Der "Kaiser" zeichnet ein düsteres Zukunftsbild Beckenbauer: "Talente gibt es nicht"

Vaals (sid). Der deutsche Fußball steckt in der Krise - und ein Ausweg scheint nicht in Sicht. "Wir machen eine Durststrecke durch, die noch Jahre dauern kann", behauptet Franz Beckenbauer und nennt Gründe für sein düsteres Zukunftsbild: "Wo sind denn die Talente, die für den großen Schnitt notwendig sind? Ich sehe sie nicht. Denn es gibt sie nicht."

Schlechte Voraussetzungen für einen radikalen Neuaufbau, der von vielen Experten nach der Euro und dem Ende der Ära Erich Ribbeck gefordert wird. Und Beckenbauer steht mit seiner Meinung nicht alleine da. "Es gibt keine Typen, keine Spieler, auf die man sich richtig freuen kann, die man gerne spielen sieht. Es tut furchtbar, wenn man 19 Jahre für diesen Verband gearbeitet hat und jetzt sieht, was passiert", klagt Ex-Bundestrainer Berti Vogts im Sport-Informations-Dienst (sid).

Auch (Noch-)Teamchef Erich Ribbeck sieht für die kommenden Jahren ziemlich schwarz: "Es gibt nicht viel mehr Spieler, die die Mannschaft verstärken können. Ich sehe keine hoffnungsvollen, jungen Talente, die in der Bundesliga spielen."

Dementsprechend wird ein radikaler Umbruch nach der Euro ausbleiben. Ein Sebastian Deisler, ein Michael Ballack oder ein Carsten Jancker gehören ohnehin schon zum EM-Aufgebot. Andere junge Profis mit Perspektive wie Alexander Zickler, Marco Reich, Ingo Hertzsch, Lars Ricken, Frank Baumann, Marcel Ketelaer, Andreas Voss, Tobias Willi oder Fabian Ernst müssen sich erst einmal in ihren Bundesliga-Klubs gegen die Konkurrenz aus dem Ausland durchsetzen bzw. ihre Leistung stabilisieren.

Beckenbauer: Wir stehen am Anfang

Ein Mangel an Talenten, der sich voraussichtlich in den kommenden Jahren nicht beheben lässt. "Wir stehen mit unserer Arbeit am Anfang", sagt Beckenbauer in seiner Bild-Kolumne und hält auch Vergleiche mit den Franzosen für völlig überzogen. "Es heißt immer wieder, die hätten auf die WM 1994 quasi verzichtet, um eine neue Mannschaft aufzubauen, und seien deshalb 1998 strahlender Weltmeister geworden. Die haben aber auch eine perfekte Nachwuchs-Förderung mit über 300 Internaten."

Dagegen ist die einzige Fußball-Großmacht Deutschland derzeit noch Entwicklungsland. Zwar gibt es in einigen Bundesliga-Vereinen (unter anderem bei Bayern München, Borussia Dortmund) bereits Internate oder sogenannte Jugend-Stützpunkte (Bayer Leverkusen), doch das ist bisher eher die Ausnahme. Genauso wie drei fußballbezogene Schulklassen in Unterhaching und Taufkirchen bei München. "Von solchen Schulen muss es viel mehr geben", fordert deshalb Beckenbauer.

Der "Kaiser" stößt beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) inzwischen auf offene Ohren. Mit flächendeckender Sichtung und massiver Förderung versucht der DFB, die Nachwuchsproblematik in den Griff zu bekommen. So wurden im vergangenen Oktober unter anderem 121 Stützpunkte mit 242 Honorartrainern bundesweit eingerichtet. 5,2 Millionen Mark lässt sich der DFB diese Maßnahme jährlich kosten, zusätzlich zu den 20 Millionen Mark, die sowieso schon in die Jugendarbeit fließen.

"Das ist ein wichtiger Baustein für unsere Gesamtkonzeption. Dies garantiert, dass nicht jedes Talent erst hunderte von Kilometern fahren muss, sondern zu Hause um die Ecke gefördert wird", erklärt DFB-Präsident Egidius Braun. Zu spät, wie Vogts findet: "Es tut verdammt weh, wenn ich sehe, dass die letzten zwei Jahre verpennt worden sind. Bei dieser EM kriegen wir die Quittung. Ich hatte damals ein umfangreiches Konzept erarbeitet, aber beim DFB wollte niemand auf mich hören."

Um nicht noch weiter Zeit zu vergeuden, nimmt der DFB künftig auch die Profiklubs mehr in die Pflicht. So werden die Vereine bei der Lizenzierung verpflichtet, Millionenbeträge in die Jugendarbeit zu stecken und Internate aufzubauen. Was von Beckenbauer sehr begrüßt wird: "Nur mit solchen Konzepten bringen wir den deutschen Fußball wieder auf die Beine. "

Damit ist es aber noch lange nicht genug. Die jungen Spieler müssen vor allem spielen. Solche wie der 20 Jahre alte Sebastian Deisler. "Einige Klubs fahren lieber nach Brasilien und kaufen für einige Millionen Mark Spieler ein, anstatt den jungen Deutschen eine Chance zu geben. Es wäre wünschenswert, wenn man mehr Jungs ins kalte Wasser werfen würde", fordert der Nationalspieler von Hertha BSC Berlin und weist die zum Teil berechtigten Vorwürfe zurück, dass der deutsche Nachwuchs zu bequem sei: "Es liegt nicht an der Einstellung."

Das hört sich bei Udo Lattek ganz anders an. "Dieses ständige Klagen über die mangelnden Chancen im Kampf um einen Platz mag ich nicht mehr hören. Die Wahrheit ist doch: Viele Spieler um die 18 Jahre haben es sich in ihren Vereinen wunderbar eingerichtet. Sie verdienen viel Geld und fragen sich: Warum soll ich mich eigentlich quälen?" Der deutsche Fußball geht düsteren Zeiten entgegen.

(RPO Archiv)
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