Bayer Leverkusen Holzhäuser: "Man muss im Fußball eine Rolle spielen"

Leverkusen · Der frühere Geschäftsführer von Bayer 04 spricht über Nächte ohne Stress-Symptome, Weinberg-Offerten per E-Mail, wehmütige Gedanken an Abende im Teamhotel, ein mögliches Buch-Projekt und das Showgeschäft Profifußball.

"Es hat mich geärgert, wenn jemand gesagt hat: Der hat von Fußball keine Ahnung, der ist Theoretiker. Dabei verstehe ich von Fußball wahrscheinlich mehr als viele andere", sagt Wolfgang Holzhäuser beim RP-Interview im Bayer-Kasino.

Foto: Uwe Miserius

Herr Holzhäuser, bei Ihrem Abschied Ende September haben Sie gesagt, künftig müssten sich die Bayer 04-Termine nach Ihrem privaten Terminkalender richten. Klappt das?

Wolfgang Holzhäuser Bisher ja. Ich habe auch schon das ein oder andere Spiel versäumt. Aber ich sage immer gerne: Ob ich im Stadion bin oder nicht, die Mannschaft wird auch so gewinnen oder verlieren — zur Zeit gewinnt sie Gott sei Dank häufig.

Wie steht es um Ihre Leidenschaft Wein?

Holzhäuser Die ist unverändert hoch (lacht). Ich habe gerade erst zwei Tage lang meinen Rotwein neu sortiert, erst nach Gebiet und dann nach Jahrgang. Das war alles im Laufe der letzten Jahre etwas durcheinandergeraten. Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass es zwei Dinge gibt, die ich in diesem Leben wahrscheinlich nicht mehr alleine wegschaffen kann. Das sind der Rotwein und meine Bücher, die ich noch nicht gelesen habe.

Und der Traum vom eigenen Weinlokal, nimmt der Gestalt an?

Holzhäuser Es ist schon lustig, wie sich eine Geschichte hält, die man einmal erzählt hat. Aber in der Tat habe ich vor kurzem gleich zweimal per E-Mail einen Weinberg angeboten bekommen, einmal aus dem Markgräfler Land und einmal aus Italien. Aber im Ernst: Was mir als Hobby gefallen würde, wäre eine Lokalität, in der ich sitze, Rotwein trinke, und ab und zu kommt jemand vorbei und hört mit mir Jazz. Es dürfte aber auf keinen Fall in Stress ausarten. Meine Frau sagt schon immer: Wenn Du eine Weinkiste hebst, rufe ich vorher den Orthopäden an.

Was vermissen Sie am meisten am Fußball-Alltag?

Holzhäuser Die direkte Nähe zur Mannschaft, zum Funktionsteam, die fehlt mir doch sehr. Freitagsabends zusammenzusitzen, das war ja fast schon ein Ritual vor einem Spiel. Rudi [Sportdirektor Rudi Völler, Anm. d. Red.] und ich waren meistens die ersten, dann kamen die Zeugwarte, dann zum Schluss meist die Masseure und die Ärzte. Da wurden dann ein, zwei Weizenbier oder auch Rotwein getrunken und über Fußball fabuliert. Und natürlich fehlt mir auch mein direktes Umfeld aus meinem alten Büro.

Wollen Sie sagen, Sie waren etwa auch vor Heimspielen im Mannschaftshotel?

Holzhäuser Ja, früher fast immer, in letzter Zeit nicht mehr ganz so häufig. Man kann viele Dinge besser einschätzen, wenn man einfach nur dasitzt und mitkriegt, wie das alles so abläuft.

Zum Beispiel den Druck, der sich um ein Spiel aufbaut?

Holzhäuser Ich sage mal so, dieser unmittelbare Druck nach einem Spiel, das schiefgegangen ist, den fand ich immer schlimm. Den spüre ich jetzt auch nicht mehr so. Ich kann mir mittlerweile auch ein Spiel im Fernsehen angucken, was mir in all den Jahren immer sehr schwer gefallen ist.

Der Druck nach einer Niederlage ist eine Sache. Aber wie haben Sie den Druck empfunden, der auf Ihnen als Geschäftsführer lastete. Sie wären es ja schließlich gewesen, der für Ausschreitungen oder Unfälle in der BayArena hätte haften müssen.

