Dortmund unter Schock Wie um Himmels Willen konnte das passieren?

Liverpool · Der Kollaps von Anfield ist für Borussia Dortmund schwer zu verdauen. Das unerklärliche 3:4 beim FC Liverpool gefährdet auch das letzte Saisonziel.

BVB-Stars trauern nach Viertelfinal-Aus gegen Liverpool
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Tief geknickt und immer noch fassungslos schlichen Mats Hummels und seine Teamkollegen am Morgen nach dem Kollaps in ihren schwarz-gelben Echte-Liebe-Airbus. Auch die Fans von Borussia Dortmund trotteten am Freitag noch immer wie paralysiert durch das Beatles-Viertel an der Liverpooler Waterfront, bei eiskaltem Bier aus Plastikbechern im legendären Cavern Club ertränkten sie ihren Frust. Immer und immer wieder wurde dieselbe Frage durchgekaut: Wie um Himmels Willen konnte das passieren?

Niemand hatte nach einer ebenso wundersamen wie großartigen, jedoch so furchtbar bitteren Europapokalnacht beim FC Liverpool eine Antwort. Dass sie Teil eines denkwürdigen Spiels gewesen waren? Wertlos.

"Das kann man nicht in Worte fassen. Die Enttäuschung sitzt tief, und sie wird noch tiefer werden", so presste es Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke heraus und bearbeitete heftig seinen Kaugummi. Trainer Thomas Tuchel rang nach dem Schock aschfahl und doch letztlich souverän um aufbauende Worte: "Wir wollten gewinnen wie Champions - nun müssen wir wenigstens verlieren wie Champions! Wir müssen sehr bald wieder aufstehen."

Das 3:4 bei den Reds nach 2:0- und 3:1-Führung wird als "Jürgen-Klopp-Wunder" (Daily Mirror) in der mythenreichen Geschichte des FC Liverpool seinen Ehrenplatz finden - für den BVB bleibt eine Narbe, die lange schmerzen wird. "Das war der realistischste Titel, der rumlag", sagte Hummels, "das ist eine Riesen-Enttäuschung für jeden Dortmunder. Ich habe geglaubt, dass wir das Ding holen." Dann gab er einen Hinweis auf den Denkfehler einer anfangs brillanten BVB-Elf: "Wir haben gedacht, wir wären durch."

Der Einzug ins Europa-League-Halbfinale schien in der 57. Minute sicher. Marco Reus hatte das 3:1 erzielt, Dortmund den tosenden Jubel im wahrscheinlich lautesten Stadion der Welt erstickt.

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Dann folgte der Zusammenbruch, der krachende K.o. in der Nachspielzeit, und selbst Tuchel sah schicksalhafte Kräfte im Spiel. "Nach dem 3:3 hat jeder an Vorbestimmung geglaubt", berichtete er konsterniert. Daran, dass es kommen musste, wie es kam: Dejan Lovren stieß dem BVB mit dem 4:3 ins Herz. Präsident Reinhard Rauball litt zu Hause mit: "Glücklich ist der Kollege, der beim 3:1 ins Bett gegangen ist. Er hat wenigstens gut geschlafen - im Gegensatz zu mir." Für Rauball war es "die schlimmste Niederlage in meiner BVB-Zeit, schlimmer als die in Wembley gegen Bayern".

Das traumatische Erlebnis in einer "unvergesslichen Nacht" (Klopp) abzuschütteln, ist eine ebenso drängende wie schwierige Herausforderung. Zwei Titelchancen sind verspielt, es bleibt das Pokal-Halbfinale bei Hertha BSC am Mittwoch.

Für Tuchel wird es eine Meisterprüfung. "Wir brauchen kein Mitleid und kein Schulterklopfen", sagte der Trainer, der "die Angst gespürt" hatte. "Uns mit negativen Szenarien zu beschäftigen, wäre das Schlimmste, was wir tun können. Wir müssen die Enttäuschung in Energie und Trotz umwandeln."

Die Aufarbeitung allerdings wird quälend, obwohl Tuchel darauf verwies, dass in der zweiten Halbzeit etwas Größeres, vielleicht Unerklärliches geschehen war. "Eine Erklärung würde bedeuten, dass etwas Logisches passiert ist. Etwas Taktisches. Aber so war es nicht", sagte Tuchel und kratzte sich den Kopf.

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Es war die große, vergebene Chance für den Trainer und den Verein, aus dem Schatten Jürgen Klopps zu treten. Stattdessen wurde der Dortmunder Meistertrainer, der in der Halbzeit an das "Wunder von Istanbul" 2005 erinnert hatte, verfrüht in den Stand eines Bill Shankly oder Bob Paisley erhoben. "Klopp trägt sich in die Galerie der Reds-Legenden ein", schrieb der Mirror. Er habe ein "neues Kapitel der epischen Märchensammlung des FC Liverpool" geschrieben.

Klopp selbst konnte es nicht fassen, ihm schmerzte der Arm, und er wusste nicht einmal, warum. Dann bemühte er sämtliche englische Begriffe, die ihm durch den Kopf schossen: "Brilliant, wonderful, marvellous, unbelievable." Nur auf die Frage nach einem Champions-League-Einzug als Europa-League-Sieger reagierte er patzig: "Fragt mich nicht so einen Scheiß!"

(sid)
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