Borussias Christoph Kramer im Interview „Von Bayern sind wir noch weit entfernt“

Mönchengladbach · Im Interview spricht Christoph Kramer über das Spiel gegen den FC Bayern München und darüber, was ihn im Fußball derzeit stört. Dazu zählen Investoren wie in England und auch Soziale Medien.

 Christoph Kramer auf der Tribüne im Borussia-Park (Archiv)

Christoph Kramer auf der Tribüne im Borussia-Park (Archiv)

Foto: dpa/Roland Weihrauch

Herr Kramer, sind Spiele gegen den FC Bayern München noch immer das Größte in der Bundesliga?

Christoph Kramer Auf jeden Fall ist es der beste Gegner. Ich würde es aber nicht unbedingt als besonders bezeichnen, weil man dann die anderen Spiele abwertet. Es ist aber sicher das schwierigste Spiel.

Hat Borussia nichts zu verlieren?

Kramer Man sollte nie mit diesen Gedanken in ein Spiel gehen. Positiver Druck ist immer gut. Es sollte zum Anforderungsprofil eines Spielers gehören, dass er jedes Spiel so angeht, dass er es gewinnen kann. Egal, wie die Tabelle aussieht und wer der Gegner ist. Man hat in jedem Spiel gleich viel zu gewinnen und zu verlieren – nämlich drei Punkte.

Man hatte in der Bundesliga lange den Eindruck, dass sich die Gegner gegen Bayern schon im Voraus mit der Niederlage abgefunden haben.

Kramer Bei mir war das noch nie so. Ich war immer recht erfolgreich gegen die Bayern. Aber man weiß, dass sie nicht den besten Tag haben sollten, wenn sie kommen, und man selbst einen seiner besseren. Nicht von ungefähr ist Bayern fünfmal in Folge Meister geworden. Deswegen schenkt keiner die drei Punkte ab, man plant sie aber auch nicht ein.

Sind die Bayern in dieser Saison schlagbarer als sonst?

Kramer Sie hatten in der Hinrunde ja eine Phase, die zur Krise des Jahrhunderts gemacht wurde. Aber unterm Strich muss man sagen, dass sie – wenn auch ohne den großen Glanz – in der Champions League gut dabei sind, im DFB-Pokal und auch in der Meisterschaft. Die Bayern sind komplett zurück in der Spur. Daher denke ich nicht, dass sie schlagbarer als sonst sind.

Im Hinspiel hat Borussia mit 3:0 gewonnen.

Kramer In den ersten 15 Minuten mussten wir damals aber einige Male ganz tief durchatmen. Und danach haben wir mit zwei Aktionen zwei Tore gemacht und am Ende nicht unverdient gewonnen. Aber vom Spielverlauf her hätten wir in den letzten beiden Heimspielen gegen Berlin und Wolfsburg einen Sieg mehr verdient gehabt.

Die beiden 0:3-Niederlagen tun sicherlich richtig weh.

Kramer Sie waren vor allem unnötig. Ich merke, dass sich momentan in der Öffentlichkeit das Gefühl verbreitet, wir kämen mit dem Druck nicht klar. Aber ich sehe dieses Problem überhaupt nicht. Zum gleichen Zeitpunkt hatten wir in der Hinrunde elf Punkte, jetzt sind es zehn. Ich erkenne da keinen Druck, und ich verstehe nicht, was da in der Öffentlichkeit passiert. Die Punkteausbeute ist okay und vor allem bewerte ich die Spiele selbst, und die waren gut.

Gibt es da also schon Parallelen zu den Bayern, die auch recht schnell in die Kritik geraten?

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Kramer Ich möchte uns nicht in die Riege von Bayern reden, davon sind wir noch weit entfernt. Aber natürlich ist das im Fußball immer der Fluch der guten Tat. Das Geschäft besteht auch daraus, dass immer ein wenig mehr hineininterpretiert wird, wenn die Ergebnisse nach einer guten Phase mal nicht so gut sind. Als Spieler muss man das aber richtig einordnen können.

Wird Bayern wieder Deutscher Meister?

Kramer Das ist schwierig zu sagen, weil mit Borussia Dortmund in dieser Saison eine weitere Mannschaft sehr konstant auf hohem Level spielt. Aber ich glaube, dass die Bayern nicht mehr viele Punkte liegen lassen werden.

