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Bayer Leverkusen "Tschö, Español!" - für acht Mark beim Finale

Leverkusen · Alex Feuerherdt erlebt den Uefa-Pokalsieg von Bayer 04 1988 live im Stadion. Zum Jubiläum kramt er in seinen Erinnerungen.

 Für acht Mark live dabei - Fans von Bayern München und Borussia Dortmund dürften dieser Tage neidisch werden, wenn sie sehen, für wie kleines Geld man 1988 ein Europapokalfinale live erleben konnte.

Für acht Mark live dabei - Fans von Bayern München und Borussia Dortmund dürften dieser Tage neidisch werden, wenn sie sehen, für wie kleines Geld man 1988 ein Europapokalfinale live erleben konnte.

Foto: feuerherdt

In welchem Jahr Bayer 04 Leverkusen den Uefa-Cup gewann, werde ich wohl mein Leben lang nicht vergessen. Schon deshalb nicht, weil ich, als die beiden Endspiele anstanden, mitten in den Abiturprüfungen steckte. Ich gehörte einem ausgesprochen fußballbegeisterten Jahrgang an, und bei aller Büffelei für den Schulabschluss hielten es doch viele von uns mit dem früheren Dortmunder Nationalspieler Adi Preißler, der einmal gesagt hatte: "Grau ist alle Theorie — entscheidend ist auf'm Platz." Also besorgte ich für zwanzig Abiturienten aus dem Westerwald Stehplatzkarten für das Final-Rückspiel im Haberland-Stadion — zu heute kaum glaublichen acht Mark das Stück.

Und dann verlor Bayer das Hinspiel in Barcelona sang- und klanglos mit 0:3. Wir waren maßlos enttäuscht. Dennoch hat keiner sein Ticket zurückgegeben, alle sind mitgefahren. Sogar ein Transparent haben wir gemalt — "Tschö, Español!" stand darauf — und es am Zaun hinter dem Tor in der Südkurve befestigt. Genau auf dieses Tor wurden später die Elfmeter geschossen. Die Stimmung im Stadion vor dem Anpfiff war grandios, trotz des Hinspielergebnisses. Vielleicht war ja doch noch etwas möglich. Und fast schon beschwörend wurde immer wieder ein Lied durch die Lautsprecher genudelt: “Einer geht noch, einer geht noch rein„ — das kennt man ja, aber dann hat eine Schlagerkapelle in Anspielung auf das benötigte Ergebnis den Reim "Viere müssen's, viere müssen's sein" ergänzt. Viele, auch wir, haben lauthals mitgesungen — nicht zuletzt, um uns selbst Mut zu machen.

Doch zur Halbzeit stand es immer noch 0:0, und es gab nicht viel, was auf ein Fußballwunder hindeutete. Aber dann wurde Herbert Waas eingewechselt, und sofort war es ein anderes Spiel, weil die Abwehr von Español mit ihm überhaupt nicht zurechtkam. Nach knapp einer Stunde stocherte Tita den Ball nach einer Vorlage von eben diesem Waas und einem grotesken Abwehrfehler der Gäste endlich ins Tor. Tita, das war jener unglaubliche Brasilianer mit dem sensationellen Ballgefühl, der vor der Saison zu Bayer gekommen war und dann gleich eine Riesensaison spielte. Unbeherrscht konnte er allerdings auch sein, und genau deshalb holte Erich Ribbeck ihn wenige Minuten nach seinem Tor vom Feld. Ein Spanier hatte Tita kurz zuvor, vom Schiedsrichter unbeobachtet, ins Gesicht geschlagen, deshalb fürchtete sein Trainer ein Revanchefoul. Im Stadion verstand das aber niemand. Tita war das Herz und die Seele des Leverkusener Spiels — und jetzt sollte er schon Feierabend haben?

Für ihn kam Klaus Täuber, bei dem schon der Spitzname "Boxer" nahe legte, dass er nicht gerade zu den Filigransten zählt. Doch was machte dieser Täuber? Schlug nicht mal eine Minute nach seiner Einwechslung mit seinem ersten Ballkontakt eine Traumflanke von links auf Falko Götz, der den Ball per Hechtkopfball versenkte. Das Ulrich-Haberland-Stadion erbebte. Zwei zu null, 25 Minuten vor dem Ende — da ging noch was, da musste noch was gehen! Die Spieler von Español wurden plötzlich panisch. Die Abwehr wirkte schon die ganze Zeit unsicher, vor allem bei Flanken, und bettelte regelrecht um ein weiteres Gegentor. Zehn Minuten vor dem Ende der regulären Spielzeit tat ihnen Bum-kun Cha dann den Gefallen, wieder war es ein Kopfball, diesmal nach einer Hereingabe von rechts. Das vermeintlich unaufholbare Resultat aus dem Hinspiel war damit egalisiert.

Vor dem Elfmeterschießen strömten plötzlich etliche Menschen auf den Platz, in erster Linie Reporter und Kameraleute, aber auch die Rollstuhlfahrer am Spielfeldrand, die fürchteten, dass ihnen die Sicht versperrt würde. Es war ein hektisches Gewusel, ein unübersichtliches Durcheinander. Die Spanier litten erkennbar mehr unter diesem Chaos, und den Rest gab ihnen Torwart Rüdiger Vollborn, der vor jedem Schuss wild mit den Armen ruderte, um den jeweiligen Schützen zu verunsichern. Mit Erfolg — unerwartetem und daher kaum zu fassendem Erfolg. In der Südkurve lagen sich zwanzig aufgeregte Schüler aus dem Westerwald glücklich in den Armen. "Tschö, Español!", skandierten wir wieder und wieder. Abitur? Morgen wieder! Heute zählte nur der Uefa-Cup.

Der Autor (im Bild) ist Lektor, freier Publizist und Verfasser von "Bayer 04 Leverkusen — Die Fußball-Chronik".

(RP/ac)
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