Borussias Chefscout über Plea-Deal „Wir gehen davon aus, dass Alassane noch länger bei uns ist“

Mönchengladbach · Steffen Korell stand in 51 Bundesliga-Partien für Gladbach auf dem Platz. Mittlerweile ist er Borussias Chefscout. Im Interview spricht der 47-Jährige über den Transfer von Alassane Plea, die jahrelange Vorbereitung seiner Abteilung dazu und Millionen-Beträge im Fußball.

 Blick für Begabung: Steffen Korell ist Borussias Chefscout.

Blick für Begabung: Steffen Korell ist Borussias Chefscout.

Foto: Christian Verheyen, Borussia

Ihr Sportdirektor Max Eberl hat Sie mehrfach lobend erwähnt nach dem Transfer von Alassane Plea…

Steffen Korell Dieses Lob galt der Arbeit unserer gesamten Scouting-Abteilung und darüber haben wir uns natürlich gefreut.

Stimmt es, dass Borussia Plea schon seit er 18 ist, also seit sieben Jahren, konkret beobachtet?

Korell Wir kennen Alassane Plea schon sehr lange, aber es war vorher nie der Zeitpunkt da, an dem wir hätten zugreifen können. Das ist genau die Arbeit, die wir machen: Die Vorarbeit für den Moment, an dem es mal möglich ist. Unsere Philosophie ist, einen Spieler einfach so gut und so lange wie möglich zu kennen, um sagen zu können: Er passt zu Borussia Mönchengladbach. Dazu braucht man eine Scouting-Abteilung mit viel Erfahrung, die wir uns über Jahre mit Mario Vossen als Abteilungsleiter Scouting an der Spitze aufgebaut haben.

Wie wichtig ist es, einen Spieler persönlich kennenzulernen?

Korell Ich glaube, dass das das Mitentscheidende war bei Alassane. Er hat ja selber gesagt, dass er das Gefühl hatte, dass wir ihn gut kennen und einschätzen können, welche Stärken und Schwächen er hat und welchen Fußball er braucht. Das ist die sportliche Geschichte. Und natürlich willst du auch als Spieler wissen, mit wem du dann unmittelbar zusammenarbeitest. Das hat von Anfang an gut gepasst. Wir waren ein paar Mal in Frankreich und so hatte er für sich schon relativ früh eine Entscheidung getroffen.

Wie viel Werbung muss Borussia in so einem Fall noch machen, wenn die Konkurrenz groß ist?

Korell Wir haben uns schon einen ganz guten Namen gemacht in den letzten Jahren. Du kannst bei Borussia mittlerweile international spielen, vielleicht nicht jedes Jahr, aber doch immer mal wieder. Vor allem aber haben wir bewiesen, dass Borussia ein nächster Schritt sein kann, auch für bereits erfahrenere Spieler. Das hat Lars Stindl erlebt, auch Thorgan Hazard oder Matthias Ginter. Alles Spieler, die zum Zeitpunkt der Verpflichtung schon in ersten Ligen gespielt haben, aber durch Borussia noch einen weiteren Schritt in ihrer Entwicklung machen konnten.

Wie oft gucken Sie sich einen Spieler in diesen sieben Jahren an?

Korell Das ist eine hohe zweistellige Zahl an Berichten, die wir über ihn haben. Wir wollen wirklich alles von einem Spieler sehen, ihn auf verschiedenen Positionen, in allen Spielsituationen erleben. Plea hat schon gegen den Abstieg gespielt, um die Meisterschaft mit Nizza, ist nach einer schweren Verletzung zurückgekommen. Er hat als Spielertyp schon alles erlebt.

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Das ist Alassane Plea

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Foto: dpa/Daniel Karmann

Das ist das Sportliche, aber wie lernt man den Menschen kennen, wie er so tickt?

Korell Wir sammeln auf unterschiedlichen Wegen Informationen. Das wichtigste ist für uns das persönliche Gespräch, um den Menschen kennenzulernen, den man zu sich holt. Denn der muss natürlich auch in unser Mannschaftsgefüge passen.

Lars Stindl hat gesagt, Plea sei sehr bescheiden. Ist das so?