Und wo landet Gladbach?

Kramer Wir sind nach 23 Spieltagen nicht zu Unrecht auf Platz drei und wollen nach dem Höchsten streben. Aber wir haben noch viele harte Spiele vor uns. Zu Hause gegen die vermeintlich starken Gegner, auswärts bei den Teams, die tabellarisch schlechter dastehen.

Ist das ein Vorteil oder ein Risiko?

Kramer Ich denke, das ist die falsche Herangehensweise, weil man viel zu weit denkt. Es hängt von so vielen Dingen ab. Man kann nie sagen, ob das Chance oder Risiko ist. Im Fußball ist es nicht möglich, weiter als eine Woche vorauszuschauen. Obwohl ich das auch gerne mache und auch ich mich darüber gefreut habe, dass Leipzig gegen Hoffenheim unentschieden gespielt hat und wir deshalb noch Dritter sind. Ich schaue auch auf die Tabelle, aber es bringt nichts, das zu bewerten. Du musst jede Woche zu 100 Prozent auf das nächste Spiel fokussiert sein.

Ist das Toreschießen momentan das einzige Problem der Borussia?

Kramer Wir betreiben diesen Aufwand, um Tore zu schießen und wir müssen uns einfach wieder belohnen. Wenn wir wieder treffen und führen, können wir unser Spiel noch besser durchziehen, das liegt uns. Aber wir dürfen nicht so viel reden, sonst fangen wir noch an, darüber nachzudenken. Wir müssen es einfach machen.

Man hat aber das Gefühl, dass in einigen Situationen nachgedacht wird. Gegen Wolfsburg legte Lars Stindl in zwei Aktionen nochmal quer anstatt selbst zu schießen.

Kramer Ich bin in beiden Situationen absolut auf seiner Seite. Ich bin ein riesiger Fan von Wahrscheinlichkeiten im Fußball und beide Male war die Wahrscheinlichkeit eines Tores für seinen Nebenmann größer. Und im Normalfall hätten Florian Neuhaus und Thorgan Hazard ihre Chancen auch genutzt.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines Sieges gegen Bayern?

Kramer Vielleicht 50:50, aber im Fußball gibt es beim Spielverlauf eigentlich keine Wahrscheinlichkeiten. Denn bei keiner anderen Sportart ist es so schwer, ein Tor zu erzielen. Deswegen sind Spiele nicht vorherzusagen und daher gewinnen auch immer die Wettbuden. Man kann Fußball oft nicht erklären.

Das ist die Faszination des Sports.

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Kramer Ganz genau, weil jedes Spiel gleich spannend ist. Es kann immer alles passieren, das ist in anderen Sportarten anders. Das wird die Leute auch immer anziehen, aber mich ärgert es natürlich selbst oft wie zuletzt gegen Berlin und Wolfsburg. Spiele, die wir aufgrund des Spielverlaufs gewinnen müssen.

Sie sehen die Entwicklung des Fußballs aber auch kritisch.

Kramer Die Faszination wird nie nachlassen, aber das Drumherum könnte schon anstrengend werden.

In anderen Sportarten spielt das Drumherum eine größere Rolle.

Kramer Da wird es aber auch angenommen, im Fußball ist es dagegen nicht so anerkannt. Und ich weiß nicht, ob es so gut ist, das Spiel dann mit so viel Kommerz verändern zu wollen. Mir ist aber auch klar, dass man die Werbetrommel rühren und Geld generieren muss. Aber ich bezweifle, dass die Europa League 2 oder eine Weltmeisterschaft mit 48 Mannschaften zielführend sind.

Und eine Halbzeitshow im Pokalfinale mit Helene Fischer?

Kramer Allgemein habe ich da nichts gegen. Aber gerade in Sachen Geld geht vieles in die falsche Richtung. Nur ist mir auch klar, dass diese Diskussion nichts bringt. Ich werde es nicht ändern können.

Frustriert Sie das als Profi?

Kramer Nein, gar nicht. Ich habe meine Meinung, dass einiges zu viel des Guten ist, aber ich beschwere mich nicht. Es gibt Schlimmeres als eine Halbzeitshow mit Helene Fischer. Aber es hat auch was, in einem alten Stadion zu spielen. Dort gibt es jedoch alte Kabinen und ich freue mich über neue Kabinen in modernen Stadien. Gefährlich finde ich es dann, wenn Geldgeber in Vereine reinspringen. Denn wenn die keine Lust mehr haben, sind sie schnell wieder weg, und was passiert dann?

