Borussia Mönchengladbach BVB vs. Gladbach — gleich ein Endspiel

Viele Jahre war Dortmund die Nummer eins aller Borussias. In der vergangenen Saison jedoch zog Mönchengladbach mal wieder vorbei. Nun geht es am ersten Spieltag darum, sich in einem inoffiziellen Mini-Wettbewerb zu positionieren: Es geht um die Borussia-Hierarchie.

So gehen Siege in Dortmund
Infos

So gehen Siege in Dortmund

Infos
Foto: Dieter Wiechmann

Es ist der erste Spieltag. Und gleich haben Dortmund und Gladbach ein Endspiel, das erste von zweien, die es in dieser Saison gibt. Drumherum gibt es viele andere Spiele für beide, doch in den 180 Minuten, während denen sich die Gelb-Schwarzen und die Fohlen gegenüberstehen, geht es um mehr als nur sechs Punkte. Es geht darum, sich in einem der vielen inoffiziellen Mini-Wettbewerbe, die es in einer Bundesliga-Saison gibt, richtig einzuordnen: Es geht um die Borussen-Hierarchie im Lande.

Das Spiel der beiden besten Borussias der deutschen Fußball-Welt ist daher mehr als ein normales Spiel. Es hat für beide zwar nicht den Stellenwert wie die Derbys gegen Schalke 04 (BVB) oder Köln (Gladbach), doch kommt es gleich danach. Der Vergleich der Westfalen und Niederrheiner hat alles von einem Derby, auch wenn es tatsächlich keines ist. Es ist das passende Derby-Methadon, zumal die Freunde des BVB auch noch denen des 1. FC Köln verbunden sind, was den Gladbach-Fans natürlich doppelt missfällt. Zudem sind beide Fan-Gruppen der Ansicht, dass es nur eine Borussia gibt, mindestens aber eine große und eine kleine, wobei die Einsortierung vom jeweiligen Blickwinkel abhängt.

Für viele Fußballfreunde ist Dortmund gegen Gladbach das eigentliche Topspiel des ersten Spieltages: Es ist ein Klassiker. Grundsätzlich ist es ein emotionales Thema, dieses Spiel, und meist auch noch ein sportlich interessantes. Denn beide Borussias sind nicht nur Namens- Cousinen, sondern standen in den vergangenen Jahren auch für eine freudvolle Art des Fußballs: In Dortmund wurde extremer Power-Fußball zelebriert, es ging immer nach vorn, auch in der Tabelle, zweimal sogar wurde dem großen FC Bayern der Meistertitel abgenommen. In Gladbach wird, seit Lucien Favre hier Trainer ist, ein mehr und mehr formvollendeter Tiki-Taka-Geschwindigkeits-Ballbesitz-Konter-Fußball gespielt, ein Fußball, der höchsten ästhetischen Ansprüchen genügt.

Bundesliga 15/16: Keiner sitzt so sicher im Sattel wie Lucien Favre
20 Bilder

Welcher Trainer fliegt zuerst?

20 Bilder
Foto: dpa

Das Gladbacher Modell ist aber noch ein recht junges Pflänzlein. Und der Fußball dümpelte am Niederrhein in den Jahren vor 2011, als Favre kam, mehr vor sich hin auf der Suche nach einem Schlupfloch aus dem ewigen Abstiegskampf und einer passenden, zukunftsträchtigen Identität. So war der BVB weit davongezogen in seiner höchsten Hochphase. Die Hierarchie war sportlich und auch wirtschaftlich eindeutig: Dortmund vor Gladbach. Doch in der vergangenen Saison war es anders: Favres Team strotzte vor Selbstbewusstsein und wurde Dritter, der BVB war müde geworden vom Kloppschen Dauerangriff und sackte gefährlich ab, ging sogar als Hinrunden-Letzter in die Winterpause.

Im zweiten Teil der Saison bekrabbelte sich Dortmund zwar, doch die Gladbacher blieben konstant gut und besetzten den frei gewordenen Platz in der Höhenlage der Bundesliga. Da, wo sich naturgemäß die westfälische Borussia gesehen hatte, logierte nun die andere, die vom Niederrhein. Sie gehörte zu denen, die die Bayern hänselten, ja sie sogar in deren eigenem Stadion besiegten. Das schaffte danach auch der BVB, im Pokal-Halbfinale. Aber die hohe Spielkunst, mit der die Gladbacher ihr Ligaspiel beim Giganten 2:0 gewannen, die wurde allenthalben bestaunt. Der Sieg des BVB war im wahrsten Sinne ein Ausrutscher des FC Bayern, der vor dem Elfmeterschießen ebenso schlecht zielte wie währenddessen. Dass der BVB gegen den VfL Wolfsburg das Endspiel von Berlin verlor, passte ins Bild

Zwar rettete der scheidende Klopp sein Team noch in die Qualifikation zur Europa League, doch für einen Klub, dessen Etat über 300 Millionen Euro liegt und der seine Teilnahme an der Champions League eigentlich fix eingeplant hatte, ist es wie ein Abstieg. Für Gladbach hingegen ist Platz drei nebst der damit verbundenen, direkten Qualifikation für die Meisterliga, "wie ein Titel", gab Lucien Favre, der sonst nicht wirklich für Überschwang und Folklore bekannt ist, zu verstehen. Ergo: Am ersten Spieltag trifft ein internationaler Absteiger auf einen internationalen Aufsteiger. Und für beide geht es darum, etwas klarzustellen, was die Hierarchie angeht. Dortmund will zeigen, dass es eigentlich die größere Borussia ist. Und Gladbach will das Gegenteil nachweisen.