Korell Ja, ich denke, das merken auch alle. Wenn man sieht, wie er auch jetzt mit seinem Erfolg umgeht, dass er immer wieder die Mannschaft lobt, dass er ein absoluter Teamspieler ist. Dass er nicht der egoistische Torjäger ist, sondern der Mannschaftsspieler, der aus einem Mannschaftsgefüge heraus seine Tore macht. Der auch seine Mitspieler braucht, um Tore zu machen und seinen Fußball zu spielen.

Ist das ein typischer Gladbach-Mittelstürmer? Früher gab es so etwas ja nicht…

Korell Wir haben inzwischen eine andere Situation als früher. Luuk de Jong beispielsweise kam damals in einer Phase, in der wir gleich drei wichtige Spieler verloren hatten: Marco Reus, Roman Neustädter und Dante. Wir mussten damals praktisch eine ganze Achse ersetzen. In der Offensive mussten wir damals Marco Reus, den besten Spieler mit seinen Toren, Assists und seiner Schnelligkeit ersetzen. Luuk de Jong war damals der Neuner unserer Wahl, aber wir haben die Schnelligkeit drumherum nicht bekommen. Dieses Jahr war es eher so, dass wir ein Puzzleteil, das in unsere Offensivformation passt, geholt haben. Deshalb geht es gar nicht so um die Neuner-Diskussion, sondern darum, dass wir einen Spieler gefunden haben, der uns in unserer Kaderstruktur noch gefehlt hat.

Luuk de Jong hat fast 100 Tore geschossen nach seiner Zeit hier.

Korell Ja, das zeigt, dass er ein guter Spieler ist. Es muss der richtige Moment sein, es muss zur Spielphilosophie passen, zum jeweiligen Trainer. Nur dann machst du gute Transfers. Es gibt sehr, sehr viele gute Spieler, aber es gibt eben Spieler, die im Besonderen zu Borussia Mönchengladbach passen.

Wäre Niclas Füllkrug auch so einer gewesen?

Korell Er war für uns im Scouting auch ein Spieler, der gepasst hätte. Es hat sich aber so entwickelt, dass es Plea wurde. Er war auch immer unser Wunschkandidat.

Wie zufrieden ist der Scouting-Chef, wenn man so einen Hit landet?

Korell Ich glaube, dass wir über Jahre schon eine gute Kaderstruktur hinbekommen haben unter nicht immer einfachen Bedingungen. Aber eigentlich freut es mich am meisten für die Abteilung und für diesen Verein, weil in der Vergangenheit auch investiert wurde. Wir konnten zusammen mit Max nach unseren Vorstellungen eine Scouting-Abteilung aufbauen. Dafür muss man sich Vertrauen erarbeiten im Verein, und dann freut es mich einfach, wenn ein paar Sachen funktionieren.

Diese Arbeit hört ja wahrscheinlich nie auf. Wenn Sie Plea sieben Jahre beobachtet haben, beobachten Sie jetzt gerade einen Spieler für in fünf Jahren?

Korell Wir können uns heute freuen, aber die Zukunftstransfers werden eher schwieriger. Für uns interessante Spieler gehen heute aus der Bundesliga beispielsweise von Freiburg oder Mainz direkt für viel Geld nach Dortmund. Ein Spieler, der schon etwas bewiesen hat und uns nachweislich auch verstärken würde, wird für uns immer schwieriger zu realisieren sein, weil die nötigen finanziellen Aufwendungen immer größer werden.

Mit Spielern aus Frankreich hat es bisher nicht so gepasst bei Borussia. Woran liegt das?

Korell Das würde ich so nicht sagen. Wir haben mit Michael Cuisance ein großes Talent des französischen Fußballs geholt. Spieler wie er zeigen, dass die Franzosen in den jüngeren Jahrgängen sehr viel Potenzial haben. Das sieht man auch an ihren Nationalmannschaften.

Plea ist nun ins Nationalteam berufen worden. Heißt, er ist direkt wieder auf dem Markt trotz eines Fünfjahresvertrages ohne Ausstiegsklausel und Sie müssen bereits den Nachfolger suchen?

Korell Wir gehen schon davon aus, dass Alassane noch etwas länger bei uns ist. Aber grundsätzlich ist das unser Los, aber eigentlich auch das von fast allen anderen Klubs außer Bayern München. Der Spieler entwickelt sich, wir entwickeln uns als Verein und haben Erfolg mit dem Spieler. Und dann gibt es wieder den nächsten Schritt. Wenn du als Spieler so gut bist, dass du jedes Jahr Champions League spielen kannst, dann kann und muss man den nächsten Schritt machen.

