Bayer Leverkusen "Man muss sich manchmal belügen"

Bayer Leverkusen · Herr Reinartz, wie lange haben Sie dem 3:3 gegen Berlin gedanklich noch nachgehangen?

Bundesliga 11/12: Leverkusen - Hertha
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Herr Reinartz, wie lange haben Sie dem 3:3 gegen Berlin gedanklich noch nachgehangen?

Stefan Reinartz Den Sonntag auf jeden Fall, weil man da noch mal die Spiele des Wochenendes im Fernsehen sieht. Und da macht es natürlich deutlich mehr Spaß, wenn man gewonnen hat. Aber dann muss es auch irgendwann abgehakt sein.

Hat Sie mehr aufgeregt, dass die Mannschaft einen sicheren Sieg verspielt hat oder dass sie Ihre 5. Gelbe Karte gesehen haben und deswegen heute in Hoffenheim fehlen?

Reinartz Das mit der Gelben Karte passiert halt. Das ist blöd und schade für mich, aber ärgerlicher war ganz klar, dass wir das Spiel nicht gewonnen haben. Gerade, weil es ein sehr wichtiges Spiel war.

Das Champions-League-Spiel gegen Valencia aus dem Oktober, in dem sie ausgepfiffen und zur Halbzeit ausgewechselt wurden, hat Sie wahrscheinlich länger beschäftigt.

Reinartz Das stimmt. Weil man in so einer Situation ja schon mehr hinterfragt als nur das Gekicke auf dem Platz. Das hat mir schon einen Knacks gegeben, der auch ein paar Wochen angedauert hat. Danach habe ich in der Hinrunde ja auch nicht mehr in der Startelf gestanden.

Wie hat es sich angefühlt, wenn sich der Fokus in einem Spiel plötzlich nur auf einen alleine verengt?

Reinartz Ich will ja auch nicht im Mittelpunkt stehen, wenn es gut läuft. Insofern ist es doppelt bitter, wenn man gerade dann in den Fokus gerät, wenn es für einen schlecht läuft. Was mich an der ganzen Sache gestört hat, war nicht die Kritik an meiner Leistung. Ich hatte ja auch wirklich einen rabenschwarzen Tag erwischt. Was mich gestört hat, war, dass die Kritik ins Persönliche ging. Und das ging mir zu weit.

Ist das ein Trend, dass Kritik den Bereich der sportlichen Leistung überschreitet?

Reinartz Man muss lernen, damit umzugehen und es nicht zu sehr an sich heranzulassen. Aber es artet manchmal schon aus. Wenn Fans Spielern zu Hause auflauern, dann geht das ganz klar in die Privatsphäre. Und das ist ein Schritt, der mir deutlich zu weit geht.

Haben Sie damals gedacht, Sie seien im falschen Film, weil der Verein Sie als Innenverteidiger der Zukunft pries, Sie aber lieber im defensiven Mittelfeld spielen wollten?

Reinartz Nein. Ich habe vor ein, zwei Jahren mal gesagt, dass es mir auf der Sechser-Position mehr Spaß macht, dass ich aber glaube, dass ich als Innenverteidiger mehr Potenzial besitze. Heute glaube ich das nicht mehr. Robin Dutt hat mir im Sommer gesagt, dass er mir beide Positionen zutraut, dass der Kader es aber eher hergibt, dass ich als Innenverteidiger spiele. Das konnte ich nachvollziehen.

Trotzdem waren Sie nicht unglücklich, dass Robin Dutt mit Ihnen nach der Winterpause als Sechser plante.

Reinartz Nein. Das fand ich sehr motivierend.

Ist der Wechsel von Robin Dutt hin zu Sami Hyypiä und Sascha Lewandowski nach nur fünf Punkten aus drei Spielen schon wieder verpufft?

Reinartz Nein. Die Dinge schießen ja nicht direkt in den Himmel. Von der Ordnung her haben wir bis auf die letzte halbe Stunde gegen Hertha auf jeden Fall ordentlich gespielt. Spielerisch haben wir aber noch Luft nach oben.

Wie muss ein Trainer gestrickt sein, der bei Bayer Leverkusen erfolgreich arbeiten kann?

Reinartz Wir brauchen einen Trainer, der durchgreift. Der auf der einen Seite sehr nah dran ist an der Mannschaft, der aber auf der anderen Seite auch knallhart Disziplin durchpeitscht. Das ist Jupp Heynckes sehr gut gelungen. Man hat das bei ihm, glaube ich, in der Öffentlichkeit nie so gesehen. Aber er konnte intern auch anders.

Wie steht es mit der Selbstkritik der Spieler?

Reinartz Jeder Spieler weiß, dass wir unser Potenzial in dieser Saison zu selten abgerufen haben. Aber natürlich gibt es viele Sachen, die schlecht gelaufen sind. Obendrauf gibt es Entschuldigungen und Alibis, die man sich gerne zur Hand nimmt. Wir hatten viele Alibis zur Hand in dieser Saison.

Warum funktionieren diese Alibis so gut?

Reinartz Es ist Selbstschutz. Als Sportler muss man sich manchmal selbst belügen, damit man das nächste Spiel wieder positiv angehen kann. Wenn man immer wieder auf sich selbst draufhaut, fördert es nicht gerade das Selbstvertrauen und damit die Leistung. Allerdings ist es ein schmaler Grat, trotz dieser Selbstlüge weiterhin selbstkritisch in der Sache zu sein. Letztlich ist es die Frage, ob man sich irgendwann so gut belügt, dass man es wirklich glaubt und trotzdem selbstkritisch genug ist, um Dinge zu verändern.

Ist Besserung in Sicht?

Reinartz Wir müssen viele Dinge besser ausblenden. Jeder für sich muss sich wieder mehr auf seine Leistung konzentrieren, wieder besser im Training arbeiten. Denn dafür werden wir ja bezahlt. Und nicht, um uns von Stimmungen rund um den Verein beeinflussen zu lassen.

Schafft Bayer die Qualifikation zur Europa League?

Reinartz Ja. Ich glaube, dass das entscheidende Spiel das gegen Hannover sein wird.

Und in der nächsten Saison werden in Leverkusen dann bescheidenere Ziele formuliert?

Reinartz Ich glaube, dass man sich im vergangenen Sommer von der guten Vorsaison hat blenden lassen. Es war mutig, so hohe Saisonziele zu formulieren. Für die nächste Saison wäre es aber vielleicht besser, die ein bisschen zu relativieren.

Stefan Klüttermann führte das Gespräch.

(RP)
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