Kritik an Schweiger-Doku Vom Schweini zum Schweinsteiger im Schnelldurchlauf

Düsseldorf · Bastian Schweinsteiger ist einer der erfolgreichsten deutschen Fußballer aller Zeiten. Nun hat Til Schweiger dem WM-Helden von 2014 einen Film geschenkt. Das Ergebnis aber ist enttäuschend, Schweinsteiger hätte mehr verdient gehabt.

 Schweinsteiger mit den Zahlen 31 und 7: Ein Kunstbegriff mit den Nummern, die Schweinsteiger auf dem Trikot trug.

Schweinsteiger mit den Zahlen 31 und 7: Ein Kunstbegriff mit den Nummern, die Schweinsteiger auf dem Trikot trug.

Foto: obs/Amazon Prime Video

Am Ende ist da der lange, leere Tunnel. Ein Mann geht einsam und nachdenklich durch diesen Tunnel, man sieht den Mann von hinten. Der Tunnel ist im Stadion von Orlando, der Mann ist Bastian Schweinsteiger. Er hat gerade das letzte Spiel als Profifußballer gespielt. Und vor dem Abgang durch diesen leeren Tunnel hat der Dokumentarfilm „Schw31ns7eiger: Memories – von Anfang bis Legende“ einen seiner wenigen anrührenden Momente. Schweinsteiger erklärt seinen Kollegen von Chicago Fire in der Kabine den Abschied, seine Stimme versagt, weil er weinen muss. Die Kollegen nehmen ihn in den Arm, einer nach dem anderen. Das geht ans Herz.

Nur einmal noch in den knapp zwei Stunden, die Regisseur Robert Bohrer und Produzent Til Schweiger dem Fußballer in dem vom Streaming-Dienst Amazon seit Freitag ausgestrahlten Film widmen, gibt es eine ähnliche Szene. Das ist, als Bayern Münchens Patron Uli Hoeneß sich an die Minuten nach dem WM-Finale 2014 erinnert. Mitten im Jubel-Trubel sagt Schweinsteiger an Hoeneß gerichtet in die Kameras: „Ohne Sie wären wir alle nicht hier, wir unterstützen Sie sehr.“ Der Bayern-Chef sitzt zu der Zeit im Gefängnis. Er sagt: „Da hat es mich aus dem Bett herausgehauen, weil es eines meiner eindrücklichsten Erlebnisse war, das ich je gehabt habe.“

Ja, der Bastian Schweinsteiger ist ein guter Kerl. Das wissen die, die ihm begegnet sind so gut wie die, die sein öffentliches Leben verfolgt haben. Ja, Bastian Schweinsteiger war einer der größten Fußballer Deutschlands, er hat mit den Bayern Titel geradezu gehamstert, er ist Champions-League-Sieger geworden und Weltmeister. Ja, Bastian Schweinsteiger war ein außerordentlicher Stratege auf dem Platz, eine Führungsfigur, ein mitreißender Spieler. Und: Ja, er hat im WM-Finale 2014 sein bestes Spiel gemacht, als er blutend, kämpfend, voll inbrünstiger Hingabe zum Sinnbild eines erfolgreichen Endspiels wurde.

Für Til Schweiger und für viele andere ist er ein „Held“ seit diesem Tag, ein typisch deutscher Held, der sich wie ein edelmütiger Ritter aus dem tiefen Mittelalter in die Schlacht wirft, ein Held für die Bilder- und Sagenbücher, die Kinder und Jugendliche verschlingen oder verschlungen haben.

Aus diesem Eindruck hat Schweiger ein Heldenepos über eine Stunde und 52 Minuten gemacht. Es erzählt die Geschichte des kleinen Basti, der beinahe ebenso gut Ski fährt, wie er Fußball spielt. So gut, dass er ein wichtiges Rennen gegen seinen Altersgenossen Felix Neureuther gewinnt, der später ein Star im Wintersport werden sollte und der selbstverständlich zu den Wegbegleitern gehört, die im Film zu Wort kommen.

Der Film erzählt vom Fußballer Basti, der früh besser war als alle anderen, aber der sich nie als Alleinunterhalter versuchte. Er erzählt vom heranwachsenden Fußballer Basti, der in einer großen Bayern-Mannschaft das Laufen lernt, und von dem Oliver Kahn sagt: „Er war wie ein Kind.“ Er erzählt vom Nationalspieler Basti, der mit seinem Kumpel Poldi (Lukas Podolski) für ein neues deutsches Spiel steht. Und erzählt die Geschichte vom großen Fußballer Bastian Schweinsteiger, der pubertäre Haartracht ebenso hinter sich gelassen hat wie kindliche Späße mit Podolski, der ein sehr ernsthafter Star im großen Geschäft wird. Hermann Gerland, der ihn bei den Bayern als Nachwuchs-Coach und als Assistent von Jupp Heynckes in den großen Jahren von 2011 bis 2013 betreute, erklärt über den Weg als Profi im besten Ruhrpott-Hochdeutsch: „Es war nicht zu erkennen, dat der so ne Karriere macht. Wer dat sagt, der lügt.“

