kassenwart, unter dem neuem Trainer André Schubert wieder heran. In den Play-offs darf er aktiv daran mitwirken, dass Gladbach am 25. August bei der Champions-League- Auslosung im Topf ist. Und dann ist der Moment auf einmal da, in dem Hoyerswerda und Rosario, in dem diese beiden Biografien ganz nah zusammenrücken: Borussia Mönchengladbach trifft in der Gruppenphase auf den FC Barcelona. Und irgendwie passt es zu dieser ungewöhnlichen Geschichte, dass sie nun doch auf ihre Vollendung warten muss. "Messi kneift vor Jantschke", war bei Twitter zu lesen, als die Verletzung des Weltfußballers bekannt wurde, die eine Reise nach Mönchengladbach verhindert. Und wie immer steckt dahinter, wie bei den "Fußballgott"-Rufen, die größtmögliche Wertschätzung der Borussia-Fans.

(jaso)
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