Atletico-Trainer Diego Simeone Der Erfinder des unangenehmen Fußballs

Düsseldorf · Dortmund trifft in der Champions League auf Atletico Madrid, dessen Spielstil ein Abbild seines Trainers ist. Diego Simeone will keine Schönheitspreise gewinnen. Er will einfach nur gewinnen.

 Im Juni 2018 hängt ein Porträt von Atletico-Trainer Diego Simeone des italienischen Malers Fabrizio Birimbelli in der Russischen Akademie der Künste in Sankt Petersburg. Die Ausstellung zur WM widmete sich ikonisierter Darstellungen von Fußballstars.

Im Juni 2018 hängt ein Porträt von Atletico-Trainer Diego Simeone des italienischen Malers Fabrizio Birimbelli in der Russischen Akademie der Künste in Sankt Petersburg. Die Ausstellung zur WM widmete sich ikonisierter Darstellungen von Fußballstars.

Foto: imago/ITAR-TASS/Alexander Demianchuk

Die Großen des Fußballs sichern sich einen Platz in der Erinnerung durch denkwürdige Tore, epochale Siege oder einzigartige Fähigkeiten. Die ganz Großen schaffen es, nicht nur über Erfolge im Gedächtnis zu bleiben, sondern auch dadurch, den Fußball in seiner Spielweise nachhaltig verändert zu haben. So wie der Argentinier Helenio Herrera, der in den 1960er Jahren mit Inter Mailand das Abwehrsystem des Catenaccio berühmt machte. Oder später Rinus Michels, Arrigo Sacchi oder Walerij Lobanowskyj, die die Fußballwelt ab den 1970ern vom Mehrwert der Raumdeckung überzeugten. Diego Simeone schickt sich an, einer dieser ganz Großen zu sein.

Der argentinische Trainer stand mit Atletico Madrid seit 2010 nicht nur in fünf Europapokal-Endspielen, er perfektionierte hier auch die Idee des unangenehmen Fußballs. Es ist eine Spielweise, der sich am Mittwoch (21 Uhr) Lucien Favres Dortmunder in der Champions League gegenübersehen. Es wird der größte Prüfstein für die furios in die Saison gestarteten Westfalen.

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Foto: dpa/Marijan Murat

„Das wird eine knifflige Aufgabe“, beschrieb BVB-Stürmer Maximilian Philipp das, was auf ihn und seine Kollegen zukommen wird. Das ist ziemlich nett umschrieben. Genauso wie „dreckig“ eine zu negative Darstellung des Atletico-Fußballs wäre. Er liegt dazwischen. Und es ist vor allem die Wirkung, mit der er Eindruck erzielt und Erfolge einfährt: Niemand spielt gerne gegen Simeones Team. Seine Mannschaft pflegt einen Fußball, der als Basis das gegnerische Spiel zerlegt, indem sie dem Gegner das Spielen weitgehend überlässt, nur um es dann nach allen Regeln der Kunst zu bekämpfen. Nicht dreckig, nicht brutal, aber nervtötend hart im Zweikampf und taktisch auf höchstem Niveau.

Nach Ballgewinn geht es schnell nach vorne, wo in Frankreichs Weltmeister Antoine Griezmann einer der besten Stürmer der Welt wartet. Simeone geht es nicht darum, mit seiner Mannschaft einen Schönheitspreis zu gewinnen. Er will das Spiel gewinnen. Und das geht nach seiner Definition besser, wenn man erstmal guckt, dass man kein Gegentor kassiert. „Ich spiele lieber gut als schön“, sagte der 48-Jährige mal. Und er sagte auch: „Wir wollen ein nerviger Gegner sein. Wir spielen jedes Spiel, als wäre es unser letztes.“

Diese Aussage gilt auch für Simeone selbst. Das gegelte Raubein, das schon als argentinischer Nationalspieler das Mittelfeld als zu eroberndes Stück Land betrachtete, lebt auch als Trainer jede Partie so, als wäre es seine letzte. Simeone schimpft, schwitzt, gestikuliert, jammert, schubst, pöbelt, simuliert, animiert. Kreidelinien halten ihn nicht in der Coaching Zone, dafür bräuchte es schon einen Elektrozaun. Simeone sucht im gegnerischen Betreuerstab keine Freunde, er sucht allein einen Weg, bei Abpfiff gewonnen zu haben. Diese Strategie ging in den vergangenen Jahren oft genug auf. Atletico gewann unter ihm dreimal die Europa League, zuletzt im Mai, als der Trainer den 3:0-Finalsieg gegen Marseille gesperrt von der Tribüne aus verfolgte. Atletico stand zudem zweimal im Finale der Champions League, wo es zweimal knapp dem Stadtrivalen Real unterlag. Leverkusen (zweimal) und der FC Bayern zogen zuletzt im Europapokal jeweils den Kürzeren gegen Simeones Terrierrudel.

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Foto: dpa/Bernd Thissen

Atletico hat sich in Spanien längst als dritte Kraft hinter Real und dem FC Barcelona etabliert. Aktuell stellen die „Rojiblancos“ mit nur fünf Gegentoren in neun Partien die stärkste Defensive der Primera División. Diese will Dortmunds schnelle und kreative Offensivabteilung knacken. „Es wird ein echter Gradmesser“, sagt Kapitän Marco Reus vor dem Duell der beiden ungeschlagenen Teams der Gruppe A. BVB-Trainer Favre, dem es nie an Respekt vor dem Gegner mangelt, befindet seinerseits: „Seit sieben, acht Jahren ist Atletico eine der besten Mannschaften in Europa.“

Der Schweizer Gentleman geht als das exakte Gegenteil zu Simeone durch. Der sagt, Fußball werde mit einem Messer zwischen den Zähnen gespielt. Und so bewaffnet spielt man eben unangenehmen Fußball. Atletico-Fußball. Simeone-Fußball.

(RP)
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