Anschlag auf den BVB Die Tagesordnung des Sports ist aufgehoben

Dortmund · Der Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund zerstört vor allem eins: den Glauben daran, dass die Flucht aus dem Alltag im Ereignis eines Fußballspiels garantiert ist. Sicher ist aber auch: Diese Verunsicherung wird sich wieder verflüchtigen.

 Vor dem Dortmunder Stadion herrschte ein merklich größeres Polizeiaufgebot als üblich.

Vor dem Dortmunder Stadion herrschte ein merklich größeres Polizeiaufgebot als üblich.

Foto: dpa, frg vge

Die Flutlichter scheinen auf einen leeren Rasenplatz. Es ist ganz still im riesigen Stadion. Draußen unter den großen Bäumen vor dem Schwimmbad am Südausgang stehen noch ein paar Fans. Sie sprechen leise. Die Getränkestände haben längst geschlossen. Ein Ordner wünscht "noch einen schönen Abend". Auf dem Weg zur Autobahn stehen bewaffnete Polizisten, sie schauen sehr aufmerksam. So endet ein Fußballabend, der kein Fußballabend wurde. Das Champions-League-Viertelfinale zwischen Borussia Dortmund und AS Monaco ist abgesagt, weil es bei der Abfahrt des BVB-Teams aus dem Mannschaftshotel einen Anschlag auf den Bus gegeben hat. Der Spieler Marc Bartra wird schwer verletzt, das Gefährt beschädigt. Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke spricht von "einer neuen Dimension".

Das stimmt. Zum ersten Mal ist ein deutsches Fußballteam Ziel einer solchen Attacke. "Es war ein zielgerichteter Angriff auf die Mannschaft von Borussia Dortmund", sagt Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange. Der Fußball rückt aus seiner heilen Welt eines inszenierten Freizeitvergnügens mitten in den bösen Alltag. Mit diesem Gefühl gehen die Spieler an diesem Abend ins Bett, mit diesem Gefühl fahren die Fans nach Hause. Ihr Sport steht nicht mehr auf einer Bühne, die mindestens 90 Minuten lang die Welt weit draußen lässt, die sich selbst genügt. Er wird überschattet vom Bösen, von Sorgen um Leib und Leben, von all dem, zu dem er die Ablenkung sein soll. Die Illusion von der Unverletzbarkeit dieses Raums ist dahin. Zumindest für ein paar Tage.

Ein völlig neues Phänomen ist das indes nicht. Spätestens mit dem Terror-Anschlag auf die israelische Mannschaft im Olympischen Dorf von München 1972 kam ein großes Sportereignis mitten in der gewalttätigen politischen Welt an. Es hieß damals, der Sport habe seine Unschuld verloren. Die Illusion einer heilen Welt, in der Auseinandersetzungen spielerisch betrieben werden, wollte der Sport aber aufrechterhalten, und das mit aller Macht. Der IOC-Präsident Avery Brundage sagte deshalb nach einer eintägigen Trauerpause den legendären Satz: "Die Spiele müssen weitergehen." Mit dem Terror von München, bei dem elf Geiseln, ein Polizist und fünf Terroristen umkamen, ist Dortmund natürlich nicht zu vergleichen. Aber Dortmund bringt die Gruppe der prominenten Sportler auf die Liste möglicher Opfer.

Es passt zur Idee von der heilen Welt, dass Fußballprofis bislang für unverletzlich gehalten wurden. Das liegt auch daran, dass sie von der Gesellschaft als entrückte Wesen wahrgenommen werden, die ein paarmal pro Woche auf die Bühne gestellt werden. Darüber hinaus sind sie viel besser geschützt als die große Menge ihrer Fans, die zu den Auftritten ins Stadion kommen.

Die Spieler bemerken es nur in Ausnahmefällen. Zum Beispiel im November 2015 nach den Anschlägen rund um das französische Nationalstadion im Pariser Vorort St. Denis. Die DFB-Auswahl hatte dort ein Freundschaftsspiel gegen die Franzosen bestritten, und sie verbrachte die Nacht unter extrem verschärften Sicherheitsmaßnahmen in der Kabine.

Weil Fußballspieler junge Leute sind, schütteln sie derartige Eindrücke verhältnismäßig schnell ab. Schon beim Europameisterschaftsturnier in Frankreich ein gutes halbes Jahr später gab es auf Fragen nach bedrückenden Erinnerungen von dieser Seite allenfalls brave Standardantworten, meist ein verständnisloses Stirnrunzeln. Das ist ein funktionierender Selbstschutz, denn wer die Rolle des potenziellen Opfers täglich zu Ende denkt, der kommt weder als Hauptdarsteller im Unterhaltungsgeschäft des Fußballs noch als dessen Fan weiter in Betracht.

Es ist daher eher unwahrscheinlich, dass bei den deutschen Nationalspielern 2014 während der WM in Brasilien ernsthafte Bedenken aufkamen, wenn sie beim Weg zu ihren Spielen mitbekamen, dass Froschmänner im Fluss tauchten, den ihre Fähre überwinden musste, dass Helikopter ihren Bus begleiteten und schwer bewaffnete Polizisten die Fahrt eskortierten. Es ist inzwischen die normale Begleitmusik - wie die Absperrung des Luftraumes bei Olympischen Spielen oder der Einsatz von zigtausend Sicherheitskräften bei einem WM-Finale.

Das Publikum ignoriert die Begleitumstände beinahe ebenso bereitwillig, wie es die Sportler tun. Vorfälle wie der von Dortmund erschüttern diese Bereitschaft. Die Tagesordnung ist aufgehoben, der Glaube daran, dass die Flucht aus dem Alltag im Ereignis des Fußballspiels garantiert ist.

Sicher ist: Diese Verunsicherung wird sich verflüchtigen. Noch während die Debatte darüber geführt wird, rückt das Ereignis von der Tatsache in den Rang eines akademischen Gegenstands. Die Spieler werden wieder auflaufen, die Zuschauer wieder kommen, die Sicherheitsmaßnahmen werden sie übersehen. Vielleicht ist das auch besser so.

(pet)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort