Krise beim FC Bayern Die Stürmerfrage bleibt für Nagelsmann akut

München · Beim FC Bayern herrscht zur Oktoberfestzeit Katerstimmung. Vier sieglose Spiele in der Liga, fünf Punkte Rückstand auf Rang eins – Trainer Julian Nagelsmann steht gehörig unter Druck. Und die Stürmer-Frage stellt sich mehr denn je.

Julian Nagelsmann von München kommt in das Käferzelt auf dem Oktoberfest auf der Theresienwiese.

Julian Nagelsmann von München kommt in das Käferzelt auf dem Oktoberfest auf der Theresienwiese.

Foto: dpa/Sven Hoppe

Hasan Salihamidzic griff sich in den üppigen dunklen Bart, den er sich wahrscheinlich hat stehen lassen, damit er nicht mehr mit seinem Spitznamen Brazzo (Bürschchen, Brüderchen) verwechselt wird. Dann sagte er, was Vereinsfunktionäre in Krisenzeiten so sagen: „Jetzt gibt es keine Ausreden mehr. Jetzt müssen Siege her.“ Dabei schaute Bayern Münchens Sportvorstand so grimmig, dass es lieber keine Nachfragen gab.

In München herrscht zur Oktoberfestzeit Katerstimmung, und mit vielen Ausrufezeichen wird die Lage erörtert. Viermal in Folge hat Deutschlands Abo-Meister in der Bundesliga nicht gewonnen (!), mit fünf Punkten Rückstand (!) auf Tabellenführer Union Berlin (!) liegen die Bayern vor dem Freitagspiel gegen Bayer Leverkusen auf Platz fünf (!). Es ist der schlechteste Start seit 2010 (!). Damals wehte es übrigens in der Rückrunde Louis van Gaal aus dem Traineramt.

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Von derart harschen Maßnahmen will natürlich niemand etwas wissen. Salihamidzic versicherte, Trainer Julian Nagelsmann habe die Rückendeckung des Vereins, „das muss nicht immer wieder betont werden“. Die Insider des Springer-Konzerns bringen allerdings bereits Thomas Tuchel ins Gespräch, der aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen beim FC Chelsea entlassen wurde.

Nagelsmann gibt sich so kämpferisch wie sein Sportdirektor. Er wisse genau, was jetzt zu tun sei, erklärte der immer noch erst 35-Jährige mit der Autorität eines altgedienten Fußballlehrers. Nach der vorläufig letzten Niederlage, dem 0:1 in Augsburg, trat Nagelsmann noch in der Rolle des trotzigen Wunderkinds auf. Was sich nun ändern müsse, wurde er gefragt. „Alles“, sagte er. Viel mehr als Antworten mit einem Wort gab er nicht. Und wenn, dann waren es nicht die fußballtaktischen Lehrbuchvorträge, die er sonst so gerne hält, sondern eher klagend klingende Absichtserklärungen: „Ich denke über alles nach. Über mich. Über die Situation. Über alles.“

Wer ihn mit großer Sicherheit aus dieser Nachdenklichkeit wecken und in einen schwer genervten Zeitgenossen verwandeln will, der muss nur das Thema Robert Lewandowski ansprechen. Das bringt Nagelsmann und alle Ober-Bayern zuverlässig auf die Palme. Während der 34 Jahre alte Pole in seiner neuen Wahlheimat Barcelona dem Ruf einer Tormaschine weiter gerecht wird, klappt es in München bei seinen Nachfolgern nach einem Aufsehen erregenden Saisonauftakt nicht so richtig. Die Idee, Lewandowskis Job auf viele Häupter zu verteilen, entfaltete ihren Charme, als die Bayern im Supercup über Leipzig (5:3) und am ersten Spieltag über Eintracht Frankfurt (6:1 im ehemaligen Waldstadion) herfielen.

Aber trotz zahlreicher Torgelegenheiten leistet sich die Offensive der Münchner inzwischen bedenkliche Produktionsausfälle. 95 Chancen zählten die Statistiker in den vergangenen vier Spielen und nur vier Tore. Ein krasses Missverhältnis.

Der Ruf nach einem Nachfolger für Lewandowski wird dadurch nicht leiser. Doch einstweilen muss Nagelsmann zum Spiel ohne eine echte Nummer neun stehen. Schließlich hat er sich das alles ausgedacht. Schon argwöhnen besonders gut informierte Wegbegleiter der Bayern, dass Lewandowski nicht nur aus reiner Geldgier nach Barcelona ging, sondern dass ihn Nagelsmann einfach nicht mehr wollte. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.

Tatsache ist jedoch, dass Misserfolge nicht nur in München zu erheblichen Diskussionen um den Trainer führen. Gern wird dabei in der Mannschaft geforscht. Und selbstverständlich finden sich Athleten, denen der Platz in der zweiten Reihe nicht passt, andere, die über Trainingsinhalte mosern, wieder andere, die ein taktisches Durcheinander beklagen und zu viel Rotation und besonders Feinfühlige, die sich schlecht und schroff behandelt fühlen. Hätten die Münchner ein paar Chancen in Tore verwandelt, wäre es in dieser Hinsicht sehr still. Dann ist alles erlaubt, denn der Erfolg heiligt im Fußball noch jedes Mittel.

Ralf Rangnick, Nagelsmanns Mentor bei RB Leipzig, führt die Fraktion derer an, die zur seltenen Tugend der Geduld aufrufen. „Er hat ja bewiesen, dass er die Mannschaft nicht nur führen, sondern mit ihr auch begeisternden Fußball spielen lassen kann“, urteilte Rangnick im Gespräch mit „Bild“, „nach Lewandowski braucht es ein bisschen Zeit.“ Lässig unterschlagen wird, dass auch das erste Halbjahr 2022 mit Lewandowski nicht mehr nach Bayerns Ansprüchen lief. Das schmerzhafte Ausscheiden im Viertelfinale der Champions League gegen den Außenseiter Villarreal passte so wenig wie der vierte Platz in der Rückrunden-Tabelle. Der Meistertitel verdankte sich zumindest zum Teil der schwachen Konkurrenz.

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Foto: dpa/Arne Dedert

Auch das wird Nagelsmann nun vorgerechnet. Seine Hoffnung, dass die große Bayern-Delegation von der Nationalmannschaftsreise psychisch gestärkt zurückkehren würde, hat sich ebenfalls nicht erfüllt. Außer Jamal Musiala bestätigten die Münchner gegen Ungarn (0:1) und in England (3:3) die Form aus dem Verein. Das lässt Hasan Salihamidzic bestimmt nicht weniger grimmig dreinschauen. Und Nagelsmann denkt ganz sicher darüber nach.

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