Borussia Mönchengladbach FC Sevilla soll Gladbachs offene Rechnungen bezahlen

Mönchengladbach · Dreimal traf Borussia im Europacup auf einen Titelverteidiger, und immer bedeutete dies Gladbachs Aus. Jetzt folgt der FC Sevilla. Rechnung I: 1976 und 1985 war bei Real Madrid im Stadion Santiago Bernabéu Endstation – beide Male auf tragische Weise.

Borussias Gegner FC Sevilla im Porträt
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Foto: dpa, mr

Dreimal traf Borussia im Europacup auf einen Titelverteidiger, und immer bedeutete dies Gladbachs Aus. Jetzt folgt der FC Sevilla. Rechnung I: 1976 und 1985 war bei Real Madrid im Stadion Santiago Bernabéu Endstation — beide Male auf tragische Weise.

Als Borussia 2012 nach 16 Jahren Abwesenheit auf die europäische Bühne zurückkehrte, gab der Klub stolz ein Buch heraus. "Magische Nächte" heißt es und erzählt die Geschichte von "Borussia Mönchengladbach im Europapokal". Doch nicht alle diese Nächte waren voller Magie, es gab auch welche, die in einem Meer von Tränen endeten.

Zwei dieser Nächte erlebte Borussia im Estadio Santiago Bernabéu, der Heimat des königlichen Klubs Real Madrid. 1976 und 1985 endete in dieser riesigen Schüssel der Weg der Gladbacher durch Europa — jeweils auf tragische Weise.

1976 war es das erste Treffen mit Real — und dieses Los machte die Borussen stolz. "Seit sechs Wochen gibt es bei uns kein anderes Thema mehr", berichtete Jupp Heynckes am Tag vor dem Hinspiel in Düsseldorf. Günter Netzer, die Borussen-Ikone, war 1973 zu den "Königlichen" gewechselt, und auch ein zweiter Deutscher spielte dort: Paul Breitner.

Stoff für große Geschichten gab es also reichlich bei diesem Duell des deutschen mit dem spanischen Meister. Viele sahen darin das vorweggenommene Endspiel des kontinentalen Meister-Wettbewerbs. Am Ende gab es keinen Sieger in beiden Spielen, aber einen Verlierer: Borussia.

"Vom Schiedsrichter verschaukelt"

Zunächst verspielte sie im ersten Treffen mit Madrid einen 2:0-Vorsprung, den Henning Jensen und Jürgen Wittkamp herausgeschossen hatten. Letzterer war auch im Rückspiel einer der Hauptdarsteller einer Farce, die im Gladbacher Europapokal-Buch mit dem Titel "Vom Schiedsrichter verschaukelt" überschrieben ist. Jupp Heynckes hatte die Deutschen früh in Führung gebracht, bis Schiedsrichter Leonardus van der Kroft, ein Niederländer, ein angebliches Handspiel Jürgen Wittkamps ahndete. "Ich schwöre, dass mir der Ball gegen den Oberschenkel und nicht gegen die Hand gesprungen ist", sagte dieser noch viele Jahre später. Santillana erzielte im Anschluss an diesen Freistoß das 1:1.

Wittkamp schoss dann das zweite Borussen-Tor, doch van der Kroft gab es nicht, weil er ein Handspiel gesehen haben wollte. Auch ein Treffer Henning Jensens wurde nicht gegeben, weil van der Kroft einen Borussen im Abseits wähnte. "Ich habe doch einen Mann umspielt, wie soll ich da im Abseits gewesen sein", wunderte sich Jensen. Es blieb beim 1:1, Borussia schied aus. "Der Schiedsrichter hat uns den Sieg geraubt", war von Heynckes zu hören.

"Real wurde dem Erdboden gleichgemacht"

Die zweite dunkle Nacht in Madrid gab es neun Jahre später. Und wie schon 1976 gab es zuvor eine wirklich magische Nacht. Damals hatte Borussia in der Runde zuvor Juventus Turin ausgeschaltet — und damit zum ersten Mal ein italienisches Team. Nun gab es gegen die Madrilenen im Hinspiel ein wundervolles Fußball-Fest. Die "Königlichen" wurden beim 5:1 im Düsseldorfer Rheinstadion regelrecht demontiert, "Real wurde dem Erdboden gleichgemacht", titelte die spanische Zeitung "El Pais". Jupp Heynckes, inzwischen Trainer der Borussen, blieb indes vorsichtig. "Wir dürfen uns nicht täuschen lassen, in Madrid ist die Hölle los", warnte der frühere Torjäger. Das was dann passierte, ist für die Gladbacher schlimmer als die Hölle, es ist ein Weltuntergang.

"Seit dem 1:5 haben wir Tag und Nacht nur daran gedacht, wie wir das ausbügeln können. Und Real ist der einzige Klub, der zu solchen Mannestaten fähig ist", kündigt Antonio Maceda an. Er selbst hatte im Jahr zuvor dem deutschen Fußball schon einmal sehr wehgetan: Bei der Europameisterschaft in Frankreich bedeutete sein Kopfballtor das Vorrunden-Aus für das DFB-Team. Bei Borussias Ankunft in Madrid, wurde ihr gleich klar gemacht, was der Abend bringen soll: Jeder, wirklich jeder, zeigte den Gladbachern mit den Händen die Zahlen vier und null an — ein 4:0 würde reichen. Und es gab ein 4:0.

