Bayer Leverkusen Die Außenbahn als Überholspur

Orlando · Vor einem Jahr wurde der einstige Mittelfeldspieler Benjamin Henrichs in Orlando von Roger Schmidt zum Außenverteidiger umgeschult. Nun ist der 19-Jährige Nationalspieler - und eines der größten Abwehrtalente der Bundesliga.

 Benjamin Henrichs (rechts) ist mit 19 Jahren bereits ein Vorbild für andere Talente im Kader, die den Sprung schaffen wollen - so wie Lukas Boeder.

Benjamin Henrichs (rechts) ist mit 19 Jahren bereits ein Vorbild für andere Talente im Kader, die den Sprung schaffen wollen - so wie Lukas Boeder.

Foto: bayer 04

Ein wenig müde wirkt Benjamin Henrichs schon, als er sich in den Stuhl in der Lobby des "Omni Resort"-Hotels fallen lässt. Anderthalb Stunden hartes Training stecken dem Shootingstar am frühen Mittag bereits in den Knochen. Doch jammern gilt auch am vierten Tag des Trainingslagers im sonnigen Südosten der USA nicht: "Ich habe es mir ja so ausgesucht", sagt Henrichs und lacht.

2016 war für den 19-Jährigen ein Jahr, von dem wohl jedes Fußballtalent hofft, es erleben zu dürfen. Binnen weniger Monate entwickelte sich der Youngster vom A-Jugendlichen zum Bundesliga-Stammspieler, debütierte in der Champions League und dann in der Nationalmannschaft. Jetzt ist Henrichs wieder dort, wo der rasante Aufstieg vor zwölf Monaten begann: im Trainingslager in Orlando.

Rund ein Jahr ist es her, als ihn Roger Schmidt am selben Ort mit der Idee konfrontierte, ihn als Außenverteidiger testen zu wollen. Die Wahrscheinlichkeit, sich auf dieser Position durchzusetzen, sei größer als in der Offensive, machte ihm der Trainer den Positionswechsel damals schmackhaft. Begeistert war Henrichs zunächst nicht. "Als Mittelfeldspieler hört man es zunächst nicht so gern, dass man zum Verteidiger umgeschult wird. Man will schließlich Tore schießen", sagt er. "Aber man muss auch ehrlich sein: Ich habe nicht mehr so oft getroffen - auch im Training nicht."

Also ließ sich der Sohn eines Deutschen und einer ghanaischen Mutter auf den Deal ein - und könnte mit der Entscheidung kaum glücklicher sein. Seit Ende vergangener Saison ist Henrichs eine feste Größe der Werkself und verpasste seitdem kaum ein Spiel. Nicht nur in Partien wie dem 1:0-Sieg in London gegen Tottenham oder im Heimspiel gegen Borussia Dortmund (2:0) bewies er, dass keine Aufgabe für ihn zu groß zu sein scheint. Erfahreneren Spielern wie Roberto Hilbert und Talenten wie Tin Jedvaj oder Danny da Costa hat er vorerst den Rang abgelaufen.

Eine Rückkehr ins Mittelfeld peilt der technisch versierte und mit einem großen Offensivdrang ausgestattete Henrichs gar nicht erst an. "Das ist mir momentan nicht wichtig. Ich bin Nationalspieler geworden als Außenverteidiger. Da denke ich nicht darüber nach, wieder ins Mittelfeld auf die Sechs oder Zehn zu kommen." Roger Schmidt beschreibt die Entwicklung seines Schützlings selbstredend als "sehr erfreulich". Jahrelang sei Henrichs gesagt worden, dass er eines der größten Talente im Verein sei. "Das ist für den Jungen keine leichte Situation. Dass er das jetzt geschafft hat, hat er sich erarbeitet."

Obwohl der 1,83 Meter große Verteidiger bereits seit der F-Jugend in Leverkusen spielt, sieht er sich noch nicht als Identifikationsfigur des Vereins. "Ich bin seit 13 Jahren bei Bayer, aber in dieser Spielzeit zum ersten Mal offiziell bei den Profis. Die Fans kennen mich ja erst seit Ende der letzten Saison." Ob er denn mal eine Bayer-Ikone werden möchte? "Im Fußball weiß man nie, was passiert. Man ist offen für alles. Ich habe Vertrag bis 2020. Wichtig ist die aktuelle Situation und nicht, wie es vielleicht in ein paar Jahren sein wird."

Einen Makel gibt es dann aber doch in der Statistik von Henrichs: Für ein Tor bei den Profis hat es bislang in keinem Wettbewerb gereicht. Wann trifft Henrichs endlich? "Am besten direkt gegen Hertha oder in einem der nächsten Spiele", sagt der 19-Jährige Senkrechtstarter der Werkself. Es klingt fast wie ein Versprechen.

(sb)
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