In den 1970ern war die Gemengelage eindeutig: Gladbach war weit oben, der BVB fand kaum statt, allenfalls war er unfreiwilliger und bemitleidenswerter Teilnehmer des ewigen Rekordspiels von 1978 (12:0). In den 80ern dann rückte der BVB Gladbach auf die Pelle, die beiden Borussias rangelten fast in jeder Saison um den Einzug in den Uefa-Cup. In den späten 90ern enteilte Dortmund dann.

In der vergangenen Saison ging, gerechnet nach der Europapokal- Regelung, der direkte Vergleich an die Gladbacher: Nach dem 0:1 im Hinspiel, das Weltmeister Christoph Kramer mit einem kuriosen Eigentor bewerkstelligte, gab es einen 3:1-Sieg im Rückspiel, Oscar Wendt erzielte dabei ein Blitz-Tor, das in seiner Überfallartigkeit an beste Dortmunder Zeiten erinnerte. Schon in der Spielzeit zuvor hatte sich ein Trendwechsel angedeutet, als Favres Mannschaft den BVB zweimal besiegte (2:0, 2:1). Da jedoch war Dortmund in der Tabelle klar die bessere Borussia als Zweiter, Gladbach war Sechster.

Nun gab es den Umsturz. Gladbach war die bessere Borussia, weil sie frischer war, innovativer, moderner und sexyer. Der bewährte Kunstgriff von Lucien Favre ist, dass er in jeder Saison neue Reize setzt und das Spiel seiner Mannschaft auf gewisse Weise neu erfindet. In der vergangenen Spielzeit belebte er das Flügelspiel und führte die Rotation ein. So entwickelte er sein Team erneut weiter, hob es auf das nächste Level, brachte ihm bei, konsequent genug zu sein bis zum Ende, um ein Spitzenteam zu sein.

Jürgen Klopp hingegen fand keinen neuen Ansatz für sein Team. Er hatte es zum Meister gemacht und auch zum Pokalsieger, er hatte es ins Champions League-Finale geführt. Sein Weg führte stets nach oben. Nun aber ging es abwärts. Der BVB überraschte niemanden mehr, und es ließ sich auch kaum noch jemand gnadenlos überrennen. Klopp zog die Konsequenz und sich zurück. Nun soll Thomas Tuchel den BVB neu erfinden. Tuchel hätte sich für seine Mission sicherlich einen weniger komplizierten Auftakt gewünscht. Sein Entwurf des BVB muss sich ausgerechnet gegen den Super-Tüftler Favre bewähren — und steht unter Druck, klarzustellen, die bessere Borussia zu sein.

Für Tuchel ist es jedoch auch gleich eine Chance, gerade weil es ein hochemotionales Spiel ist. Gewinnt der BVB, hat er sich in der Kurve gleich viele Freunde gemacht (mehr wären es wohl fast nur, wenn er Schalke besiegen würde). Und er hat nachgewiesen, dass er es auch gegen die Besten der Liga kann. Verliert er, wird ihm gezürnt (mehr wäre es wohl nur nach einer Niederlage gegen Schalke). Und er würde den Nachweis schuldig bleiben, gleich wieder mit einem Großen der Liga mithalten zu können.

Lucien Favre wird all das wenig emotional betrachten. Erstens, weil es ihm sicherlich schnurzpiepegal ist, wie die Borussen-Hierarchie ausschaut. Denn nach dieser Partie sind noch 99 Punkte im Spiel, wie er sagen würde, und somit gibt es noch reichlich Gelegenheit, sich zu positionieren. Für Favre geht es um einen guten Auftakt. Die jüngere Gladbacher Vergangenheit hat gezeigt, dass große Siege im ersten Spiel, wie der 2011 bei den Bayern, unfassbar beflügeln können. Und ein Sieg beim BVB wäre ein großer Sieg. Denn die Gladbacher sind nicht so verwegen zu sagen, dass sie nach der einen Saison, in der sie den BVB überholt haben, nun die zwangsläufig ständige Nummer eins aller Borussias sind. Sie wissen, dass sie sich den Status jedes Mal wieder hart erarbeiten müssen, weil der BVB eigentlich die größere Potenz hat. Auch an diesem ersten Spieltag, in diesem ersten von zwei Endspielen um die Borussen-Hierarchie.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort