Für Fans und Verein Das wichtigste Spiel des Jahres

Gelsenkirchen · Das Revierderby zwischen dem FC Schalke 04 und Borussia Dortmund entscheidet bei allen Beteiligten und den Fans für Monate über Frust und Leid. Dieses Mal hat es auch wieder einmal einen sportlich wichtigen Charakter.

Die Fans von Borussia Dortmund und dem FC Schalke wollen Leidenschaft sehen.

Die Fans von Borussia Dortmund und dem FC Schalke wollen Leidenschaft sehen.

Foto: dpa/David Inderlied

Der FC Schalke 04 hat schon mal üben können. Das kleine Bundesliga-Derby im Revier gewannen die Gelsenkirchener vergangene Woche in Bochum mit 2:0. Es wurde natürlich tüchtig gefeiert. Fußball am Rande der alten B1 ist eben eine emotionale Angelegenheit. Bochum – Schalke ist aber nur ein Vorspiel für das eigentliche Derby, in dem die Großen des einstigen Kohle- und Stahlreviers aufeinandertreffen. Das steht am Samstag (18.30 Uhr) auf dem Programm, Schalke empfängt Borussia Dortmund, es ist die 100. Partie der Rivalen in der Bundesliga. Es begegnen sich wahre Weltanschauungen, das Spiel trennt die ganze Region in Blau und Weiß und Schwarz und Gelb.

Die sportlichen Rollen sind klar verteilt – allen Erfolgserlebnissen der Schalker in jüngerer Vergangenheit und der Statistik zum Trotz. Die Königsblauen haben zwar von 99 zurückliegenden Derbys immerhin 32 gewonnen (Dortmund 37), in der Liga mächtig aufgeholt und sich tatsächlich wider Erwarten nach vier torlosen Unentschieden und zwei Siegen in Folge noch einmal zum Abstiegskampf anmelden können. Auf der anderen Seite aber steht ein echter Titelkandidat, der den Gastgebern des 100. Derbys ohnehin wirtschaftlich und sportlich längst davongelaufen ist. Dortmund hat in diesem Jahr in der Liga noch eine blütenweiße Weste, es gewann die beiden abschließenden Hinrunden-Begegnungen ebenso wie die ersten sechs Partien der Rückrunde, manchmal mit einem ordentlichen Schuss Glück wie zuletzt gegen RB Leipzig, allerdings mit dem stets wachsenden Selbstverständnis einer Spitzenmannschaft, die sich den Dusel durch Mentalität verdient (die Dauer-Meister aus München lassen grüßen).

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Das muss kein Freifahrtschein in der Schalker Arena sein. Dafür ist die Stimmung unter dem Dach des Stadions auf dem Berger Feld in Gelsenkirchen viel zu heiß. Und dafür ist auch der Behauptungswillen der Schalker viel zu groß. Darüber hinaus weiß niemand, ob das Ausscheiden des BVB im Achtelfinale der Champions League nach einem 0:2 beim FC Chelsea unter der Woche nicht doch das Betriebsklima der Dortmunder belastet. Einstweilen lassen sie Dampf nicht untereinander, sondern im gemeinsamen Protest gegen Schiedsrichter Danny Makkelie (Niederlande) ab. Als „arrogant“ bezeichnen ihn Mittelfeldspieler Emre Can und der gelegentlich wortgewaltige Klubberater Matthias Sammer. Sie halten ihm einen ungerechtfertigten Handelfmeter und dessen Wiederholung vor, nachdem der deutsche Nationalspieler Kai Havertz beim ersten Mal den Pfosten getroffen hatte. An der Tatsache eines „verdienten Ausscheidens“ diskutierte aber zumindest Sammer nicht vorbei.

Bis zum Samstag sind diese Details sicher ausreichend erörtert. Dann ist wieder Schalke das Thema und die Tatsache, dass nicht selten der im Abstiegskampf beschäftigte Konkurrent dem vermeintlichen Überflieger kräftig in die Meistersuppe spucken kann.

