Interview mit Aufstiegsheld Jürgen Gelsdorf „Mehr Tradition als Bayer 04 geht nicht“

Jürgen Gelsdorf war der Teil der Bayer 04-Mannschaft, die 1979 in die Bundesliga aufgestiegen ist. Im Interview spricht er über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Werkself.

 Dieter Herzog und Jürgen Gelsdorf (r.) sind 1979 mit Bayer 04 in die Bundesliga aufgestiegen.

Dieter Herzog und Jürgen Gelsdorf (r.) sind 1979 mit Bayer 04 in die Bundesliga aufgestiegen.

Foto: IMAGO

Herr Gelsdorf, können Sie sich noch an den Moment erinnern, als feststand, dass der Leverkusen in die Bundesliga aufsteigt?

Jürgen Gelsdorf Natürlich. Die gesamte Saison hatten wir auf diesen Moment hingearbeitet. Als wir es dann geschafft hatten, waren wir unglaublich stolz auf das Geleistete. Da wir in der Saison zuvor bis wenige Spieltage vor Schluss um den Klassenerhalt in der 2. Liga gekämpft hatten, kam der Aufstieg in die Bundesliga für uns alle überraschend.

Was waren die ausschlaggebenden Faktoren für den Erfolg?

Gelsdorf Wir hatten schon in den Jahren zuvor eine gute Mannschaft und uns im Sommer vor der Aufstiegssaison noch einmal mit Peter Szech aus Neuss, Klaus Schulze von Preußen Berlin und Willi Korth von Schwarz-Weiß Essen verstärkt. Wir haben durch die Siege im Endspurt der Saison 1977/78 ein großes Selbstvertrauen entwickelt und waren als Mannschaft gewachsen.

Welche Rolle hat dabei Trainer Willibert Kremer gespielt?

Gelsdorf Er hatte ein sehr gutes Händchen für uns als Spieler und war nie ein Außenstehender. Damals gab es noch keinen großen Trainerstab wie heute. Wir haben Willibert immer als Teil der Mannschaft verstanden und auch für ihn gespielt. Er ist nach außen immer ruhig geblieben, auch wenn es in ihm manchmal gebrodelt haben muss. Als Team haben wir uns auch in den schwierigen Phasen in den Jahren zuvor immer für ihn ausgesprochen, da er einer von uns war.

Sie waren Abwehrspieler, haben im Aufstiegsjahr aber acht Treffer beigetragen. Zufall?

Gelsdorf Ich denke, dass jeder Einzelne in dieser Saison über sich hinausgewachsen ist. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals davor oder danach wieder so viele Treffer in einem Jahr geschossen habe.

Hätten Sie damals erwartet, dass Bayer 04 sich zu einem festen Bestandteil der Bundesliga entwickeln würde, einem Klub, der den Uefa-Cup gewinnt und in das Champions-League-Finale einzieht?

Gelsdorf Damit konnte niemand rechnen. Sicher stünde der Verein ohne die Unterstützung der Bayer AG nicht da, wo er heute ist, doch muss man auch festhalten, dass die Verantwortlichen in Leverkusen in den vergangenen 40 Jahren einfach viele gute und richtige Entscheidungen getroffen haben. Die Werkself hat alle wichtigen Finalspiele im internationalen Fußball erreicht, ist nie abgestiegen und zudem Stammgast auf europäischer Bühne.

Das Profigeschäft hat in den vergangenen 40 Jahren eine rasante Entwicklung genommen – sowohl sportlich als auch finanziell. Ist der Fußball von damals noch mit dem heutigen vergleichbar?

Gelsdorf Björn Borg hat in den 70er Jahren Wimbledon mit einem Holzschläger gewonnen. Damit hätte er heute sicher keine Chance mehr, doch er wäre auch im Hier und Jetzt ein außergewöhnliches Tennis-Talent und in der Weltspitze dabei. Was ich damit sagen will: Sicher ist der Fußball schneller und dynamischer geworden, wozu auch die Leistungszentren für den Nachwuchs beigetragen haben. Aber ein Talent von damals wäre auch heute noch ein Talent.

Welche Spieler haben Sie besonders gerne mit dem Kreuz auf der Brust gesehen?

Gelsdorf Einen einzelnen herauszupicken, das geht nicht. Ich habe noch selbst gegen Rudi Völler gespielt, Stefan Kießling und Ulf Kirsten waren ebenfalls unglaubliche Charaktere und Fußballer. Mit Dieter Herzog, Weltmeister 1974, habe ich zudem in einem Team spielen dürfen. Als Fan von Bayer 04 kann man schon stolz sein, so viele Ausnahmekönner gesehen zu haben.

Mal abgesehen von den Millionengehältern: Würden Sie auch heute noch gerne Fußballprofi sein?

Gelsdorf Ich weiß nicht, ob mich die tollen Rasenplätze und ausverkauften Stadien überzeugen könnten. Früher hatten wir Spieler viel mehr Freiraum als die Profis heute. Auch wenn die Bundesliga sicher Bauchkribbeln verursacht, wüsste ich nicht, ob ich tauschen würde.

Bayer 04 Leverkusen wird oft vorgeworfen, keine Tradition zu haben. Was entgegnen Sie?

Gelsdorf Das kann jeder halten, wie er will. Aber wer Bayer 04 noch immer Tradition abspricht, dem muss ich sagen, dass er vom Fußball keine Ahnung hat. Die Fans haben es auf ihren Transparenten schon oft verdeutlicht: „Turn- und Spielverein der Farbenfabriken vorm. Friedrich Bayer & Co. in Leverkusen seit 1904“. Mehr Tradition geht nicht.

Was wünschen Sie sich für die nächsten 40 Jahre bei Bayer 04?

Gelsdorf Ich wünsche dem Verein möglichst viele angenehme Fan-Erlebnisse und dass er weiter hält, was der Slogan „Die andere Familie“ verspricht. Fußballerisch darf die Mannschaft gerne an das 6:1 gegen Frankfurt anknüpfen und natürlich hoffe ich auch, dass ein Leverkusener Team irgendwann mal wieder eine Trophäe in die Höhe stemmen kann.

Am Samstag spielt die Werkself gegen den FC Schalke. Was erwarten Sie für ein Spiel und wie lautet Ihr Tipp?

Gelsdorf Huub Stevens wird die Saison sicher nicht locker ausklingen lassen wollen, daher erwarte ich ein schwieriges Spiel. Schalke ist nicht ohne Grund vergangene Saison Vizemeister geworden und durch den Klassenerhalt ist jetzt jede Menge Ballast von ihnen abgefallen. Ich tippe grundsätzlich nicht, hoffe aber auf ein 2:1.

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