Kolumne Gegenpressing Klopp wird zum Dortmunder Kühlschrank

Im Abstiegskampf wird der Trainer eiskalt. Keine Spur mehr vom BVB-Biotop oder der Borussia-Fußballfamilie. Auch im gelb-schwarzen Wirtschaftsunternehmen geht es eben letzten Endes nur um den Erfolg.

Weidenfeller sitzt auch gegen Anderlecht auf der Bank
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Sechseinhalb Jahre lang habe ich Borussia Dortmunds Fußball-Mannschaft mit einer großen Familie verwechselt. Das liegt am Fußball-Vater Jürgen Klopp. Von seinen "Jungs" sprach er nur in Vornamen, er herzte sie, wenn sie vom Feld kamen, er herzte sie, wenn sie aufs Feld gingen. Wahrscheinlich herzte er sie auch in der Kabine, bei der Weihnachtsfeier und natürlich zum Jahreswechsel. Die "Jungs" mussten nur eines befürchten: Dass sie in den starken Armen des Fußball-Vaters Schaden leiden, wenn sie zu toll geherzt werden.

Das war einmal. Auch den Torwart Roman Weidenfeller hat Klopp in den vielen Tagen seit 2008 schon oft derart an die teure Vaterbrust gedrückt, dass dem Schlussmann Tränen in die Augen stiegen — aus Atemnot oder vor Rührung, so genau weiß man das nicht mehr. Neuerdings setzt er ihn auf die Bank, herzt ihn weder vorher noch nachher. Und auf die Frage, ob er über die einstweilige Versetzung in die erste Reihe am Spielfeldrand mit dem Spieler gesprochen habe, erklärte Klopp diese Woche: "Dafür haben wir keine Zeit." Die Fensterscheiben im Medienraum des ehemaligen Westfalenstadions überzogen sich unverzüglich mit Eisblumen — von innen.

Im beginnenden Winter 2014 ist damit auch mir und anderen hoffnungslosen Fußball-Romantikern klar, dass wir seit 2008 tatsächlich etwas verwechselt haben. Borussia Dortmund mit einer Familie, Profifußball mit normalem Fußball, Berufssport mit Sport.

Begeistert haben wir übersehen, dass es in diesem Geschäft ums Gewinnen geht, um viel Geld, um Ansehen. Und wir haben gern geglaubt, dass es in Dortmund zwar auch ums Gewinnen geht, auch um Geld, auch um Ansehen, dass der Weg aber ein anderer sei als in den anderen großen Fußballfirmen. Dass im BVB ein bisschen der Gedanke von einer verschworenen Gemeinschaft steckt, einem Team aus gut 20 Kumpels, das seiner emotionalen Vaterfigur bedingungslos folgt, eben weil die so anders ist.

Jetzt hat Klopp in den Geschäftsmodus geschaltet und bewiesen, dass Borussia Dortmund ein Wirtschaftsunternehmen wie jedes andere in diesem Unterhaltungszirkus ist. Nicht nur der Gegner wird beinhart bearbeitet, auch der Feind des Erfolgs im Innern. Der Feind des Erfolgs im Innern kann heute ein schwächelnder, in die Alterskrise geratener Torwart sein, morgen ein Mittelfeldspieler, übermorgen ein Stürmer. Klopp wird sie eiskalt aussortieren, wenn er überzeugt ist, dass sie dem Erfolg im Wege stehen könnten. Verwandte kennt er dabei nicht. Er ist nicht mehr der gute Familienvater, aber er bleibt immerhin gerecht. Ein schwacher Trost.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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