Analyse zum Urteil gegen den Bayern-Präsidenten Der Schlussstrich des Uli Hoeneß

München/Düsseldorf · Scheinbar freiwillig verzichtet der Bayern-Chef auf seine Ämter und geht ins Gefängnis. Doch bei genauem Hinschauen zeigt sich: Weil ihm sein persönliches Image extrem wichtig ist, gab es fast keine Alternative.

Die Erklärung wirkt, als habe sich in der Nacht etwas ereignet, als sei Uli Hoeneß zur Ruhe gekommen und zu höherer Einsicht gelangt. Er habe mit seiner Familie gesprochen, heißt es in dem gestern Vormittag veröffentlichen persönlichen Text des früheren Bayern-Bosses. Er werde nun nicht in Revision gehen, wie sein Anwalt am Tag zuvor noch angekündigt hatte, schreibt er. Und dann spricht er von Anstand, Haltung und Verantwortung. Anstand also, und das ist in diesem Zusammenhang insofern ein überraschender Begriff, als das Wort eine Bezeichnung ist für die Zügelung der Willkür eines Menschen, ein Synonym für die Übereinkunft mit jenen Regeln, die das Funktionieren der Gesellschaft ermöglichen und Gerechtigkeit zum Ziel haben. Zu den Besonderheiten des Anstands gehört, dass man ihn nicht verordnen kann. Man muss ihn erlernen. Man muss ihn wollen.

Das Papier möchte man als Dokument eines Lernprozesses lesen, als Ausweis einer Läuterung. Als Abschluss einer Entwicklung also, die man in den letzten Tagen während des Strafprozesses gegen Hoeneß zu beobachten meinte. Der 62-Jährige, der zuvor als selbstverliebt galt, als unbelehrbar, überheblich und stolz, bot das Bild eines erschütterten Mannes.

Er schien Einsicht gewonnen zu haben in die Tatsache, dass er kein hervorragender Mensch ist, kein besonderer, sondern einer wie alle anderen. Ein Straftäter. Mit dem Schuldspruch wurde diese Erkenntnis gleichsam notariell beglaubigt. Vielleicht hat Hoeneß die Nacht nach dem Abgang aus dem Gericht dazu genutzt, sein Handeln zu überdenken. Ein Demütiger akzeptiert, dass er gefehlt hat, so liest sich die Erklärung zunächst, der Mann beginnt zu bereuen. Was einen indes stutzig machen kann, ist die beschönigende Formulierung, die Hoeneß an entscheidender Stelle verwendet. Die Hinterziehung von 28,5 Millionen Euro nennt er "meine Steuerangelegenheit". Tatsächlich zeigt die Erklärung, was Uli Hoeneß wirklich wichtig ist, nämlich ein wieder intaktes Selbstbild von sich selbst und — auf Dauer — wieder der Zuspruch der Öffentlichkeit.

Den Aufsichtsratsvorsitz bei Bayern München gibt er sofort auf — sonst hätten die Aufsichtsräte von Telekom, Volkswagen oder Audi ihn wohl trotz aller Dankbarkeit für frühere Verdienste aus dem Amt gedrängt, oder er hätte dem von ihm so geliebten Verein durch eine weitere Dauerdiskussion mit peinlichen Indiskretionen geschadet.

Schadensbegrenzung in eigener Sache lautet auch sein Motiv, die Position als Bayern-Präsident abzugeben. Egal wie gut die Mannschaft sich in Champions League und Bundesliga geschlagen hätte, der zu 3,5 Jahren Haft verurteilte Präsident wäre öffentlicher Ballast gewesen. Und seit die bei 28,5 Millionen Euro liegende Höhe seiner Steuerhinterziehung herausgekommen ist, stand ja nicht einmal mehr fest, ob ihn die Mitglieder wirklich bei der angekündigten Abstimmung über den Verbleib im Amt triumphal bestätigt hätten.

So bleibt die spannende Frage, warum der Familienvater und Unternehmer Uli Hoeneß auf sein Recht verzichtet, das Urteil und damit die Haftstrafe anzufechten. Nach einem Jahr Warten auf den ersten Prozess hätte er erneut lange warten müssen bis zum Verfahren. Ein neuer Mediensturm war zu erwarten — wie sehr ihn das belastet, berichtete er bereits vor zehn Monaten in der "Zeit" nach der ersten Welle von Berichten über seine Straftat: "Es ist ein Wahnsinn, was da passiert. Ich versuche, so gut wie nichts zu lesen."

Als natürlich entscheidender Punkt muss dem Manager Hoeneß klar gewesen sein, dass er eine sehr niedrige Chance hatte, einer Haftstrafe durch die Revision zu entgehen. Schon im Gesetz steht, dass eine Selbstanzeige bei Steuerbetrug nur gilt, wenn sie "zu allen unverjährten Steuerstraftaten in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt".

Genau diese Kriterien hatte seine Selbstanzeige offensichtlich nicht erfüllt. Nachfragen des Finanzamtes hatte Hoeneß monatelang ignoriert — vielleicht ja in der Hoffnung, dass die Staatsanwaltschaft auf eine Anklage verzichtet, vielleicht dann in der Hoffnung, dass das Gericht die Anklage nicht zulässt. Hoch gepokert, am Ende verloren, das ist die Bilanz.

Was bedeutet das alles für den Menschen Uli Hoeneß? Besser einige Zeit ins Gefängnis und danach wenigstens noch ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft — so lässt sich seine Haltung relativ einfach erklären. Hart geht mit ihm der Psychiater Christian Kraus in dem Aufsatz "Die Gier nach Größe" um: Hoeneß sei eine extrem narzisstische Persönlichkeit— seine ganze Karriere als Fußballer und als Fußballmanager sei von einem starken Bedürfnis nach Anerkennung geprägt. "Nichts ist schlimmer für einen Narzissten wie ihn, als nicht mehr geliebt zu werden. Das ist eine Sucht." Darum erstaunt Kraus der Verzicht auf die Revision nicht: "Ein gutes Bild von sich selbst ist Hoeneß sehr wichtig — auch in seiner Eigenwahrnehmung. Da geht er lieber ins Gefängnis, als weiter am juristischen und öffentlichen Pranger zu stehen."

Dabei bestätigt der Verlauf des Verfahrens,wie wichtig Hoeneß sein Image ist. "Ich bin kein Sozialschmarotzer." Diese Selbstbeschreibung äusserte er in seinem Geständnis vor Gericht. Als er mit dem Finanzamt im Frühling 2013 über das Verfahren sprach, bedankte er sich laut Zeugenaussage zuerst für die diskrete Behandlung seines Falles. Und als er vor Gericht gefragt wurde, ob die Selbstanzeige nicht nur erfolgte, weil er sich wegen Journalistenrecherchen ertappt fühlte, versuchte er das abzustreiten — "Erzählen Sie keinen vom Pferd", fuhr ihn sein eigener Verteidiger vor Gericht an.

(RP)
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