Nach verpasstem Titel Warum Edin Terzic Borussia Dortmund trotzdem besser machte

Analyse | Dortmund · Borussia Dortmund hat die Deutsche Meisterschaft verpasst, der Frust sitzt tief. Und dennoch kann der Verein zumindest auf eine starke Rückrunde zurückblicken, in der vor allem Trainer Edin Terzic seine Qualitäten zeigte.

Edin Terzic wurde trotzdem von den Fans gefeiert.

Edin Terzic wurde trotzdem von den Fans gefeiert.

Foto: dpa/Christian Charisius

Lange stand Edin Terzic regungslos vor der Südtribüne und schaute mit leerem Blick auf die 25.000 Menschen, die eindrucksvoll schwiegen – immer wieder unterbrochen von dem einen oder anderen trotzigen Gesang. Gerade hatte Borussia Dortmund am 34. Spieltag mit einem 2:2 gegen Mainz 05 die Deutsche Meisterschaft verspielt, die Profis lagen trauernd und schluchzend auf dem Rasen, wussten nichts mit sich anzufangen. Terzic erging es offenbar ähnlich. Dann aber stimmte die Fans im Dortmunder Stadion seinen Namen an, es wurde noch einmal richtig laut. Terzic musste sich die Tränen aus den Augen wischen, so ergriffen war er. Es war der endgültige Beweis: Dieser Mann gehört zu diesem Verein.

Als er vor ziemlich genau einem Jahr den Job als Cheftrainer in Dortmund übernahm, hatte man rund um den Verein schon eine leise Ahnung: Diese Beziehung könnte eine ganz besondere sein. In einer Videobotschaft richtete sich Terzic an die Fans. „Lasst uns so hungrig sein, wie noch nie. Lasst uns so hart arbeiten, wie noch nie. Lasst uns aber auch so positiv sein, wie noch nie“, sagte er. „Aber am allerwichtigsten: Lasst uns so laut sein, wie noch nie. Dann bin ich mir sicher, dass wir die große Chance haben, eines Tages zu feiern wie noch nie.“ Nun, diese Feier musste erst einmal verschoben werden. Aber sicher scheint, dass Terzic, die Mannschaft, der ganze BVB in dieser Kombination auch im nächsten Jahr wieder Titel jagen könnten. Einen feierte Terzic schließlich schon mit seinem Verein, nachdem er als sportlich Verantwortlicher 2021 den DFB-Pokal nach Dortmund holte.

Damals musste er zurück ins zweite Glied, wurde Technischer Direktor, Marco Rose kam von Borussia Mönchengladbach. Im vergangenen Mai revidierte der BVB diese Entscheidung und machte mit Terzic einen bekennenden Fan, der 2012 noch im Fanblock den Double-Sieg feierte, zum Cheftrainer. Riskant, aber wie sich nun herausstellt, richtig. Auch wenn die Meisterschaft am letzten Spieltag noch vergeben wurde.

Bundesliga: Das sind unsere Spieler der Saison - Haller, Götze, Bellingham und Co.
17 Bilder

Das sind unsere Spieler der Saison

17 Bilder
Foto: AFP/SASCHA SCHUERMANN

Terzic ist nicht nur der Trainer, nach dem sich vor allem die Fans nach Jürgen Klopp gesehnt haben – auch ohne dessen Show-Qualitäten zu besitzen. Er ist im Umfeld als akribischer Arbeiter bekannt, der alles dem Erfolg seiner Mannschaft unterordnet und sich vielleicht sogar mal zu viel abverlangt, sagen sie im Umfeld des Vereins. Er hat über sich, seine Ansätze und seine Ziele eine Powerpoint-Präsentation erstellt. Analytisch geht er zu Werke – schafft es aber auch, seine Spieler so zu motivieren und aus Löchern herauszuholen, sodass der BVB vor allem in der Rückrunde teils berauschenden Fußball gespielt hat. Gerade in den Heimspielen dominierten die Schwarz-Gelben ihre Gegner nach Belieben, schossen sie teilweise regelrecht aus dem Westfalenstadion. Bis es ausgerechnet im letzten Spiel der Saison gegen Mainz 05 nicht klappte.