Die Daten aber lügen nicht, sie beweisen, dass Schweinsteiger einer der Ausnahmespieler im deutschen Fußball, im Weltfußball war. Seine ehemaligen Trainer Louis van Gaal, Jupp Heynckes und Joachim Löw bestätigen gern, dass Schweinsteiger nicht irgendwer war bei den großen Erfolgen von Anfang der 2000er bis zur Mitte der 2010er Jahre. Er war eine lenkende Figur, „mein verlängerter Arm auf dem Spielfeld“, wie Heynckes sagt.

Aber das alles ist nicht neu, und es steht in jeder zweiten Würdigung von Schweinsteigers Karriere, wie sie bei seinem Abschied von der Nationalmannschaft und vor dem Abschiedsspiel in München (sehr zu Recht übrigens) geschrieben wurden.

Warum also diese Doku? Zum einem Teil sicherlich, weil Produzent Schweiger mit dem Helden der Geschichte befreundet ist, der Film ist so etwas wie ein Geschenk. Zum anderen, weil eine Armada von Prominenten vor der Kamera bezeugen kann, dass Schweinsteiger ein toller, anständiger Typ und herausragender Fußballer ist oder war. Neben Gerland, Heynckes, van Gaal, Podolski und Löw kommen Jerome Boateng, Michael Ballack, David Alaba, Karl-Heinz Rummenigge und Funktionäre von Chicago Fire zu Wort. Zum dritten, weil der Film den Machern offenbar die Gelegenheit bietet, mit den Mitteln der Technik einen Spannungsbogen zu erzeugen, den die erzählte Geschichte eines anständigen Menschen und herausragenden Fußballspielers so nicht hergibt.

So werden die Szenen aus den großen Spielen herzhaft herangezoomt, natürlich häufig in Zeitlupe, die Geräusche auf dem Platz werden künstlich verstärkt, es hört sich gelegentlich wirklich an wie beim Ritterturnier. Und wo kein Drama ist, da ist Musik. Beständig plätschert Musik daher, mal wie im Einkaufszentrum, mal anschwellend und ein wenig böse klingend, weil es gerade auf eine Niederlage zugeht, dann wieder fröhlich. Es ist oft schwer auszuhalten.

Über den anständigen Menschen Schweinsteiger erfährt man wenig mehr, als dass er ein anständiger Mensch ist. Brüche in seiner Biographie sind kaum zu besichtigen. Ausnahme: die schwere Niederlage im Champions-League-Finale „dahoam“ in München gegen Chelsea, als Schweinsteiger den entscheidenden Elfmeter verschießt. Er hat sich verantwortlich gemacht für sein Team, eine seiner großen Tugenden, und er hat versagt. Ein tragischer Held. Der Film verharrt hier nur kurz. Oliver Kahn beschreibt die Situation, an der manche zerbrechen würden: „Da schauen dir 250, 400 Millionen Menschen beim Versagen zu.“

Schweinsteiger steckt es offenbar weg. Wie er das macht, verrät der Film nicht. Vielleicht ist es auch ein Geheimnis im guten Charakter des Spielers, der einfach wieder aufsteht und sein Spiel spielt, weil er gar nichts anderes will, weil er gar nichts anderes kann. In Verzweiflung haben ihn Niederlagen nur ganz früh gestürzt. Das zumindest verrät der Film, wenn private Aufnahmen von Vater Fred zeigen, wie der kleine Basti wütend ein paar Dosen wegkickt, oder wenn der Bruder Tobias sagt: „Das Mensch-ärger-dich-nicht endete, wenn Basti weinend aus dem Zimmer lief.“ Das sind harmlose Geschichten.

Vielleicht, das kann ja sein, ist Bastian Schweinsteiger ein harmloser Mensch mit einer besonderen Begabung. Wenn es die Absicht der Doku war, das zu zeigen, ist es wenigstens in dieser Hinsicht sehr gelungen. Es liegt allerdings auch der Verdacht nicht fern, dass mit großem Bewusstsein glattgebügelt und in teilweise sehr schöne Bilder gegossen wurde, was schon vor dem Film feststand. So entwickelt sich die Geschichte aus einem Vorhaben, sie ist so zielgerichtet wie die PR-Produkte des Hochglanz-Profisports unserer Tage. Die Dokumentation vergibt deshalb die Chance, näher an Schweinsteiger heranzukommen. Sie gibt sich nicht einmal die Mühe, das zu tun. Sie scheitert im übertragenen Sinn nicht am Pfosten wie Schweinsteiger beim Elfmeterschießen dahoam gegen Chelsea. Sie scheitert an der Spielanlage. Schade. Schweinsteiger hätte mehr verdient. Mehr Tiefe vor allem.

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