Bayer Leverkusen "Der Weg vom Helden zum Versager ist nicht weit"

Leverkusen · Bayers Mittelfeldspieler Hakan Calhanoglu spricht über die Lust auf Erfolg, falsches Helden-Denken, Verantwortung auf dem Feld und seinen Elfmeter gegen Madrid, der ihn bis heute verfolgt.

Das ist Hakan Calhanoglu
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Foto: afp, pst/dg

Herr Calhanoglu, lassen Sie uns über Helden im Fußball sprechen.

Calhanoglu (schmunzelt) Kein einfaches Thema.

Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie den Begriff hören?

Calhanoglu Mir wird im Zusammenhang mit guten sportlichen Leistungen ein bisschen zu schnell von Helden gesprochen. Das gilt übrigens auch im negativen Sinn. Der Weg vom Helden zum Versager ist inzwischen nicht mehr weit. Die Sichtweise einiger Leute ändert sich manchmal binnen eines Spiels.

Ich frage natürlich nicht ohne Grund. Sie selbst haben bei Bayer 04 erlebt, wie schnell das gehen kann.

Calhanoglu Dieses Elfmeterschießen in Madrid wird mich und die Mannschaft wohl noch so lange verfolgen, bis wir selbst mal ein Elfmeterschießen in einem so wichtigen Spiel gewonnen haben. Das war so ein Moment: Gewinnen wir, sind wir alle Helden. Es weiß jeder, wie es ausging. Ich war einer derjenigen, die verschossen haben. Für einige Leute waren wir danach Versager und Hasenfüße.

Lassen Sie diese Kritik an sich ran?

Calhanoglu Wenn sie so ausfällt, wie nach dem Atlético-Spiel, auf jeden Fall. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Und auch die nächsten Tage waren sehr schwer für mich, weil ich mir vieles anhören musste. Die Beschimpfungen in den sozialen Netzwerken, die es im Übrigen auch nach meinem Wechsel von Hamburg nach Leverkusen gab, gehen nicht spurlos an einem vorbei. Aber auch das habe ich gelernt: Es geht immer weiter im Fußball.

Werden Worte wie Helden und Versager im Fußball zu schnell gewählt?

Calhanoglu Ich finde schon. Man wird zu oft nur an Ergebnissen und eben solchen Spielen gemessen. Ein Elfmeter reicht in dieser Situation aus, um der Versager zu sein. Gegen Schalke zum Beispiel habe ich einen Freistoß direkt verwandelt, gegen Madrid im Hinspiel das 1:0 erzielt. Meine Leistung war ansonsten nicht überragend, aber ich habe das Spiel entschieden. Dann ist man plötzlich wieder der Held. So ist das.

Fühlen Sie sich denn als Held?

Calhanoglu Für manche Fußball-Fans sind Profis in solchen Momenten Helden. Sie werden vergöttert, wenn sie überragend spielen. Ich sehe mich nicht so. Wahre Helden sind doch ganz andere Menschen auf dieser Welt. Ich weiß, dass ich die Qualität habe, Spiele zu entscheiden. Solche Partien wie gegen Schalke oder Madrid - das sind Momente, die für mich wichtig sind. Da muss ich zeigen, dass ich da bin.

Würden Sie beim nächsten Mal wieder einen Strafstoß schießen?

Calhanoglu Auf jeden Fall. Ich verstecke mich nicht. Ich weiß, dass ich Elfmeter schießen kann.

Bei aller Erwartungshaltung wird oft vergessen, dass Sie auch erst 21 Jahre alt sind.

Calhanoglu Vom teuersten Einkauf wird natürlich mehr erwartet als vielleicht von anderen Spielern. Wer viel Geld kostet, soll Wunder-Dinge leisten. Die Leute meinen vielleicht deshalb, dass ich schon älter bin. Aber auch für mich gilt, dass ich mich weiterentwickeln muss. Nichtsdestotrotz übernehme ich gerne Verantwortung auf dem Platz. Ich weiß, was ich drauf habe und für die Mannschaft leisten kann. Und ich weiß, was Trainer Roger Schmidt von mir erwartet. Der Rest ist Nebensache.

Waren Sie mit der Saison zufrieden?

Calhanoglu Auf jeden Fall. Nach meinem Wechsel war alles neu für mich. Ich musste mich erst an die Spielweise gewöhnen. Ich habe versucht, mein Bestes zu geben und bin im Ganzen zufrieden. Ich denke, ich habe mich weiterentwickelt und bin reifer und professioneller geworden. Mit der Wahl, zu Bayer 04 zu gehen, habe ich alles richtig gemacht.

Mit Jonathan Tah spielt nun der nächste Hamburger bei Bayer 04.

Calhanoglu Es freut mich, dass er da ist. Jonathan ist ein talentierter junger Spieler, der körperlich wahnsinnig robust ist. Er ist für mich der zweite Jerome Boateng. Klar muss er sich noch an unser Spiel gewöhnen, aber er wird seinen Weg gehen.

Glauben Sie, dass Bayer 04 den nächsten Schritt gehen kann?

Calhanoglu Ich sehe uns auf dem richtigen Weg. Wir haben Qualität und die Spieler, die Lust haben auf dieses System und darauf, Erfolge zu feiern. Wir sind ein junges Team mit enorm viel Potenzial. Wichtig wird sein, von Anfang an Konstanz in unsere Leistungen zu bekommen. Dann können wir einiges erreichen.

Wenn wieder eine Situation kommt wie in Madrid. Ist Bayer 04 dann in der Lage, sie zu meistern?

Calhanoglu Auf jeden Fall. Wir waren alle traurig in dem Moment. Aber wir haben zusammen verloren und viel an Erfahrung gewonnen.

Der Trainer hat Sie zuletzt im defensiven Mittelfeld eingesetzt. Ist das eine Position, die Ihnen liegt?

Calhanoglu Ich habe bereits letzte Saison einige Male dort gespielt und habe das auch nicht so schlecht gemacht. Ich sehe mich sicher lieber als hängende Spitze, aber die defensivere Variante ist eine Option.

Wie oft üben Sie Freistöße?

Calhanoglu Ich arbeite ständig an meiner Technik. 20 bis 30 Freistöße pro Tag muss ich schon machen, um drin zu bleiben. Ziel ist der Rekord von Mario Basler mit sieben Freistoß-Toren in einer Saison. Da muss ich diesmal einen drauf legen.

STEFANIE SANDMEIER STELLTE DIE FRAGEN.

(RP)
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