Terzic bringt Emotionen ins Spiel, wie sie der Dortmunder Übertrainer Klopp einst transportierte, geht dabei aber deutlich ruhiger zu Werke. Lief es gut in dieser Saison, bewahrte er die Ruhe, relativierte er die Siege. Lief es schlecht – wie beispielsweise bei dem 3:3 vor wenigen Wochen beim VfB Stuttgart – wählte er die richtigen Worte, ohne aufbrausend zu werden, rüttelte die Mannschaft damit aber trotzdem auf. Terzic glaubt an sich. An die Mannschaft. An jeden einzelnen Spieler. Rhetorisch ist er auf einer Ebene mit den Größten seines Fachs. Und so fing er auch am Samstag in der Stunde der größten Trauer in Dortmund die Stimmung gut ein, beschönigte nichts, richtete den Blick aber wieder nach vorn.

Borussia Dortmund verpasst Meistertitel: Trauer, Tränen und Gänsehaut
41 Bilder

Fans feiern BVB: Tränen und Gänsehautmomente

41 Bilder
Foto: dpa/Christian Charisius

Terzic ist ein Trainer, der einen klaren Spielplan verfolgt und es in dieser Saison mit seiner Art geschafft hat, dem BVB die innere Mitte zu vermitteln. Borussia Dortmund spielte offensiv, begeisterte die Fans, kämpfte. Selbst als es gegen Mainz aussichtslos war, doch noch nach der Schale zu greifen, holte die Mannschaft zumindest noch den Zwei-Tore-Rückstand auf. Es ist erkennbar, für was der BVB stehen will. Oft schwankte die Mannschaft in der Vergangenheit, auch in dieser Saison. Kurz vor der WM-Pause schlitterte die Mannschaft durch die letzten Spiele, verlor den Anschluss an den FC Bayern. Doch statt aufzugeben oder wieder den nächsten Umbruch anzuschieben, hielt Terzic an seiner Idee fest und bekam mit Sébastien Haller früher als gedacht das fehlende Puzzlestück hinzu. Haller war im vergangenen Sommer aufgrund eines Hodentumors unerwartet ausgefallen. Seitdem der Ivorer in der Sturmspitze auflief, lief es beim BVB, der Terzic-Plan ging auf.

Denn der Mittelstürmer setzte seine Mitspieler ein, schaffte Räume, die die pfeilschnellen Karim Adeyemis und Co. dieser Mannschaft bestens besetzen konnten. Mit Jude Bellingham, Julian Brandt oder Raphael Guerreiro standen Akteure auf dem Platz, die teils herausragenden Fußball zelebrieren können. Einige wird Terzic nun in der kommenden Saison ersetzen müssen. Aber auch die wackelige Abwehr hat Terzic stabilisiert, zum Teil mit Zugängen, zum Teil mit intensiven Defensiv-Coaching. Kaum ein Spieler ist sich mehr zu schade, den Weg zurückzugehen. Ausnahmen bestätigen allerdings auch hier die Regel.

Und auch Konfliktfelder wie die viele Bankzeit für Ikonen wie Marco Reus oder Mats Hummels moderiert Terzic gelassen weg, formte ein echtes Team, in dem jeder für jeden spielt und persönliche Animositäten zurückstellt. Beide Ex-Nationalspieler verlängerten sogar trotz ihrer Rolle die Verträge um ein Jahr. Und Terzic dachte gar im vorletzten Heimspiel daran, Felix Passlack, dem langjährigen Dortmunder, der in der kommenden Saison für den VfL Bochum spielt, Abschiedsminuten auf dem Feld zu geben. Noch so eine gelungene Geste.

„Ich komme aus der Region“, sagte der Trainer einmal. „Ich bin 30 Kilometer von hier entfernt geboren. Ich bin mit neun Jahren das erste Mal im Stadion gewesen. Danach war klar, für wen das Herz schlägt. Ich habe es nicht ansatzweise gewagt, davon zu träumen, dass ich mich mal in so einer Position befinde.“ In dieser muss er nun allerdings Aufbauarbeit leisten, denn der Schock der doch noch verspielten Meisterschaft dürfte vielen Spielern auch über die Sommerpause hinweg in den Knochen stecken. Aber: Terzic hat bewiesen, was er erreichen kann. Und die Fans haben das wohlwollend zur Kenntnis genommen, als sie ihren Trainer weit nach Abpfiff trotz der großen verpassten Chance erst Trost spendeten, um ihn anschließend doch noch zu feiern.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort