Unterschiedliche Spielertypen Florian Wirtz und Kai Havertz – (k)ein Vergleich

Leverkusen · Florian Wirtz gilt bei Bayer Leverkusen als legitimer Nachfolger von Kai Havertz im offensiven Mittelfeld. Doch die beiden haben mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten.

 Florian Wirtz – hier bei einer artistischen Ballannahme im Spiel gegen Hoffenheim – hat sich unter Trainer Peter Bosz innerhab eines Jahres zum Stammspieler entwickelt.

Florian Wirtz – hier bei einer artistischen Ballannahme im Spiel gegen Hoffenheim – hat sich unter Trainer Peter Bosz innerhab eines Jahres zum Stammspieler entwickelt.

Foto: imago images/Moritz Mueller

An Selbstvertrauen mangelt es Florian Wirtz nicht. In der „Sport Bild“ sagte Bayer Leverkusens Toptalent und Shooting Star am Dienstag, dass er davon träume, irgendwann für den FC Barcelona zu spielen. Auch seine Teilnahme an der EM im Sommer hält er nicht für unmöglich. Immerhin hätten die vergangenen Monate gezeigt, dass man viele Dinge nicht planen könne, betonte der 17-Jährige, der in der U21 des DFB spielt und nach eigenen Angaben noch keinen Kontakt zu Bundestrainer Joachim Löw hatte. Ein Satz ließ indes besonders aufhorchen: „Es ist ein Ansporn für mich, noch besser zu werden als Kai. Ich will immer der beste sein und hasse es, zu verlieren.“

Gemeint ist freilich Kai Havertz, der im Sommer als weltweit teuerster Transfer von der Werkself zum FC Chelsea wechselte und seinem Ausbildungsverein ein Ablöse-Boni-Gesamtpaket von über 100 Millionen Euro in die Kassen spülte. Der 21-Jährige erlebt eine schwierige Phase in der Premier League. Seine Leistungen sind durchwachsen und im Oktober 2020 bremste ihn eine Covid-19-Infektion aus. Chelseas Trainer Frank Lampard zufolge hatte der Nationalspieler starke Symptome und brauchte Zeit, um wieder einsatzbereit zu sein. Der Coach ist häufig damit beschäftigt, Havertz in Schutz zu nehmen und um Geduld für den deutschen Rekordtransfer zu werben.

Der 42-Jährige steht derweil selbst im Kreuzfeuer der Kritik, denn es läuft insgesamt nicht bei den „Blues“, die mit großen Ambitionen in die Saison gestartet sind. Nach 17 Partien rangieren die Londoner nur auf Platz neun. Der unlängst bei Paris St. Germain geschasste Thomas Tuchel gilt als heißer Nachfolgekandidat für Lampard.

 Kai Havertz – hier in Chelseas Spiel gegen die Wolverhampton Wanderers – ist sportlich noch nicht richtig in London angekommen.

Kai Havertz – hier in Chelseas Spiel gegen die Wolverhampton Wanderers – ist sportlich noch nicht richtig in London angekommen.

Foto: AP/Michael Steele

Von derartigem Stress ist Florian Wirtz weit entfernt. Im Januar 2020 wechselte der gebürtige Pulheimer aus der Jugend des 1. FC Köln zu Bayer 04. Es war ein Transfer, der für einige Unstimmigkeiten zwischen den Klubs gesorgt hatte. Denn eigentlich gilt zwischen den rheinischen Vereinen aus Köln, Leverkusen und Mönchengladbach eine Vereinbarung, sich nicht gegenseitig die größten Talente wegzuschnappen. Ein Jahr nach der öffentlichen Auseinandersetzung hat sich die Lesart durchgesetzt, dass der FC es schlichtweg versäumt hat, Wirtz langfristig zu binden – und Bayer mit einem klaren Plan zur Entwicklung des 17-Jährigen zur Stelle war als es darauf ankam. Für 300.000 Euro wechselte Wirtz die Rheinseiten. Inzwischen wird sein Marktwert bei rund 24 Millionen Euro taxiert.

Unter Trainer Peter Bosz avancierte das Toptalent schnell zum Stammspieler – freilich auch begünstigt durch den Wechsel von Havertz. Beide sind offensive Mittelfeldspieler, die auf dem Rasen irgendwo zwischen der Acht oder Zehn zuhause sind, aber auch schon auf den Außen gespielt haben. Beide sind extrem talentiert, technisch verisert, schon in jungen Jahren erstaunlich abgeklärt und haben bei der Werkself ihren Durchbruch geschafft. Das war es aber auch fast schon mit den Gemeinsamkeiten.

„Sie sind sehr unterschiedlich“, betont Bayers Sportdirektor Simon Rolfes. „Kai ist im Strafraum unglaublich torgefährlich und trotz seiner Körpergröße extrem schnell – auch auf Strecke. Er kann mit seinem Tempo die Räume in der Tiefe nutzen und hat ein gutes Gespür dafür.“ Wirtz sei ein Spieler, der auch in engen Situationen ohne große Freiräume gut klarkomme. Durch seine Wendigkeit, Dynamik und technische Stärke ist er in brenzligen Situationen in der Lage, den Ball zu behaupten. Pyhsisch unterscheiden sich die beiden Spieler ebenfalls deutlich: Havertz ist mit seinen 1,89 Metern deutlich größer und kopfballstärker als Wirtz mit 1,75. „Beide sind am Ende Zehner, aber mit einer jeweils anderen Interpretation“, sagt Rolfes. Die rasante Entwicklung von Wirtz hat ihn positiv überrascht. „Dass er ein großes Talent ist, war uns bewusst, aber dass es so schnell geht, kann man weder vorhersehen, noch erwarten. Die Chance bei so jungen Spielern liegt ja auch darin, dass es keine großen Erwartungen gibt und sie einfach frei drauflosspielen können.“ Dazu biete Leverkusen die idealen Rahmenbedingungen.

„Junge Spieler brauchen das Drumherum, gute Mitspieler und das richtige Umfeld. Es ist fantastisch und hilft ihm sehr, dass auch andere Spieler sehr gut performen und er sich einfügen kann.“ Das sei bei Havertz anders gewesen. „Er kam in einer schwierigen Situation in die Mannschaft als es nicht gut lief“, erinnert sich der 38-Jährige an das Frühjahr 2017, in dem der Stern des gebürtigen Aacheners allmählich aufging. Er hatte mit wichtigen Toren in der Rückrunde viel dazu beigetragen, dass die Werkself in der schwachen Saison 2016/17 nicht ernsthaft in die Abstiegszone der Tabelle rutschte. Von da an war Havertz, der im Gegensatz zu Wirtz bereits im Grundschulalter als Jugendspieler für Leverkusen verpflichtet wurde, als Leistungsträger nicht mehr aus der Mannschaft wegzudenken.

Wirtz ist es schneller gelungen, sich bei den Profis zu etablieren. Seine Körpersprache ist zudem eine andere als bei seinem Vorgänger im offensiven Mittelfeld. Beide strahlen jugendliche Unbekümmertheit aus, aber Wirtz wirkt präsenter und frecher als der frühe Havertz, der auf und neben dem Platz trotz herausragener Leistungen oft zurückhaltend, ja beinahe schüchtern wirkte. Der ehemalige Kölner hat ein anderes Selbstverständnis – das zeigt auch seine markige Aussage, besser als Havertz werden zu wollen.

Sollte er das schaffen, dürfte das freilich auch den Scouts des FC Barcelona auffallen.

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