Borussia Dortmund Durchstarten mit Reus

Dortmund · Der Dortmunder Kapitän ist ohne Verletzung durch die Vorbereitung gekommen. Das ist schon eine Nachricht. Der Stürmer steht für die Ambitionen des BVB auf eine bessere Saison.

 Bewegungstalent bei der Arbeit: Borussia Dortmunds Kapitän Marco Reus (links) gegen den Leipziger Ibrahima Konate.

Bewegungstalent bei der Arbeit: Borussia Dortmunds Kapitän Marco Reus (links) gegen den Leipziger Ibrahima Konate.

Foto: dpa/Guido Kirchner

So einen Sommer hat Marco Reus (29) schon seit Jahren nicht mehr erlebt. Wenn die Kollegen sich in ihren sogenannten Trainingslagern auf die Bundesliga-Saison vorbereiten, plagt sich der Stürmer von Borussia Dortmund normalerweise mit mehr oder weniger schweren Verletzungen herum.

2016 warf ihn eine Schambeinentzündung ab Mai für ein halbes Jahr aus der Bahn. Neben dem Meisterschaftsauftakt verpasste er die Europameisterschaft. Vor einem Jahr riss sein Kreuzband ebenfalls im Mai im DFB-Pokalfinale gegen Frankfurt. Das immerhin gewann der BVB mit 2:1. Aber Reus humpelte mehr als ein halbes Jahr durch Arztpraxen, kämpfte sich durchs Rehabilitationstraining und schaute zu, während die Mannschaft durch eine sehr wechselvolle Hinrunde ging.

Dieses Jahr hat Reus den fürchterlichen Monat Mai beschwerdefrei überstanden, er hat die gesamte Vorbereitung mitgemacht. Und er könnte endlich mal wieder vor einer großen Saison stehen. Freitag macht er in Hannover sein zweites Meisterschaftsspiel in Folge. Das gab es um diese Jahreszeit zuletzt 2014.

Der Auftakt seiner Saison ist zumindest vom Ergebnis gelungen. Das Erstrunden-Spiel im Pokal bei Greuther Fürth entschied der neue Dortmunder Kapitän mit seinem Treffer zum 2:1 in der letzten Minute der Verlängerung. Und beim 4:1 zum Bundesliga-Start gegen RB Leipzig schoss er das letzte Dortmunder Tor. Es war zugleich sein 100. Bundesligatreffer. „Es war ein rundum schöner Tag für mich und für uns“, erklärte Reus.

Aber er unterschlug nicht, dass Leipzig deutlich stärker war, als es das Resultat auszusagen scheint. „Wir müssen noch viel lernen“, sagte er, „es war extrem schwierig.“ Dortmund hatte mit den früh attackierenden Leipzigern große Probleme. Es befreite sich durch glückliche Treffer. Doch weil am Ende ein (zu) klarer Sieg stand, gab es auch die typische Fußballer-Reaktion. „Das“, urteilte Reus, „gibt uns Selbstvertrauen für das Auswärtsspiel in Hannover.“

Es gibt vor allem dem neuen Trainer die notwendige Ruhe in seiner Aufbauarbeit. Lucien Favre (60) ist beim BVB mit dem Ziel angetreten, der Mannschaft wieder eine fußballerische Identität zu verpassen. Das war vor allem Jürgen Klopp in seinem Wirken von 2008 bis 2015 gelungen. Er prägte diesen Klub, indem er ihm die nötige Hingabe und ein laufintensives Konterspiel verordnete. Das ging natürlich nicht über Nacht. Klopp brauchte ein paar Jahre, um das Personal zu finden und den Spielern seine Vorstellungen einzuimpfen.

Auch Favre wirbt beständig um Geduld, obwohl er mit einem deutlich besseren Aufgebot gesegnet ist als Klopp zu Beginn seiner Tätigkeit. Favre gilt als geradezu detailversessener Coach, der sich nicht scheut, stundenlang Positionen, Laufwege, Fußhaltungen und die richtige Bewegung im Zweikampf zu üben. Reus hat von dieser Arbeit an den wesentlichen Kleinigkeiten besonders profitiert. Das liegt jedoch bereits sieben Jahre zurück. Borussia Mönchengladbach hatte den Dribbler beim Zweitligisten Rot-Ahlen für ihr Bundesliga-Team entdeckt. Dem BVB war Reus damals körperlich zu schwach, die Dortmunder hatten ihn in der B-Jugend nach Ahlen abgeschoben.

In tiefster Abstiegsnot verpflichtete die niederrheinische Borussia Favre als Trainer. Und der Schweizer erhielt durch einen sensationellen Schlussspurt 2011 nicht nur die Liga, er formte Reus zu einem spielentscheidenden Faktor. Am Ende der Zusammenarbeit stand Gladbach in der Champions League-Qualifikation und Reus ganz oben. Er wurde 2012 Deutschlands Fußballer des Jahres. Für 17 Millionen Euro holte ihn Dortmund zurück.

Es wurde keine beispiellose Erfolgsgeschichte. Das verhinderte die Verletzungsanfälligkeit des ehemals so zarten, heute ziemlich austrainierten Stürmers. Durch sein Tempo, seine ausgeprägte (Schuss-)Technik und sein überragendes Raumgefühl trug Reus zwar maßgeblich dazu bei, dass der BVB 2013 im Champions-League-Finale (1:2 gegen Bayern München) stand und phasenweise in Europa für sein Spiel geradezu verehrt wurde. Reus gewann mit den Dortmundern allerdings nur einen Titel – besagten DFB-Pokal vor gut einem Jahr.

Das muss nicht so bleiben. Reus ist mit seinen 29 Jahren jung genug für mehr. Und Dortmunds Mannschaft hat zumindest den Zuschnitt, Bayern München in einem Jahr des Umbruchs beim Dauertitelträger nachhaltig zu ärgern – vor allem, seit sie im Spanier Paco Alcacer neuerdings wieder einen echten Mittelstürmer hat.

Derartige Ahnungen müssen den Spieler bei seiner Vertragsverlängerung beschlichen haben. Er unterschrieb im Juli seinen neuen Kontrakt bis 2023, „denn ich sehe und glaube an das Potenzial des Klubs. Und ich glaube daran, dass sich ein Klub weiterentwickeln kann“. Neben diesen sportlichen Faktoren zählt für den öffentlichkeitsscheuen Kapitän auch so etwas wie Heimat. „Wenn du 28, 29 Jahr als bist, weißt du, dass das der letzte große Vertrag sein wird“, sagte er, „du musst dir im Klaren sein: Was will ich? Will ich etwas Neues, eine neue Kultur, eine neue Sprache, eine neue Stadt? Was brauche ich, um glücklich zu sein?“

Die Antwort auf diese Fragen gab er mit seiner Unterschrift.

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