Beschimpft, bespuckt, gedemütigt

Beim Einlaufen werden die Borussen beschimpft und bespuckt, auf dem Spielfeld werden sie gedemütigt. Jorge Valdano, der Argentinier, der vier Jahre später im WM-Finale das zweite von drei Toren der "Gauchos" gegen Deutschland erzielen sollte, trifft zum 1:0 und zum 2:0.

Santillana erzielt nach 76 Minuten das 3:0 — und eine Minute vor Schluss auch das 4:0. Diesmal schrieb El País: "Borussia wurde ausradiert." In Borussias Europapokal- Buch heißt es: "Eines der großartigsten Spiele der Vereinsgeschichte wird mit einer der größten Enttäuschungen bedeutungslos gemacht."

Real Madrid steht also für zwei traumatische Europapokal-Erlebnisse Borussias. Auch die Gesamtbilanz gegen spanische Teams in europäischen K.-o.-Runden ist negativ. Zwar schaltete Borussia 1974, beim ersten Vergleich mit einem iberischen Klub, auf dem Weg zum Uefa-Cup-Triumph Real Saragossa (5:0, 4:2) aus, doch 1987 war die bis hierher letzte spanische K.-o.-Runden-Erfahrung eine negative: Gegen Espanyol Barcelona gab es erst ein 0:1 am Bökelberg und dann ein 1:4.

"Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt"

Jenes berühmte "Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt" gegen Real Madrid 1985 enthält noch ein weiteres Detail, weswegen Borussia gegen den FC Sevilla noch eine offene Rechnung hat. Die Königlichen waren damals der Titelverteidiger im Uefa-Cup, so wie es nun Sevilla in der Europa League ist. Gegen die Andalusier hat Gladbach zum vierten Mal die Chance, den Sieger des Vorjahres im jeweiligen Wettbewerb auszuschalten. Bisher waren sie immer gescheitert, wobei das tragische Aus im Bernabéu in besonders bitterer Erinnerung blieb.

1974 bietet sich Borussia erstmals die Gelegenheit, über den Titelverteidiger in ein Europapokal- Endspiel einzuziehen. Gladbach bekommt es im Halbfinale des Pokalsieger- Cups mit dem AC Mailand zu tun. Das Hinspiel in San Siro verliert Borussia trotz einiger Chancen 0:2, womit die Hypothek groß ist, gehört das Verteidigen eines Vorsprungs doch schon damals zu den traditionellen Stärken italienischer Teams.

"Manchmal ist das Tor wie vernagelt"

69.000 Zuschauer im Düsseldorfer Rheinstadion hoffen dennoch auf eine Aufholjagd — und zunächst hilft auch ein Italiener, diese Hoffnung zu bekräftigen. Giuseppe Sabadini lenkt einen Vogts-Schuss in der 27. Minute ins eigene Tor ab. Fortan greift Borussia noch bedingungsloser an, ein zweiter Treffer will aber nicht gelingen. "Milan hat nur hinten drin gestanden. Wir dagegen haben nur gestürmt, aber manchmal ist das Tor wie vernagelt", erinnert sich Borussias damaliger Kapitän Herbert Wimmer später. Zudem verweigert der spanische Schiedsrichter Franco Martinez in mehreren Fällen Gladbach einen Elfmeter, Milan zieht trotz des 0:1 ins Finale ein — und verliert gegen den FC Magdeburg.

Vier Jahre später trifft Gladbach im Halbfinale des Landesmeister- Pokals auf den FC Liverpool. Der Triumph der Engländer im Vorjahr ist den Borussen in lebendiger Erinnerung geblieben, waren sie doch selbst Liverpools Gegner im Finale von Rom 1977, das 1:3 verloren ging. Nun wollen die Fohlen erstmals die ruhmreichen "Reds" von der Insel ausschalten. Sie gewinnen das Hinspiel: 2:1 in Düsseldorf durch einen Freistoßhammer Rainer Bonhofs in der 89. Minute. "Selbst eine massive Mauer wäre bei diesem Schuss kaputt gegangen", sagt Liverpools Trainer Bob Paisley. Doch im Rückspiel passiert, was den Borussen schon fünf Jahre zuvor im Uefa- Cup-Endspiel an der Anfield Road widerfahren war — sie werden von Liverpool überrannt. Beim 0:3 sind sie chancenlos.

Gegen den jeweiligen Titelverteidiger ist es für Borussia bislang wie verhext, die schwarze Nacht von Madrid 1985 ist dabei der traurige Höhepunkt. Jetzt folgt gegen Sevilla die vierte Chance. Borussia hat also noch Rechnungen offen. Und der FC Sevilla soll sie bezahlen.

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