Borussia Mönchengladbach Auch das Fanprojekt hat einen neuen Kramer

Mönchengladbach · Dirk Kramer ist das "neue" Gesicht des Mönchengladbacher Fanprojekts. Im Interview spricht er über Fankultur, Kommerzialisierung und Gemeinsamkeiten von Ultras und den anderen Fans.

Dirk Kramer kümmert sich beim Fanprojekt fortan um die Öffentlichkeitsarbeit. Auch das Thema Fankultur fällt in seinen Aufgabenbereich.

Dirk Kramer kümmert sich beim Fanprojekt fortan um die Öffentlichkeitsarbeit. Auch das Thema Fankultur fällt in seinen Aufgabenbereich.

Foto: Dirk P�ffgen

Nicht nur Borussia hat einen neuen Kramer, sondern auch der FPMG Supporters Club. Während sich Christoph Kramer, der Weltmeister, mit den Profis im Trainingslager in Rottach-Egern auf die neue Saison vorbereitet, ist auch Dirk Kramer vor Ort. Er ist das, wie Vorsitzender Thomas Ludwig sagt, "neue Gesicht des Fanprojekts" und ist als solches hauptamtlich für die Öffentlichkeitsarbeit der Dachorganisation der Mönchengladbach-Fans zuständig.

Herr Kramer, Sie sind Spreeborusse, als solcher ist man weit weg von Mönchengladbach. Wie ist so eine Liebe auf Distanz?

Kramer Liebe kennt keine Entfernung. Als Allesfahrer befinde ich mich in guter Gesellschaft, Borussia hat viele Fans, die weit und viel fahren. Ich bin ja gebürtiger Mittelrheiner und schon seit den 70ern Borusse, seit 1993 habe ich eine Dauerkarte. Als ich vor acht Jahren nach Berlin ging, bin ich gleich den Spreeborussen beigetreten. Ich fühle mich aber der gesamten Berliner Gladbach-Fanszene verbunden, sie ist groß und bunt. In der Hauptstadt wird Borussia auf vielfältige Weise gelebt, bis hinein in den Bundestag. Vielleicht erinnern sich manche noch an die große Choreo beim Spiel gegen die Hertha vor zwei Jahren. Hier haben wir alle eng zusammengearbeitet, vor allen Dingen mit den Fan-Klubs Block B, Berliner Fohlen und Berlin-Borussen. Ansonsten ist man als Borussen-Fan in Berlin natürlich auf langen Strecken zu Hause. 'Nur 600 Kilometer bis zum Heimspiel' ist auch der Slogan der Spreeborussen. In Zukunft habe ich natürlich eine kürzere Anreise.

Was fällt beim Supporters Club in Ihren Dienstbereich?

Kramer Die Öffentlichkeitsarbeit, aber auch Fanbetreuung und das Thema Fankultur.

Stichwort Fankultur. Das ist ein großes Wort, das inflationär zu hören ist. Erklären Sie es.

Kramer Es gibt einfach Dinge, die wir uns erarbeitet haben in vielen Jahren. Und die werden von außen immer wieder bedroht. Es ist natürlich gerade bei einem Traditionsverein wie Borussia ganz bedeutend, dass man sich für Stehplätze und faire Ticketpreise einsetzt und sich als Antipode zum Kommerz sieht.

Ist das noch zeitgemäß, wenn der eigene Verein 160 Millionen Euro Umsatz hat und das Thema Internationalisierung unter anderem mit Sponsoren in China vorantreibt?

Kramer Natürlich schauen wir als FPMG Supporters Club mit einem kritischen Blick auf diese Entwicklungen. Ich persönlich sage: Man muss nicht unbedingt in die Ferne schweifen. Zum Beispiel haben wir ein großes Fan-Potenzial nicht nur in Berlin, sondern im gesamten Osten Deutschlands — das wird sich jetzt auch zeigen, wenn wir in Leipzig spielen. Darauf freuen sich die Fans. Aus Fan-Sicht könnte man da viel mehr machen und mehr Präsenz zeigen, vielleicht auch mal durch ein Trainingslager. Natürlich wissen wir, dass Borussia den Weg gehen muss, um bei den großen mithalten zu können. Aber ich hoffe, und wir wissen es ja auch, dass die Vereinsführung unsere Belange kennt.

