Brasilianisches Toptalent Paulinho - Bayers neues Sturmjuwel

Leverkusen · Mit der Verpflichtung des 17-jährigen Toptalents aus Brasilien ist der Werkself ein Coup gelungen. Es habe sehr viele Interessenten aus Europa gegeben, ist aus dem Umfeld des Angreifers zu hören - doch Leverkusen hatte das beste Konzept.

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Familie Sampaio hat eine große Leidenschaft für den Fußball. Das ist in Brasilien zwar keine Ausnahme, aber in diesem Fall wirkte sich die Begeisterung für den Sport gar auf die Namensgebung des Nachwuchses aus. Der älteste Sohn ist nach Romário benannt und dessen jüngerer Bruder ist Fan des brasilianischen Weltmeisters und Weltfußballers. Sein Name: Paulo Sampaio, genannt Paulinho, der im Sommer für 18,5 Millionen Euro zu Bayer Leverkusen in die Bundesliga wechselt.

Seine Profilaufbahn hat er bei Vasco da Gama, einem der großen Traditionsvereine Rio de Janeiros eingeschlagen. Nun steht fest, dass er, der am liebsten Chancen für andere kreiert, sie von diesem Juli an, wenn er seinen 18. Geburtstag feiert, in Leverkusen weiterführen wird. Den Traum, in Europa zu spielen, hat er schon lange.

Mit beinahe germanischer Ernsthaftigkeit hat Paulinho dabei die Fragen der Journalisten im "São Januário", Vasco da Gamas Stadion, beantwortet. In seinem Umfeld legte man es dem 17-Jährigen als Zeichen von Reife aus, dass er in der Pressekonferenz an der Seite von Klubpräsident Alexandre Campello sagte: "Der Abschied von Vasco ist meine Entscheidung gewesen."

Paulinho war dabei sichtlich bewegt, was verständlich ist. Emotionslosigkeit wäre merkwürdig gewesen, schließlich spielt er seit 2010 für Vasco: "Ich hatte nicht allzu viel Ahnung, was es bedeutete, Spieler zu sein. Ich bin das etappenweise angegangen und es war ein Vergnügen für mich. Der Klub hat mir sehr geholfen. Er war mein zweites Zuhause." Der Wechsel nach Leverkusen, sagt jemand aus seinem Umfeld, sei "ein großer Schritt für einen Jungen".

Dass an der Eigenständigkeit dieses Schritts trotz der Tatsache, dass Paulinho erst 17 und damit noch nicht volljährig ist, überhaupt Zweifel aufkamen, hat damit zu tun, dass Vasco da Gama sich nach einer konfusen Präsidentenwahl in einer turbulenten politischen Situation befindet und wie viele andere brasilianische oder auch südeuropäische Klubs finanziell klamm ist. Die kolportierten 18,5 Millionen Euro aus dem Transfer - der teuerste in der Geschichte des Vereins und der zweitteuerste nach Vinicius Jr. von Stadtrivale Flamengo in der Geschichte des Fußballs am Zuckerhut - kann der Verein gut gebrauchen. Die Schulden scheinen so verzweigt zu sein, dass sich selbst gut informierte brasilianische Medien schwer taten, den Überblick zu bewahren. Aber die Rechnung ergab, dass Vasco da Gama mindestens 85 Millionen Reais Schulden hat, davon zehn Millionen bei Paulinhos Agenten. Die Ablösesumme für den 17-Jährigen beträgt umgerechnet knapp 80 Millionen Reais.

Außer über Bayer Leverkusens hervorragende Struktur und kluge Vorgehensweise in Brasilien und Südamerika, die eine lange Tradition hat, bis in die Zeit von Reiner Calmund und Heinz Prellwitz, erzählt dieser Wechsel auch viel über das chronische Problem des brasilianischen Fußballs, der regelmäßig seine besten Talente abgibt, um seine Kasse in Ordnung zu bringen.

"Der Klub braucht diesen finanziellen Teil", sagte Paulinho, der seinem zweiten Zuhause zum Abschied so auch noch helfen kann. "Aber es war auch gut für mich. Ich hatte diese Lust, in Europa zu spielen. Und ich werde versuchen, mich weiterzuentwickeln und dorthin zu kommen, wo ich hinkommen will."

Mehr als 1000 Spieler verkaufen brasilianische Klubs jedes Jahr an ausländische Vereine. Einigen Talenten wie etwa Gabigol, der schon als "neuer Neymar" bezeichnet worden war, ist es in Europa in den vergangenen Jahren nicht unbedingt gut ergangen.