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Ist bei Transfers eher der Trainer entscheidend oder eher die Philosophie des Vereins?

Korell Man kann nie das eine oder das andere für sich betrachten. Wir haben unsere Spielphilosophie als Verein aus einer gewissen Tradition heraus, aber auch aus der Überzeugung, dass wir damit erfolgreich Fußball spielen können. Das haben wir über die Jahre bewiesen. Und dann gibt es noch wichtige Nuancen, die jeder Trainer einbringt. Aber die Grundphilosophie ist für uns schon klar, und das macht es auch einfacher, die richtigen Spieler zu finden.

Als Sie angefangen haben, Plea zu beobachten, war das 4-3-3 noch gar nicht absehbar. Muss man also immer Dinge mitdenken, die gerade noch gar nicht aktuell sind?

Korell Das 4-3-3 ist, das hat Dieter Hecking auch so gesagt, für ihn aus der Überzeugung geboren, dass es perfekt zu den aktuellen Mittelfeldspielern und unserer Mannschaft passt. Das geht einher mit Diskussionen: Was hat das für Folgen für unseren Neuner oder was muss der Neuner vielleicht auch noch spielen können? Und Plea hat ja letztes Jahr in Nizza auch auf der Seite gespielt. Deshalb ist auch die Kombination mit Raffael und Stindl möglich. Dennoch ist er für uns ein Neuner.

Also ist der Fußballgedanke für alle Positionen der Leitfaden und da guckt man, welche Ausprägung man bekommen kann?

Korell So kann man das gut sagen. Wir können nicht alle Qualitäten kaufen. Das geht nicht. Also müssen wir das, was auf der einen Seite fehlt, mit etwas anderem ausgleichen.

Wie oft haben Sie schon gedacht: Den Spieler würde ich gerne empfehlen, aber…?

Korell Wir haben natürlich schon viele gute Spieler gesehen, die für uns einfach nicht zu realisieren waren. Wichtig ist, dass wir von den Spielern, die wir geholt haben, alle überzeugt waren. Dass wir immer eine gutes Bild von den Spielern hatten.

Gibt es denn auch Spieler, die man ad hoc verpflichtet?

Korell Das kommt ganz selten vor. Wenn ein Spieler auf den Markt kommt, kennen wir ihn normalerweise schon richtig gut und können auch schnell eine Entscheidung treffen. Das ist eher die Regel. Es entstehen aber manchmal auch überraschende Situationen, dass mal die Verpflichtung eines Spielers möglich ist, den wir sehr, sehr gut kennen, bei dem wir aber der Meinung waren, dass es gar keinen Sinn macht, über ihn nachzudenken. So war es zum Beispiel bei Andreas Christensen. Er war in seinem Jahrgang ein Top-Innenverteidiger, und als Chelsea sagte, jetzt könnt ihr ihn ausleihen, da mussten wir schnell sein.

Das bedeutet: Je besser man vorbereitet ist, desto besser kann man reagieren?

Korell Natürlich hat sich der Verein entwickelt und die finanziellen Möglichkeiten sind besser geworden. Trotzdem geht es nur über eine gute Vorbereitung.

Heißt, man investiert eventuell auch in den nächsten Gewinn?

Korell Viele Sachen gehen am langen Ende auch nur dadurch, dass wir Spieler verkaufen. Das wird immer der Kreislauf sein, auch bei Borussia. Der Spieler muss in die Mannschaft passen, aber auch noch Potenzial haben, sich zu entwickeln.

Claudio Pizarro wäre bei aller Qualität mit 40 Jahren also schwierig?

Korell Als wir Raffael verpflichtet haben, war das auch ein Transfer, der uns und die Mannschaft sofort besser gemacht hat, von dem aber vielleicht nicht zu erwarten war, dass da noch ein großer Transfererlös kommt. Generell müssen wir aber im Auge haben: Wenn ein sehr guter Spieler uns verlässt, reißt das erst einmal eine Lücke, die wir wieder schließen müssen. Wir können es vielleicht nicht direkt mit der gleichen Qualität ausgleichen, aber wir müssen es auffangen und dann immer wieder sagen: Habt Geduld. Je jünger die Spieler werden, desto mehr Geduld ist gefragt.