Borussia definiert sich als Familienverein und bodenständig — ist das mit Blick auf die Kommerzialisierung ein Spagat, der gelingen kann?

Kramer Ich glaube so, wie es Borussia macht, kommt es bei den Fans sehr gut an. Wir hatten ja hier am Tegernsee unser Fan-Fest, und da war auch die Vereinsführung da. Hans Meyer hat in seiner ureigenen Art eine volksnahe Rede gehalten. Und wenn man sich am Tegernsee so umschaut, ist die Szene auch sehr bunt: Allesfahrer sind hier, aber auch viele, viele Familien mit Kindern. Das alles ist schon sehr familiär.

Also trotz Europapokal, trotz immer mehr so genannten Event-Fans, die ins Fanprojekt eintreten, nur um Karten für den Europapokal zu ergattern — kann man da noch ein Familienverein bleiben auf Sicht?

Kramer Man sieht schon Tendenzen, doch wie gesagt: Es ist alles noch sehr familiär. Es ist aber gerade darum wichtig, dass es den Supporters Club gibt, um sich mit solchen Tendenzen zu beschäftigen. Zum Beispiel bei der Kartenverteilung, bei der unser Wort vor allem bei Auswärtsspielen Gewicht hat. Grundsätzlich sind wir Ansprechpartner für alle Borussia-Fans, insbesondere für unsere rund 6500 Mitglieder. Und wir sind das Sprachrohr der Fans, das von allen Seiten anerkannt ist. Das wollen wir auch bleiben, um die wichtige Verbindung zwischen Fans und Verein zu halten. Fan-Sein und Fan-Leben besteht für uns übrigens nicht nur aus dem Thema Karten. Daher haben wir einen vorübergehenden Aufnahmestopp für neue Mitglieder, denn es hatten sich viele beworben, nur um jetzt Tickets für die Europapokalspiele zu bekommen.

Am Rande des Derbys gegen Köln in der Vorsaison war das Verhältnis zwischen den Ultras und den anderen Fans ein großes Thema. Wie ist der Status quo?

Kramer Es gibt natürlich verschiedene Meinungen. Aber insgesamt hat die Geschichte alle Gruppierungen zusammengeschweißt. Ich bin guter Dinge, dass wir eine gemeinsame Linie haben. Gerade in dieser Saison wird das zum Tragen kommen, wenn wir gegen Leipzig spielen. Das wird es sicher eine Aktion der Gladbach-Fans geben.

Warum ist RB Leipzig so ein Hassobjekt? Leipzig ist eine Fußballstadt, auch die Region dort ist sehr Fußball-affin. Es ist eine andere Fankultur, aber muss man das nicht akzeptieren?

Kramer Wir wissen, dass die Sehnsucht nach großem Fußball in Leipzig und Umgebung groß ist. Wichtig ist uns aber, dass die Leute wissen, die hingehen, wen sie da supporten. Ein Unternehmen wie Red Bull tut dem Fußball nicht gut. Darauf muss man immer wieder hinweisen.

Auch Borussia verdient Geld und hat Sponsoren. Wie viel Romantik ist noch möglich im modernen Fußball?

Kramer Es kann nicht romantisch genug sein. Es ist die Aufgabe von uns allen, das zu bewahren. Für mich ist es so: Wenn ich hier Rainer Bonhof sehe, ist das ein Idol für mich. Das ist Borussia. Das ist Tradition. Und das ist Fußball-Romantik. Ohne sie wäre der Fußball ein bisschen ärmer.

(RP)
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