Viele junge Brasilianer, die es in Deutschland geschafft haben - zum Beispiel Jorginho, Paulo Sergio oder Zé Roberto - sind nach Leverkusen gewechselt. So soll es auch bei Paulinho sein. Bayer ist in Brasilien als Klub bekannt, der eine gute Struktur hat, um Brasilianer aufzunehmen und weiterzuentwickeln. Leverkusen hat Paulinho schon seit vergangenem Jahr, bei der südamerikanischen U 17-Meisterschaft, die Brasilien gewann, und bei der U 17-Weltmeisterschaft, wo er das Siegtor im Halbfinale gegen Deutschland erzielte, beobachtet und begleitet. "Das ist eine sehr durchdachte Sache gewesen. Leverkusen ist mit viel Umsicht vorgegangen", heißt es aus Paulinhos Umfeld.

Ganz im Gegensatz zu dem Fall Vinicius Jr., einem vergleichbaren Toptalent, bei dem Real Madrid aus Angst, nach Neymar, der als Jugendlicher bei den "Königlichen" vorgespielt hatte, auch den nächsten Megastar zu verpassen, schlagartig ein Vermögen investierte, das junge Talent dann aber eher vernachlässigte.

Barcelona ist einer von zwölf Kandidaten gewesen, die Interesse an einer Verpflichtung von Paulinho bekundeten. Aber: "Wenn er dorthin ginge, würde er nicht spielen." Es sei nicht darum gegangen, zu dem größten Klub zu wechseln oder das meiste Geld zu verdienen, sondern das beste Projekt zu finden. Und das hat Paulinho und seinem Umfeld offensichtlich Bayer Leverkusen geboten. "Das Projekt war sehr wichtig, wegen allem, was man mir für die Entwicklung meiner Karriere präsentiert hat. Wir haben uns sehr viel unterhalten." Umgekehrt habe es Bayer gefallen, dass Paulinho ein kompletter Spieler ist, mit Spielübersicht und klugem taktischen Verhalten, ein "Trabalhador" (Arbeiter), der für die Mannschaft ackert.

Das mag in Brasilien nicht so anerkannt sein, wie ein aufregender Trick. Aber zur Bundesliga passe Paulinho mit dieser Eigenschaft gut, wie der ehemalige Leverkusener Jorginho sagt, der 2015 und 2016 Trainer von Vasco da Gama war. Er nennt noch eine weitere Eigenschaft, die von Bedeutung zu sein scheint: "Er hat einen guten Kopf und das ist sehr wichtig für den deutschen Fußball. Ich denke, er wird in der Bundesliga erfolgreich sein." Es wäre die Fortsetzung von Paulinhos bisheriger etappenweiser Arbeit: "Als ich in die U 17 gekommen bin, habe ich mir in den Kopf gesetzt, dass ich noch früh zu den Profis kommen wollte. 2018 war mein Ziel, auf die höchste Stufe bei den Profis zu kommen."

Unabhängig von der sportlichen Entwicklung hat mancher Fußballstar aus Rio de Janeiro auch schon gesagt, wie schwierig es für ihn gewesen sei, den Tunnel zu durchqueren, der die Nordzone Rios, aus der auch Paulinho kommt, vom "Postkarten-Rio" im Süden trennt (oder sie mit ihr verbindet). Wie schwer es dann sein mag, den Ozean zu überqueren und in einer anderen Kultur mit einer anderen Sprache anzukommen, wo der Winter verdammt kalt ist?

Aber es scheint, als ob Paulinho auf den großen Schritt vorbereitet ist - und wird. "Englisch ist eine universelle Sprache", sagte er als Gast einer TV-Sendung. So nehmen Paulinho und andere Familienmitglieder bereits seit einer Weile Privatunterricht, um für eventuelle globale Herausforderungen, die sich anbahnten, bereit zu sein. Ein Vertreter von Bayer 04 soll sich schon in Brasilien aufhalten, um sie mit dem Alltag und Wohnmöglichkeiten in Deutschland vertraut zu machen.

Mit Deutschstunden hätten sie, so ist aus Paulinhos Umfeld zu hören, nur aus Angst noch nicht angefangen, dass der Wechsel vorzeitig bekannt werden könnte. Nachdem dieser nun offiziell sei, werde aber bereits Deutsch gepaukt. Die Bundesliga kann also kommen.

(RP)
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