Borussia Mönchengladbach Der Zehner ist zurück – aber anders
Mönchengladbach · Lange gab es im Gladbacher Spiel keinen offensiven Mittelfeldspieler. Unter Trainer Marco Rose sind bei Borussia die Räume im offensiven Zentrum wieder eindeutig besetzt mit einem Zehner. Das hat Gründe.
Der Trainer Marco Rose ist gekommen, um Borussias Spiel etwas Neues zu geben. Nicht mehr nur schön soll es sein, sondern ein bisschen unangenehmer, nicht grob, doch soll es dem Gegner auch mal weh tun. Rose hat aber zudem etwas wieder mitgebracht, dass es in den vergangenen zehn Jahren nicht mehr gab: den Zehner.
Eine Nummer 10 war immer da bei Borussia. Doch steckte in dem Hemd mit der magischen Zahl des Fußballs, die Männer wie Pelé, Netzer, Maradona, Platini, Zidane zum Qualitäts-Etikett gemacht haben, wie auch jetzt mit dem (Flügel-)Stürmer Marcus Thuram etwas anderes drin. Die Position eines regelrechten Spielmachers gab es nicht in den Systemen von Michael Frontzeck, Lucien Favre, André Schubert und Dieter Hecking. Sie alle operierten mit zwei Spitzen, von denen eine hängend war, eine so genannte Neuneinhalb.
Die Prototypen sind Marco Reus oder Raffael, die beide geformt wurden von Favre. Sie brachten mit ihrem variablen Stürmerspiel Tiefe in die offensive Zentrale, die im Favre-typischen flachen 4-4-2-System mit zwei Sechsern und zwei Flügeln nicht besetzt war. Bei Schubert gab es im 3-4-3 vorn ein rotierendes Dreieck aus drei Neuneinhalbern (Raffael, Lars Stindl, Thorgan Hazard), aber auch keinen Zehner. Hecking nominierte im 4-2-3-1 ebenfalls einen Stürmer, der sich dann hinter die vorderste Spitze zurückfallen ließ. Später im 4-3-3 gab es zwei Achter und drei Angreifer.
Nun ist Borussias Zentrale vorn konkret besetzt. Roses Lieblingssystem, das mit der Raute im Mittelfeld, beinhaltet einen Zehner ebenso wie seine Version des 4-3-3. In der gibt es eine Doppelsechs und den offensiven Mittelfeldmann. Gleiches gilt für die Dreierketten-Variante, das 3-5-2. Spieltaktisch erklärt sich das: Während Borussia ihr Spiel in den Jahren zuvor über viel Ballbesitz geduldig aus der Tiefe einfädelte, will Rose weit vorn attackieren und besetzt entsprechend die Räume.
Je nach personeller Besetzung können Akzente für das Spiel gesetzt werden: Breel Embolo war schon Zehner in dieser Saison, er trieb die Borussen mit seiner Wucht nach vorn. Spielt Lars Stindl, ist es die feinere Klinge, Stindl hat mehr vom Typus Spielgestalter. Auch Jonas Hofmann kann die Räume hinter den Spitzen, ob es nun eine, zwei oder drei sind, gut bespielen. Alle drei sind auf ihre Art vor allem aber gute Pressing-Spieler, die weit, weit vorn Druck auf den Gegner machen können. Der wohl klassischste Zehner-Typ im Borussen-Team ist der elegante Florian Neuhaus. Der aber kann seine große Stärke eher aus der Tiefe heraus entfalten, als Sechser oder Achter.
Was es bei der neuen Borussen-Systematik nicht mehr gibt, ist die in den Jahren zuvor so geschätzte Neuneinhalb. Es gibt eine Neun und eine Zehn, aber nichts dazwischen. Co-Trainer René Maric, der sich viel mit Fußballtaktik beschäftigt, hat seine ganz eigene Systematik entwickelt. Er hat 16 Positionen definiert (siehe Infokasten). Damit kann man „nominell jede Formation, auch asymmetrisch, basteln. Und man spart sich Doppeldeutigkeiten“, sagt Maric. „Es geht grundsätzlich um Räume und Positionen, wer die besetzt, ist zunächst mal egal.“
Über allem steht das Grundprinzip, der aktive Fußball. Und es geht darum, den Plan, der vor dem Spiel vom Trainerteam entwickelt wurde, umzusetzen. Weswegen es für die Spieler vor allem darum geht, ihre Rolle in diesem Plan zu spielen. Und dies entsprechend der jeweiligen Spielsituation. Wichtig ist, dem Gegner keine neuralgischen Räume zu überlassen.
Der Ansatz von Rose und seinem Trainerteam erfordert von den Spielern vor allem in der Offensive größtmögliche Flexibilität. Je nach Spielsituation ist beispielsweise Lars Stindl mal Zehner und mal Neuner. In diesen Situationen muss ein anderer den Job in den dann frei gewordenen Räumen übernehmen. Nur dann, wenn die Positionen klar definiert sind, kann dieses Wechselspiel klappen. Und nur so kann man das Netz zuziehen, in dem sich der Gegner bestenfalls schon am eigenen Strafraum verfängt.
Der Zehner hat eine doppelte Bedeutung im neuen Borussia-Ansatz: Er ist Gestalter des eigenen Spiels, zugleich aber auch ein Balljäger, der den Aufbau des Gegners (zer)stören und das offensive Zentrum dicht machen soll. Der Zehner ist also zurück bei Borussia. Aber anders als zuvor.