Plea ist mit rund 23 Millionen Euro der Rekordtransfer Borussias. Erhöht das nicht den Druck auf den Spieler und auf die Scouting-Abteilung?

Korell Wir müssen uns freimachen von den großen Millionen-Beträgen. Für uns geht es nur um die Einschätzung der Qualität des Spielers für die aktuelle sportliche Situation. Ein Spieler wie Plea hätte vor fünf Jahren vielleicht noch zehn Millionen gekostet, heute reden wir über 18-Jährige, die bereits zweistellige Millionenbeträge kosten.

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Aber Ihrem Geschäftsführer Stephan Schippers mal zu sagen: „Diesen 50-Millionen-Mann würde ich holen“, ist doch interessant, oder?

Korell So arbeiten wir hier nicht. Wir wissen genau, was zur Verfügung steht. Bei uns ist langfristig eine gute Planung möglich. Du weißt schon, wenn die Saison beginnt, was in der neuen Saison rein sportlich notwendig ist, aber auch, was finanziell möglich ist. Wir können uns natürlich immer noch etwas erspielen über den sportlichen Erfolg, aber uns sind auch Grenzen gesetzt. Und das ist auch okay so. Das bedeutet: Bis zu diesem Limit kann man gehen und in diesen Segmenten brauchen wir dann auch nur zu gucken.

Aber hätten Sie damit gerechnet, dass Plea so schnell so einschlägt?

Korell Es kommt zusammen, dass die Mannschaft von Anfang an gut funktioniert hat. Dass sie das System gut verinnerlicht hat und wir einfach die komplette Mannschaft bis auf ein, zwei Ausnahmen zur Verfügung hatten. Dieter hat einen super Aufbau mit ihm gemacht, weil er noch körperliche Defizite hatte, nachdem er in Nizza nicht die ganze Vorbereitung mitgemacht hatte. In Deutschland hast du jedes Wochenende ein Highlight, da musst du immer 100 Prozent fit sein. Das war auch das, was er für sich persönlich gesucht hat. Davon sind wir abhängig, dass ein Spieler sagt: Ich mache diesen Zwischenschritt. Der ist zwar für ganz viele sehr wichtig, aber nicht jeder meint, ihn machen zu müssen.

Wobei der Zwischenschritt auch nicht getippelt ist…

06.10.2018, Bayern, München: Fußball: Bundesliga, Bayern München - Borussia Mönchengladbach, 7. Spieltag in der Allianz Arena. Torschütze Alassane Plea von Borussia Mönchengladbach jubelt über seinen Treffer zum 0:1. Foto: Matthias Balk/dpa - WICHTIGER HINWEIS: Gemäß den Vorgaben der DFL Deutsche Fußball Liga bzw. des DFB Deutscher Fußball-Bund ist es untersagt, in dem Stadion und/oder vom Spiel angefertigte Fotoaufnahmen in Form von Sequenzbildern und/oder videoähnlichen Fotostrecken zu verwerten bzw. verwerten zu lassen. +++ dpa-Bildfunk +++

06.10.2018, Bayern, München: Fußball: Bundesliga, Bayern München - Borussia Mönchengladbach, 7. Spieltag in der Allianz Arena. Torschütze Alassane Plea von Borussia Mönchengladbach jubelt über seinen Treffer zum 0:1. Foto: Matthias Balk/dpa - WICHTIGER HINWEIS: Gemäß den Vorgaben der DFL Deutsche Fußball Liga bzw. des DFB Deutscher Fußball-Bund ist es untersagt, in dem Stadion und/oder vom Spiel angefertigte Fotoaufnahmen in Form von Sequenzbildern und/oder videoähnlichen Fotostrecken zu verwerten bzw. verwerten zu lassen. +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Matthias Balk

Korell Nein, wir sollten uns auch nicht kleiner machen als wir sind. Aber wir können halt keinem Spieler jedes Jahr internationalen Fußball garantieren. Und wenn ein Spieler trotzdem zu uns kommt, weißt du, er hat persönliche Ziele und es treibt ihn an, dieses Ziel mit der Mannschaft zu erreichen. Das ist immer wieder eine gute Motivationslage, die wir hier haben.

Karsten Kellermann und Georg Amend führten das Gespräch.

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