Demnach sind Sie gegen ein Investorenmodell wie in der Premiere League und für 50+1?

Kramer Da bin ich sicher nicht der richtige Ansprechpartner, aber ich fände es nicht so cool, wenn wir in der Bundesliga Investoren wie in England hätten.

Auch wenn sich die Bundesliga dadurch qualitativ von der Premiere League entfernt?

Kramer Das sehe ich noch gar nicht. Aber es kann natürlich passieren.

Sind Sie ein Fan der Bundesliga?

Kramer Absolut, ein großer Fan sogar. Die Stadien sind fast immer voll, es herrscht immer Spannung, in diesem Jahr auch wieder in der Meisterschaft. Die Liga ist echt attraktiv.

Das wird auch das Topspiel gegen die Bayern, bei dem Sie wieder in der Startelf stehen werden?

Kramer Zumindest sehe ich selbst keinen Grund, warum man mich wieder rausnehmen sollte. Aber das entscheide nicht ich. Ich habe, als ich auf der Bank saß, erkannt, dass man manches nicht ändern kann. Ich kann mich pushen, habe im Training alles gemacht. Aber die Sachen, die man nicht beeinflussen kann, muss man akzeptieren, und davon bin ich ein großer Fan.

Dafür bekamen Sie auch von den Bundesliga-Experten viel Lob.

Kramer Dabei ist das für mich selbstverständlich, das hat etwas mit Respekt gegenüber meinen Mitspielern zu tun. Ich fände mich selbst auch nicht cool, wenn ich nur mit traurigem Gesicht rumlaufen und schlechte Stimmung verbreiten würde.

Bedeutet das Lob, dass diese Ansicht im Fußball nicht mehr besteht?

Kramer Ich weiß auch nicht, warum das so hervorgehoben wird. Tony Jantschke geht mit der Situation genauso um und ist immer respektvoll. Das ist bei uns gang und gäbe und sollte in jedem Team normal sein.

Das Borussia-Team ist ja für seine Sozialkompetenz bekannt.

Kramer Man erkennt, dass sich die Führungsetage bei der Kaderzusammenstellung Gedanken gemacht hat. Wir haben einen sauberen Kader.

Ist der Team-Gedanke wieder wichtiger geworden?

Kramer Er war nie unwichtig. Jeder hat persönliche Ziele, vor allem in der heutigen Zeit, in der sich viele zur Marke machen wollen. Am Ende ist der Zusammenhalt in der Kabine am wichtigsten. Für jede Gruppe ist ein gutes Klima wichtig, nicht nur im Fußball. Wenn man kein gutes Team ist, macht die Arbeit keinen Spaß. Es sollte selbstverständlich sein, dass wir fair und respektvoll miteinander umgehen. Wir verbringen schließlich viel mehr Zeit miteinander als nur die 90 Minuten auf dem Platz.

Wie groß ist Ihr Interesse an einer Markenbildung?

Kramer Vorweg glaube ich nicht, dass man aus sich eine Marke machen kann, wenn man dies vorhat. Wenn man immer ehrlich und authentisch ist, hat man zumindest mal eine Persönlichkeit, die gerade in der heutigen Welt immer mehr verloren geht. Es ist wichtig, dass man nach bestem Wissen und Gewissen für sich selbst handelt. Soziale Medien und moderne Markenbildung halte ich dabei für nicht so gesund.

Warum?

Kramer Natürlich kann man davon profitieren und gutes Geld verdienen, es ist nicht dumm, das zu machen. Aber ich habe entschieden, dass es mir nicht gut tut, weil man sich ständig vergleicht. Man schaut bei jedem Post, wie viele Likes man bekommt und fragt sich, warum ein Post mehr erhält als ein anderer. Das ist mir zu anstrengend. Ich bin ein großer Konsument, aber ich will nicht so aktiv sein, dass ich eine Marke aus mir mache. Das ist nicht notwendig und wäre ungesund für mein späteres Leben. Mein Gefühl ist, dass es für mich nicht das Richtige ist.

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