Hecking und Eberl sind gefragt Borussia - auch eine Frage des Stils

Mönchengladbach · Die glorreichen 70er haben dem Gladbacher Klub seine DNA gegeben und haben eine große Strahlkraft. Das gilt auch für die Ära von Lucien Favre, die in der Neuzeit Maßstäbe gesetzt hat. Nun gilt es, sich davon zu emanzipieren und etwas Neues entgegenzusetzen.

Borussia Mönchengladbachs Mitgliederversammlung 2018
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Wenn es um Identitäten von Fußballvereinen geht, werden große Worte benutzt. DNA zum Beispiel, entlehnt der Biochemie. Philosophen würden eher vom Wesen sprechen, Theologen von der Seele und Marketingmenschen vom Claim. "Die Fohlen" nennen sich die Borussen ab Freitag, wenn das Spiel gegen Wolfsburg ist, ganz offiziell, und das beinhaltet alles, was Borussia Mönchengladbach sein will: "Ungezügelt, mutig, leidenschaftlich, immer nach vorne", das war im Imagefilm des Klubs zu sehen, der bei der Mitgliederversammlung vorgeführt wurde.

"In den 70er Jahren wurde die DNA des Klubs geprägt und wir haben es geschafft, die DNA wiederzubeleben", sagte Manager Max Eberl. Was den Fußball angeht, ist das ein großes Versprechen. Denn wer "Fohlen" sagt, der sagt auch Weisweiler, Netzer, Vogts, Wimmer und Heynckes, Fohlenelf, Konterfußball, Torfabrik, Titel, Glanz und Gloria. So viel davon, dass es Schatten warf auf ein ganzes Jahrzehnt: "Die 80er Jahre sind eine wichtige, aber total unterschätzte Dekade", sagte Eberl. "Da gab es nur drei Trainer, Borussia spielte fünfmal in Europa und war neunmal einstellig." Beispielhaft ist die Saison 1986/87: Platz drei in der Bundesliga, Halbfinale im DFB-Pokal und im Uefa-Cup. Und doch wirken die 80er in der Borussen-Historie grau und unspektakulär - im Schein der großen 70er. Nicht nur wegen der Titel, sondern auch wegen des faszinierenden Fußballs der Weisweiler-Zeit.

Ein bisschen so ist es jetzt auch: Die Jahre mit Lucien Favre, die Jahre der Wiedergeburt der Legende, als der Schweizer und Eberl es "schafften, die DNA wieder hervorzuholen" und in die Moderne zu übertragen mit Favres Gladbach-Tiki-Taka, dessen ästhetischer Ritterschlag der Ausdruck "Borussia Barcelona" war, hat für die Neuzeit des Klubs trotz der Titellosigkeit die Strahlkraft der 70er und hat Maßstäbe gesetzt. Denn "die Champions-League-Teilnahme ist für uns wie eine Meisterschaft", sagt Eberl gern. Dass Favre Borussia aus eineinhalb Dekaden der Traurigkeit und mit zwei Abstiegen reanimierte, erneuerte und nach Europa führte, kommt hinzu. Borussias Fans sogen die Glücksgefühle auf wie ein Schwamm. Wegen Europa. Und wegen des Stils.

In der vergangenen Saison war Borussia Neunter, nun ist sie Achter. Eberl definiert das als Normalität, die "nicht sexy ist, aber dazu gehört". Andere sehen das anders. Ur-Borusse Berti Vogts spricht in seiner Telekom-Kolumne von "einer enttäuschenden Saison": "Dieter Hecking hat anfangs gute Arbeit gemacht, er hat das Vertrauen von Manager Max Eberl und noch einen Vertrag bis 2019. Viel wichtiger als ein neuer Trainer ist ein Umdenken im Klub", so Vogts. Er rät Eberl, "mal auf den Tisch zu hauen und auch mal über Fehler zu sprechen".

Max Eberl hat indes angekündigt, "jeden Stein umzudrehen", warb bei der Mitgliederversammlung aber auch um das Vertrauen der Fans. Um das Vertrauen, das da war in der Favre-Ära, auch wenn es nicht so gut lief. "Der Favre macht das schon", war dann zu hören, und die Mannschaft hatte ein fixes systemisches Korsett und extreme Automatismen, auf die es sich zurückziehen konnte in schwierigen Situationen.

Manches wird natürlich verklärt, ganz sicher - selbst die Fohlenelf machte nicht nur gute Spiele, auch da waren die Fans angesichts der großen Erfolge verwöhnt. "Wenn wir mal einen Rückpass gespielt haben, gab es gleich Rumoren", erinnert sich Vogts im Gespräch mit unserer Redaktion. Auch bei Favre gab es einige Normalität - aber eben auch viel Geborgenheit.

In der Talk-Sendung "Doppelpass" riet Ex-Nationalspieler Thomas Strunz (auch der Berater des Borussen Vincenzo Grifo) Borussia, sich so langsam von der Ära Favre zu emanzipieren, dieser Zeit also etwas Neues entgegenzusetzen, so wie die Favre-Ära der neuzeitliche Gegenpol zu den 70ern geworden ist.

Eberl erklärte bei der Mitgliederversammlung die Fohlenphilosohie erneut für alternativlos. Er und Hecking sind nun gefragt, sie punktuell neu zu modellieren, mit einem neuen System oder einem anderen Stürmertypen zum Beispiel. Borussias DNA gibt die "Leitplanken" (Eberl) vor, dazwischen ist aber viel Spielraum. Den gilt es zu nutzen im Sinne des Borussen-Fußballs. Der ist auch eine Frage des Stils.

(kk)
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