Holzhäuser Als ich dieser Tage etwas über den Prozess zum Loveparade-Unglück von Duisburg gelesen habe, da ging mir wieder mal durch den Kopf, auf welch schmalem Grat man als Verantwortlicher von Versammlungen doch wandelt. Das geht alles zu schnell, da können sie gar nicht alles im Griff haben. Da fragt man sich: Hast Du wirklich auch alles bedacht? Das machte mir zuletzt schon zunehmend zu schaffen. Man wacht auf, schläft nicht mehr ein, denkt: Mein Gott, das wird ja immer schlimmer. Dieser Druck ist nun komplett weg. Das genieße ich. Ich schlafe jetzt auch wieder sehr gut — und vor allem solange, bis mich die Natur weckt, nicht der Wecker.

Aber ganz loslassen wird Sie der Fußball nie, oder?

Holzhäuser Nein, es gibt immer wieder Themen, die mich besonders interessieren. Ich bin sozialisiert worden durch den Fußball. Ich war jetzt über 40 Jahre in dem Geschäft dabei. Das prägt. Wer das abschüttelt, der liegt verkehrt.

Wer das nicht abschüttelt, könnte ein Buch darüber schreiben ...

Holzhäuser Das wäre für mich in der Tat eine Vorstellung. Wobei ich immer die Meinung vertreten habe: Wenn man ein Buch über sein Leben im Fußballgeschäft schreibt und das schreibt, was die Leute lesen wollen, nämlich die Geschichten hinter den Kulissen, dann gibt es viel böses Blut. Wenn man diese Geschichten allerdings auslässt, wird das Buch ein Flop. Wenn Toni Schumacher in seinem Buch "Anpfiff" nicht über Doping geschrieben hätte, hätte es doch kein Mensch gekauft. Also muss man sich das Ganze gut überlegen, und das mache ich derzeit.

Sind Sie nach 40 Jahren im Fußballgeschäft mit sich im Reinen?

Holzhäuser Ich glaube nicht, dass jemand, der so lange und teilweise auch an exponierter Stelle tätig war, nicht irgendwelche Themen hat, die liegengeblieben wären oder die man aus heutiger Sicht anders machen würde. Da würde ich schon mit dem einen oder anderen gerne noch mal drüber diskutieren und ein paar Dinge ausräumen. Im Übrigen: Mit sich im Reinen zu sein, das geht für ein, zwei Dinge, aber nicht für ein ganzes Leben.

Schon gar nicht für einen Querdenker wie Sie. Hand aufs Herz: Haben Sie diesen Querdenker eigentlich in jeder Situation aus Überzeugung gegeben oder nur, weil die Medien diese Rolle verlangt haben?

Holzhäuser Ich gebe offen zu, die letzten Jahre habe ich dieses Image des Querdenkers gepflegt, auch um dieses Profil in der Öffentlichkeit zu verstetigen. Ich war aber schon von klein auf einer, der immer hinterfragt hat, ob das, was die Mehrheit sagt, die richtige Meinung sein muss. Das ist mein Grunddenken geblieben.

Wer anders denkt, kalkuliert Gegenwind, Kritik und Häme ein.

Holzhäuser Man kriegt mit der Zeit ein dickes Fell. Was mich gestört hat, war der Vorwurf, ich würde ja nur querdenken, weil ich ein Querdenker sein will. Das stimmt nicht. Es ging und geht mir immer um einen anderen Blickwinkel auf ein Thema.

Konnten Sie Kritik an Ihrer Person gut ausblenden?

Holzhäuser Nicht immer. Es hat mich geärgert, wenn jemand gesagt hat: Der hat von Fußball keine Ahnung, der ist Theoretiker. Dabei verstehe ich von Fußball wahrscheinlich mehr als viele andere.

Kann man im Fußball-Zirkus eigentlich authentisch bleiben?

Holzhäuser Man muss zuweilen auch eine Rolle spielen. Leider. Und wenn dann der ein oder andere plötzlich mal etwas sagt, weil er die Nerven verloren hat, was er normalerweise in der Öffentlichkeit nicht sagen würde, das nennt man dann authentisch. Das bedeutet für mich aber, dass er sonst anders ist. Und das ist seine Rolle.

Geht einem diese Rolle leicht von der Hand?

Holzhäuser Nein. Mir ging das nie leicht von der Hand. Ich habe mich deswegen auch im Zweifelsfall schon immer lieber dünn gemacht als verstellt.

STEFAN KLÜTTERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)