Davon können beide Rivalen ihr garstiges Lied singen. Vor vier Jahren befand sich der BVB doch mal wieder auf dem Weg zum Titel, als der Tabellenfünfzehnte aus Gelsenkirchen mit 4:2 im ehemaligen Westfalenstadion gewann. Marco Reus und Marius Wolf flogen vom Platz, die Bayern schrieben ihr Meister-Abo fort.

2007 lagen die Schalker, jüngere Menschen werden das kaum glauben können, ziemlich aussichtsreich im Titelrennen. Der im grauen Mittelmaß herumdümpelnde BVB rettete seine Saison durch einen 2:0-Erfolg über den Nachbarn. Und Meister wurden diesmal nicht die Bayern, sondern der VfB Stuttgart – ja, auch so etwas gab’s.

Die jeweiligen Derby-Sieger widerlegten dabei die Einschätzung des ehemaligen Dortmunder Kapitäns Christian Wörns, der ein Jahr nach dem 2:0 festzustellen wagte: „Es geht doch nur um drei Punkte.“ Wörns hatte offenbar in Heimatkunde gefehlt. Es geht im Derby für die Fans immer um die Gelegenheit, ihre Arbeitskollegen, ihre Nachbarn am Büdchen und im Schrebergarten ein halbes Jahr lang mit Genuss an die Schmach der Niederlage zu erinnern. Der Verlierer klagt dem Fußballgott sechs Monate lang vergeblich sein Leid.

Das ist die vergleichsweise freundliche Seite der Gefühlswelt. Weniger freundlich sind häufig die Begleitumstände der großen Spiele im Revier. Die Begegnungen zwischen Schalke und Dortmund gelten im Polizeijargon als „Hochsicherheitsspiele“. Rund 3000 Sicherheitskräfte werden versuchen, das Fußballspiel ein Fußballspiel bleiben zu lassen. Alarmiert sind die Ordnungskräfte, weil vor ein paar Wochen 100 gewaltbereite Personen Schalker Fans vor deren Abfahrt zum Bundesliga-Spiel bei Union Berlin angegriffen hatten. Die Angreifer werden den Fanlagern des BVB und des Drittligisten Rot-Weiss Essen zugeordnet. Vier Menschen wurden schwer verletzt. Natürlich werden nun Revanche-Akte befürchtet. „Wir appellieren an die Vereine und beide Fanlager, die Situation in den nächsten Wochen nicht weiter eskalieren zu lassen“, sagte ein Polizeisprecher. Ob die Richtigen diesen Aufruf zu hören bereit sind, ist nicht heraus.

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Foto: Christof Wolff

Die Fanlager bleiben jedenfalls auf dem Weg ins Stadion und in der Arena streng getrennt unter aufmerksamer Beobachtung. Überhaupt nicht vorstellbar, dass sich die Massen ohne Zäune bis an den Spielfeldrand drängen wie 1969 in der Dortmunder „Roten Erde“. Nach Hansi Pirkners Treffer zum 1:0 für Schalke (Endstand 1:1) gab es einen Platzsturm, der es heute sicher bis in die Tagesschau bringen würde. Dortmunder Ordner bändigten Schalker Freude auch mit Hilfe kräftiger Hunde, denen wohl niemand gesagt hatte, dass die mit den kurzen Hosen auf den Platz gehörten. Die eifrigen tierischen Ordner bissen reihum tüchtig zu, die Schalker Gerd Neusser und Friedel Rausch wurden richtig erwischt – Neusser am Oberschenkel, Rausch am Po.

Statt Platzsperren, Spielwiederholung oder Diskussionen über die verheerende gewalttätige Kraft des Fußballs gab es je 500 Mark Schmerzensgeld und einen Blumenstrauß. Zum Rückspiel im Januar 1970 ließ Schalkes Präsident Günther Siebert vor dem Anpfiff vier junge Löwen aus dem Tierpark Westerholt an der Leine aufs Spielfeld führen. Diese Machtdemonstration hatte so wenig Erfolg wie der Einsatz der Schäferhunde in Dortmund. Auch das Rückspiel endete 1:1.

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